IBKA-Anfrage an die Parteien

IBKA-Anfrage an die Parteien

Aus: MIZ 4/94

Den folgenden Brief schickte der "Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA e.V.)" an alle Parteien in Deutschland.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Ihnen durch Presse und TV bekannt ist, treten jährlich mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland aus beiden großen Kirchen aus. 1992 wurde die höchste Zahl von Kirchenaustritten in der deutschen Geschichte registriert. Auch in europäischen Nachbarstaaten ist die Ablösung von den Kirchen feststellbar. Solchen Austrittsspitzen liegen makrosoziologische Entwicklungen unserer Gesellschaften zugrunde. Religionswissenschaftliche Prognosen kamen daher zu dem Schluß, daß die Kirchenbindung weiter abnehmen wird und die Gesamtentwicklung kaum reversibel sein dürfte. Aktuelle Studien gehen davon aus, daß derzeit rund ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands keiner der beiden Großkirchen angehört (der mit Abstand größte Teil davon gehört keiner anderen Religionsgemeinschaft an). In Großstädten und einigen Bundesländern bilden Konfessionslose inzwischen die Bevölkerungsmehrheit.
Untersuchungen zum religiösen Alltagsverhalten von Kirchenmitgliedern zeigen den gleichen Trend innerhalb der beiden Kirchen; einige zentrale Glaubensinhalte werden heute nur mehr von einer - kleinen - Minderheit der Kirchenmitglieder geteilt (z. B. Unfehlbarkeit des Papstes, Jungfräulichkeit Mariens, Zölibat).

Sicherlich wird dies alles auch innerhalb der CDU beobachtet und diskutiert. Regierungen und Politik haben über Jahrzehnte versucht, diese Entwicklung durch juristische Privilegierung und durch eine Finanzierung der Kirchen aus öffentlichen Mitteln zu kompensieren. Dies konnte die Ablösung von den Kirchen nicht grundsätzlich aufhalten und führt heute zu neuen, sozialpolitischen Problemen. So werden inzwischen selbst Bereiche der Seelsorge aus öffentlichen Mitteln finanziert. Konfessionslose können den Religionsunterricht in fast allen Bundesländern nicht mehr folgenlos fernbleiben, sondern müssen einen Sonderunterricht besuchen. In fast allen Bundesländern unterliegt der Austritt aus der Kirche einer Sonderregelung, nach der eine einmonatige "Nachbesteuerung" bei der Kirchensteuer durchgeführt wird, die bei allen anderen Fällen des Wegfallens von Kirchensteuer (z. B. bei Religionsübertritt, Umzug) entfällt. Uns sind Fälle bekannt, bei denen der Staat eine Nichtzugehörigkeit zur Kirche - verfassungsrechtlich fragwürdig - einfach ignoriert, z. B. bei der Berechnung von Arbeitslosenunterstützung. Es wurde sogar von Politikern Ihrer Partei eine Art Sondersteuer (eine "Kultur- oder Sozialsteuer") für Konfessionslose gefordert. Solche Forderungen stoßen bei Konfessionslosen und auch bei vielen Christen auf Ablehnung.
In diesem Zusammenhang haben wir zudem bei Podiumsdiskussionen immer wieder erleben müssen, daß Parteienvertreter nur unzureichende Kenntnisse über das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland hatten; sie hatten Konfessionslosen praktisch nichts zu sagen.
Nach unseren Informationen ist jedoch ein nicht unerheblicher Teil Ihrer WählerInnen und selbst ein Teil Ihrer Parteimitglieder konfessionslos. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl - aber auch aus längerfristigem Interesse - möchten wir Sie daher fragen:

