Anfrage an die Parteien
Trennung von Staat und Kirche für die Parteien kein Thema
Die Bundestagswahl 2002 nahm der IBKA zum Anlass, die im Bundestag vertretenen Parteien anzuschreiben und nach ihrer Position zum Verhältnis von Staat und Kirche sowie nach Ansprechpartnern für Konfessionslose zu befragen.
Eine solche Anfrage hatte es schon einmal anlässlich der Bundestagswahl 1994 gegeben. Das Ergebnis fiel diesmal eher noch ernüchternder aus als damals: Die Konfessionslosen werden als gesellschaftliche Größe nicht wahrgenommen, die Herstellung der Trennung von Staat und Kirche ist für die Parteien kein Thema.
Zur klarsten Aussage kommt die CSU. In erfreulicher Ehrlichkeit betont sie, dass sie sich "wie keine andere Partei in Deutschland für eine vom christlich-abendländischen Weltbild geprägte Gesellschaft" einsetzt, und verweist darauf, dass sie im sog. Kruzifix-Streit "vehement für das Kreuz als Symbol unseres christlichen Glaubens" eingetreten sei. In ihrem Grundsatzprogramm stellt sie darüber hinaus klar, dass Grundlage ihrer Politik das "christliche Menschenbild" und die "christliche Wertordnung" sind, und natürlich darf auch die "Verantwortung vor Gott" nicht fehlen.
Etwas differenzierter fallen die Aussagen der CDU aus. Jedoch beruht auch die Politik der CDU auf der "Grundlage christlicher Werte und des christlichen Bildes vom Menschen". Dementsprechend sieht die CDU beim Verhältnis von Staat und Kirche keinen Handlungsbedarf.
Eine stärkere Trennung von Staat und Kirche wird ausdrücklich abgelehnt, als Grund für die "zentrale gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirchen" wird nicht nur auf deren Engagement im Sozialbereich verwiesen, auch die "Vermittlung gesellschaftlicher Werte" wird als Argument angeführt, warum die Kirchen "jenseits jeder Religiosität" wichtig für die gesamte Gesellschaft seien.
Dies ist genau die Argumenation, mit der die Kirchen zu rechtfertigen versuchen, warum sie bei permanent sinkender Mitgliedschaft trotzdem das Recht beanspruchen, für alle in Deutschland lebenden Menschen Vorgaben zu machen.
Im Rahmen ihres Eintretens für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen spricht sich die CDU dafür aus, dieses Privileg zukünftig auch islamischen Glaubensgemeinschaften einzuräumen. "Offen" stehe man einem Ethikunterricht für Konfessionslose und sonstige RU-Verweigerer gegenüber; "wichtig erscheint dabei allerdings, dass [dieser] Unterricht alternativ zu dem Religionsunterricht treten soll", was eine indirekte Absage an ein integratives Fach in der Art von LER bedeutet.
Die SPD ist die einzige unter den angeschriebenen Parteien, die eine Ansprechstation für die Interessenvertretung der Konfessionslosen angeben kann: das Referat für Kirchen-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
Allerdings bedeutet die Zusammenfassung in einem Referat nicht, dass beide Gruppierungen als gleich gewichtig angesehen werden. Zwar findet sich das allgemeine Bekenntnis: "Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden" weiterhin im Grundsatzprogramm, aber das Einknicken der SPD in der Debatte um das Anti-Diskriminierungsgesetz zeigt, dass sich die Partei schwer tut, die hehren Ziele umzusetzen, sobald sie auf den Widerstand der Kirchen stößt.
So findet sich im Grundsatzprogramm auch die Forderung, dass die allgemein geltenden Arbeitnehmerrechte auch in den Einrichtungen der Kirchen gewährleistet sein müssten; im Wahlprogramm fehlt diese Passage im entsprechenden Abschnitt.