  • Gibt es kompetente Referenten bzw. Stellen in Ihrer Partei, die Ansprechpartner insbesondere für Konfessionslose (also beispielsweise auch für Christen, die keiner Kirche angehören) sind?
  • Könnten Sie uns Parteitagsbeschlüsse bzw. Programme Ihrer Partei zusenden, die sich programmatisch mit dem Verhältnis von Staat und Kirche befassen?
  • In vielen Regionen der Bundesrepublik werden öffentliche soziale Einrichtungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip in privater, vornehmlich kirchlicher Trägerschaft betrieben. In der Praxis werden diese Einrichtungen häufig jedoch weitgehend oder vollständig von der öffentlichen Hand (und den Leistungsnehmern) finanziert.
    Weil in einigen Regionen die Sozialarbeit weitgehend von kirchlichen Betrieben durchgeführt wird, ist es Konfessionslosen dort aufgrund bestehender arbeitsgesetzlicher Regelungen (z. B. § 118 BetrVerfG) fast unmöglich, im sozialen Bereich eine Anstellung zu finden. Welche politischen Schritte sind von Ihrer Partei zum Abbau solcher Fehlentwicklungen geplant?
  • In nahezu allen Bundesländern müssen Konfessionslose (gelegentlich auch Angehörige nicht-christlicher Religionen) den schon erwähnten Sonderunterricht Ethik besuchen. Von Eltern und Schülern wird dieser oft als Herabsetzung empfunden, da ihnen der Staat offenbar selbständiges sittliches Handeln nicht zutraut und sie zu einem "Nachhilfeunterricht" verpflichtet. Wie steht Ihre Partei zum diesem "Ethikunterricht" generell?

Über die Zusendung entsprechender Informationsmaterialien Ihrer Partei zu dem genannten Fragenkomplex würden wir uns freuen.


"Für Ihr Schreiben darf ich Ihnen danken..."

Antworten der Parteien

Aus: MIZ 1/95

Die im Politischen Leitfaden des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) formulierten Positionen sind bei den Parteien angekommen; nun suchen sie nach einer - im Rahmen ihrer politischen Grundsätze - angemessenen Reaktion. Dies geht aus den Antworten auf eine Anfrage des IBKA hervor.

In einem Anfang Oktober an alle größeren Parteien verschickten Brief (vgl. MIZ 4/94, S. 6f) wurden diese gebeten, einen Ansprechpartner für Konfessionslose zu benennen, die aktuellen Beschlüsse zum Verhältnis von Staat und Kirche zu übersenden und zu den Fragen des Tendenzschutzes und des zwangsweisen Ethikunterrichts Stellung zu nehmen. Bis auf die F.D.P. haben mittlerweile alle Parteien mehr oder weniger ausführlich geantwortet.

Die Positionen der Grünen und der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) decken sich in vielen Punkten mit den Vorstellungen des IBKA; beide Parteien setzen sich auch ein für eine Abschaffung des "Tendenzschutzparagraphen" (§ 118 BetrVG) und die Übergabe des Religionsunterrichts in die Verantwortung der Kirchen, womit dieser aus dem Kanon der "ordentlichen Lehrfächer" herausgenommen würde1. Allerdings gibt es auch bei ihnen - wie bei allen anderen Parteien - keine Referenten für Konfessionslose. Auch die Republikaner bekennen sich zum "strikten Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat" und fordern die "Abschaffung des Einzugs der Kirchensteuer durch die staatlichen Finanzbehörden"2. Dies bleibt jedoch die einzige Schlußfolgerung, die sie daraus ziehen, eine weitere inhaltliche Ausgestaltung des zitierten Grundsatzes fehlt. Da sich die Partei andererseits dem "christlichen Abendland" verpflichtet fühlt, den Zerfall des christlichen Erbes beklagt und gegen das "Sektenunwesen" wettert, entlarvt sich das Bekenntnis der Republikaner zur Trennung von Staat und Kirche als populistisch.

CDU - Keine Weltanschauungsfreiheit

Auch die Christlich Demokratische Union (CDU) kommt entsprechend ihrem Selbstverständnis als "christlich geprägte, überkonfessionelle Volkspartei"3 zu klaren Aussagen. Die Rolle der Kirchen bei "der Bewahrung der christlichen Wertgrundlagen unserer freiheitlichen Demokratie, insbesondere ... der Unantastbarkeit der Würde der Person," wird ebenso betont wie ihre "vorbildlichen Dienste" im sozialkaritativen und erzieherischen Bereich4. Für die Schule heißt dies, daß zwar "weltanschauliche Parteilichkeit" abgelehnt wird, aber "Ehrfurcht vor Gott" zugleich Erziehungsziel bleibt5. Dem Religionsunterricht wird die Funktion der "Orientierung" in ethischen und religiösen Fragen zugewiesen, er diene also nicht ausschließlich dem Verkündigungsauftrag der Kirchen, sei vielmehr eine "staatliche Aufgabe", die freilich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft ausgeführt werden solle. Jedoch auch für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften müsse "religiöse Erziehung ... möglich sein"6. Ohne daß Konfessionslose erwähnt würden, wird auch ihrer gedacht: "Schüler(n), die nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen oder sollen, ist ein verpflichtender philosophisch-ethischer Unterricht anzubieten"7. Was auf den ersten Blick nur wie eine Umschreibung des Status quo aussehen mag, enthält doch einigen Sprengstoff. Denn indem der Religionsunterricht nicht mehr als verfassungsrechtlich abgesichertes Privileg der beiden christlichen Großkirchen, sondern als "staatliche Aufgabe", die nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft auszuführen sei, definiert wird, wird die Trennung von Staat und Kirche als Prinzip in Abrede gestellt. Nach gängiger konservativer Argumentation rechtfertigt sich die Privilegierung der christlichen Kirchen vor allem aus der Identität von Christ und Staatsbürger, die für "die große Mehrheit der Menschen in Deutschland"8 anzunehmen sei. Diese Annahme ist schon für die Bundesrepublik zumindest problematisch, für die neuen Bundesländer ist sie definitiv falsch. So gesehen bedeutet die Forderung nach einem flächendeckenden Zwangsersatzfach einen Rückschritt hinter bestehende Rechtsauffassungen. Denn sie verfolgt nicht nur das Ziel, die Vorrechte der Kirchen auch im Osten Deutschlands zu etablieren. Sie muß zugleich als Testballon verstanden werden, diese Vorrechte unabhängig von der demographischen Entwicklung zu begründen und somit langfristig gegen Kritik zu immunisieren.

Zur Frage des kirchlichen Sonderarbeitsrechts finden sich keine Äußerungen im Grundsatzprogramm der CDU und auch in seinem Schreiben drückt sich der Leiter der Abteilung Innenpolitik vor einer Stellungnahme. Die "Experten der CDU" könne er bei Bedarf benennen; ein klares Bekenntnis zum Tendenzschutz in kirchlichen Betrieben wagt er ebensowenig wie die Andeutung, daß es auch in der Union Leute gebe, die die Menschenrechtsproblematik in dieser Frage erkannt haben9. Ein Detail im Grundsatzprogramm demonstriert dann in verräterischer Weise, daß Konfessionslose im Kalkül der Union keine Rolle spielen: der Begriff "Weltanschauungsfreiheit" kommt nicht vor. "Unter uns" leben zwar "viele Menschen anderer Religionszugehörigkeit", deren religiöse Überzeugungen die CDU achte, eine entsprechende Passage über die Überzeugungen nichtreligiöser Menschen fehlt im Text.

SPD - Quadratur des Kreises

"Aufmerksam" werde in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) die gesellschaftliche Entwicklung verfolgt, die das Verhältnis von Staat und Kirche zum Diskussionsstoff hat werden lassen. Wenn mensch sich die programmatischen Verlautbarungen der SPD durchsieht, klingt dieser Satz aus dem Antwortschreiben der Abteilung Politik/Zielgruppen glaubwürdig. Denn im Gegensatz zur anderen großen Volkspartei hat die Sozialdemokratie die Konfessionslosen zur Kenntnis genommen. In ihrem Grundsatzprogramm findet sich sogar ein ausdrücklicher Antidiskriminierungspassus: "Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden"10. Auch die Tatsache, daß der Antwortbrief der SPD an den IBKA der ausführlichste war, deutet darauf hin, daß die Partei den Konflikt zwischen der institutionellen Macht der Kirchen und den Rechten des konfessionslosen Individuums erkannt hat und ernst nimmt. Ihre politische Antwort darauf mutet freilich an wie ein Versuch der Quadratur des Kreises; denn zwar sollen Konfessionslose nicht benachteiligt werden, die Privilegien der Kirchen bleiben aber auch unangetastet11.