Ansonsten strebt die SPD, wie aus ihrem Brief an den IBKA hervorgeht, keine Änderung der Rechtslage an, nicht im Bereich kirchlicher Finanzen (ausdrücklich wird auf die "Gemeinwohlrelevanz des Kirchensteueraufkommens" hingewiesen), nicht im Fall des Religionsunterrichts (der nicht als Privileg, sondern als "angemessener Platz der gesellschaftlichen Wirklichkeit Religion im Bereich der öffentlichen Schulen" eingestuft wird). Auch die Ausweitung des Modells RU nach Art. 7 GG auf islamische Religionsgemeinschaften wird positiv gesehen; ein integrativer Unterricht, in dem alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam über Religion und Philosophie informiert werden, spielt in den Überlegungen der SPD offenbar keine Rolle.
Bei der FDP ist die Trennung von Staat und Kirche, die im Thesenpapier von 1974, aber auch im FDP-Wahlprogramm von 1994 noch eine Rolle spielte, kein Thema mehr.
Das diesjährige Wahlprogramm ist in seinen Ausführungen zu "Kirchen und Religionsgemeinschaften" nicht mehr als Stellungnahme einer liberalen Partei erkennbar. Mit keinem Wort wird Bezug genommen auf die Trennung von Staat und Kirche, vielmehr plädieren die Freien Demokraten dafür, "dass der Staat sein Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften in einer Weise definiert, die allen Religionen und ihren Gläubigen gerecht wird".
Dass hier offenbar nur die Interessen der religiösen Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden, ist kein Zufall. Konfessionslose tauchen ebensowenig wie Weltanschauungsgemeinschaften im Wahlprogramm der FDP auf, sie werden weder als Wählergruppe noch als Ansprechpartner zur Kenntnis genommen. Zu dieser Haltung passt denn auch, dass der IBKA zwar ein von der Generalsekretärin unterzeichnetes Antwortschreiben bekam, das allerdings keine einzige Frage beantwortete, sondern lediglich wortgetreu die vermeintlich einschlägige Passage aus dem Wahlprogramm wiedergab.
"Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" - das waren die Begriffe, mit denen die GRÜNEN Mitte der 1980er Jahre ihr Selbstverständnis ausdrückten. Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm wurden diese Leitlinien in vielerlei Hinsicht den Erfordernissen einer Regierungspartei angepasst (vgl. MIZ 1/02, S. 15ff.), die Grünen haben ihren Frieden neben anderem auch mit den Kirchen gemacht.
Während die Partei in den letzten Wahlprogrammen stets mehrere Punkte anführte, in denen das Verhältnis von Staat und Kirche geändert werden sollte, beschränken sie sich diesmal darauf, ein "umfassendes Antidiskriminierungsgesetz" einzufordern, was für die kirchlichen Sozialeinrichtungen die Geltung des allgemeinen Arbeits-, Sozial- und Tarifrechts bedeutete. Zu mehr konnten sich die Delegierten nicht durchringen.
Damit sind die Grünen zwar immerhin die einzige Partei, die diese Forderung im Wahlprogramm stehen hat. Auf der anderen Seite fehlen viele der Positionen, die sich in den letzten fünfzehn Jahren in den Bundestags- und Landtagswahlprogrammen oder dem bündnisgrünen Verfassungsentwurf gefunden haben: die Aufhebung des Körperschaftsstatus, die Neuordnung der Militärseelsorge, die Kündigung der Kirchenverträge und Konkordate, die Abschaffung des Religionsunterrichtes in seiner jetzigen Form usw.
Noch entscheidender ist, dass sich die Perspektive, aus der der gesamte Themenkomplex ins Auge gefasst wird, völlig verschoben hat. Mitte der 1990er Jahre wurden die Kirchen eher als politischer Gegner betrachtet, der gegen viele grüne gesellschaftspolitische Projekte (von der Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften bis hin zur allgemeinen Gültigkeit des Betriebsverfassungsgesetzes) opponierte. Heute werden die Kirchen "als wichtige Kräfte der Zivilgesellschaft", ja als Partner angesehen. Über den "Tendenzschutz" soll ein "Dialog" aufgenommen werden; das Kirchensteuermodell, so steht es im Antwortbrief an den IBKA, sei "zweifellos reformbedürftig" - wegen der wachsenden Finanzierungsprobleme der Kirchen. Anstatt wie einst die Abschaffung des § 166 StGB zu fordern, wenden sich die Grünen nun "gegen jeden Versuch, Religionsgemeinschaften zu diskriminieren" - von Weltanschauungsgemeinschaften ist nicht die Rede.