Wie problematisch diese Haltung ist, zeigt sich an den Vorstellungen der SPD zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht. Das Grundsatzprogramm fordert, daß "allgemein geltende Arbeitnehmerrechte ... auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein" müssen12, was nur als Plädoyer für die Nichtanwendung des Tendenzschutzes für diese Betriebe verstanden werden kann. In der Antwort auf die konkrete Frage des IBKA wird das Problem dann von einer anderen Seite beleuchtet. Wenn "Interessenten an nicht kirchlich getragenen Einrichtungen kein Angebot oder ... konfessionslose Arbeitnehmer keine Arbeitsmöglichkeit finden", könne dies dadurch behoben werden, daß die Kommunen selbst als Träger auftreten oder weltanschaulich neutrale Träger fördern und somit das Angebot erweitert wird13. Diese Sichtweise ermöglicht es der SPD, die Interessen der Konfessionslosen zu berücksichtigen, ohne den Besitzstand der Kirchen, den Tendenzschutz, anzugreifen. Die praktische Folge daraus ist, daß sich für die Betroffenen nichts ändert; denn, so wird unumwunden zugegeben, "das Tätigwerden der öffentlichen Hand ist jedoch auf Grund der Haushaltssituation vielfach erschwert".

Die Position der SPD zum zwangsweisen Ethikunterricht ist noch eindeutiger darauf orientiert, den privilegierten Status der Kirchen zu erhalten. Da der Religionsunterricht nicht die Funktion der "unmittelbaren Glaubensvermittlung" habe, müsse er gewissermaßen als ordentliches Lehrfach Religions- und Weltanschauungskunde aufgefaßt werden, das zwar in Übereinstimmung mit den Kirchen erteilt werde, sich aber eigentlich doch nicht von den übrigen Schulfächern unterscheide. Diese Konstruktion, die der Vorstellung vom Religionsunterricht als staatlicher Aufgabe nicht allzu fern steht, ermöglicht es, für all jene, die sich abgemeldet haben, einen religionskundlichen Ersatzunterricht zu fordern, der dann auch nicht mehr als Diskriminierung angesehen werden kann, da es ja nur darum geht, allen Schülern gleichermaßen Wissen über das "Phänomen der Religion, ihre Geschichte und ihre Werttradition" zu vermitteln. Abgesehen davon, daß diese Auffassung an der Realität von Religions- und Ethikunterricht vorbeigeht, könnte daraus ebensogut die Abschaffung des konfessionellen Unterrichts und die Einführung eines allgemeinen Faches, das weltanschauliche Fragen behandelt, gefordert werden. Bezeichnenderweise fordert die SPD dies nicht, sondern bemüht sich, die Diskriminierung wegzudefinieren. Für eine Partei, die einst die Trennung von Staat und Kirche auf ihre Fahnen geschrieben hatte, ein erbärmlicher Winkelzug.

gs

Anmerkungen:

1 Da die einschlägigen Programmpunkte beider Parteien bereits im letzten Heft dokumentiert wurden, verzichten wir auf eine Wiederholung.

2 Wir machen uns stark... für deutsche Interessen. Parteiprogramm der Republikaner, beschlossen auf dem Parteitag vom 26./27.Juni 1993, S. 90.

3 Freiheit in Verantwortung. Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, beschlossen auf dem Parteitag vom 20.-23.Februar 1994, S. 3.

4 Grundsatzprogramm der CDU, S. 34.

5 Erziehung und Ausbildung in unserem freiheitlichen demokratischen Bildungssystem, S. 6f.

6 Grundsatzprogramm der CDU, S. 31.

7 Erziehung und Ausbildung in unserem freiheitlichen demokratischen Bildungssystem, S. 16.

8 Diese den tatsächlichen Zahlen widersprechende Einschätzung findet sich auch noch im aktuellen Grundsatzprogramm der CDU, S. 34.

9 Brief der CDU-Geschäftsstelle an den IBKA vom 12.10.1994.

10 Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, beschlossen auf dem Parteitag vom 20.12.1989, S. 49.

11 Im Grundsatzprogramm finden sich, außer zum Arbeitsrecht, keine konkreten Äußerungen zu Detailfragen. Die SPD erkennt vielmehr grundsätzlich "die besondere Bedeutung und rechtliche Stellung an, die das Grundgesetz den Kirchen ... einräumt".

Grundsatzprogramm der SPD, S. 48.

12 Grundsatzprogramm der SPD, S. 49.

Vgl. auch die Anmerkungen Hans-Jochen Vogels zu dieser Frage in der Gemeinsamen Verfassungskommission, Stenographischer Bericht der 18.Sitzung vom 4.März 1993, S. 11f.

13 Brief des SPD-Vorstandes an den IBKA vom 26.10.1994 (hier auch alle weiteren Zitate).