Im Brief der Bundesgeschäftsstelle wird zur Rechtfertigung des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen (natürlich sind auch die Grünen für Islamunterricht und die Einrichtung theologischer Lehrstühle für Islam) sogar auf jenes Zitat des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde angespielt, wenn zu lesen ist: "Der moderne Verfassungsstaat lebt von Voraussetzungen, die er weder geschaffen hat noch garantieren kann." Diese manipulative Widergabe der Textstelle (vgl. MIZ 3/99, S. 15f.) gehört zu den rhetorischen Standardtricks, mit denen die Kirche ein Recht reklamiert, ethische Vorgaben auch für jene Menschen zu machen, die ihrem Verein gar nicht angehören. Indem die Grünen den ganzen Denkansatz übernehmen, zeigt sich, wie wenig kritische Distanz zu kirchlichen Positionen noch besteht.
Der PDS ist beim Themenbereich Religion/Kirche sehr deutlich anzumerken, dass sie in DDR-Tradition steht. Denn weder im Grundsatz- noch im Wahlprogramm spielen Religion und Kirche eine große Rolle - fast könnte der Eindruck entstehen, es gäbe sie als relevante gesellschaftliche Größe gar nicht. Zwar stehen "kirchliche und religiöse Organisationen" in der langen Liste der Gruppierungen, mit denen die PDS eine Zusammenarbeit anstrebt, aber der bei den anderen Parteien übliche Kotau vor der besonderen Bedeutung der Kirchen unterbleibt.
Andererseits hat die PDS auch rein gar nichts zum Verhältnis von Staat und Kirche zu sagen, selbst nicht zu den Punkten, die in den ostdeutschen Bundesländern von Relevanz wären, wie etwa LER.
Auch zum überproportional hohen Anteil kirchlicher Sozialeinrichtungen, der ganz erhebliche Probleme für konfessionslose Arbeitnehmer mit sich bringt, schweigen sich die Sozialisten aus. Und die zur Beantwortung der Fragen des IBKA notwendigen Recherchen erwiesen sich als offenbar recht langwierig - bis MIZ-Redaktionsschluss lag jedenfalls noch kein Brief der PDS vor.
Fazit: Wer bei seiner Wahlentscheidung die Haltung der Parteien zu den Kirchen resp. deren Stellung im Staat in den Vordergrund stellt, für den hat keine der etablierten Parteien etwas zu bieten.
Auffällig ist, daß die beiden potentiellen "Juniorpartner" von Koalitionsregierungen in den letzten acht Jahren sämtliche kirchenkritischen Aussagen und Vorstöße zur Veränderungen des Staats-Kirchen-Verhältnisses in Richtung konsequente Trennung aufgegeben haben.
Dies ist sicher auch eine Folge konsequenter Anstrengungen auf Seiten der Kirchen. Die Kirchen haben während der letzten beiden Legislaturperioden ganz massiv vor allem die Bündnisgrünen umworben. Laizisten haben dieser kirchlichen Lobbyarbeit derzeit leider wenig entgegenzusetzen.
Immerhin gibt es einzelne Abgeordnete (in erster Linie in der PDS, aber auch bei den Sozialdemokraten, in den Landesparlamenten auch noch bei den Grünen und ganz vereinzelt bei der FDP), die für die Trennung von Staat und Kirche ansprechbar sind. Vielleicht bieten sich hier Ansatzpunkte für eine säkularistische Politik. Klar ist aber, dass es hier eines langen Atems bedarf und dass schnelle Erfolge nicht zu erwarten sind.
Ein ausführlicherer Artikel zum Thema erschien in MIZ 3/02.