Die Atheistische Perspektive - 1. Teil

Daniel Dörr und Carlos Zydorek / Fotos: Evelin Frerk

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Bericht vom ersten Tag der internationalen Covention in Köln

René HartmannPünktlich um 16:00 Uhr am 25. Mai eröffnete der Vorsitzende des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten René Hartmann die Tagung mit dem Motto "Die Atheistische Perspektive: national, regional, global". Viele der geladenen internationalen Sprecher und Teilnehmer haben die Mühen der weiten Reise nicht gescheut um an diesem Wochenende zu diskutieren, wie die heutige Gesellschaft aus säkularer Sicht gestaltet sein könne. Hartmann wünschte allen Anwesenden einen spannenden, informativen und erfolgreichen Verlauf der kommenden drei Tage. Veranstalter der Konferenz waren die Atheist Alliance International (AAI) und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) in Kooperation mit der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).

Warum wir hier sind

Tanya Smith"Warum sind wir hier?" - mit einem Vortrag zu dieser Frage begrüßte Tanya Smith, die Präsidentin der Atheist Alliance International die Zuhörerschaft im ausverkauften Comedia Theater. Wir, damit seien Atheisten, Konfessionslose und Humanisten gemeint, die sich heute hier zusammengefunden hätten. Doch gerade dieser Schlag Menschen ließe sich schwer über einen Kamm scheren, denn die atheistische Bewegung sei zu heterogen, sie darauf zu reduzieren, dass man nur an keinen Gott glauben würde.

Dennoch gibt es gewisse Themen und Standpunkte, die von allen geteilt würden: "Wir setzen uns für Soziale Angelegenheiten ein, versuchen die Rechte der Frauen zu stärken, wir kümmern uns um die Welt, in der wir leben." Und damit widerlegte Tanya den vermeintlichen Stereotypen von Atheisten, der Leben als bedeutungslos ansieht. So unterstütze die Atheist Allience International, deren Präsidentin Tanya Smith ist, die Kasese Humanist Primary School (KHPS), eine säkulare Schule in Südafrika. Und wenn es nach Tanyas Willen ginge, würden bald noch viele Schulen folgen.

Atheisten würden aber auch diskriminiert, sie müssten sich sozialem Druck stellen, der auch manchmal aus eigenen Reihen käme. Gerade da könnten Tagungen wie die heutige helfen, Atheisten zusammen zu bringen um für gemeinsame Werte und Ziele zu kämpfen.

Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter

Corinna GekelerCorinna Gekeler thematisierte Rechte der Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen. Obwohl religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz gesetzlich verboten ist, hätten die kirchlichen Arbeitgeber weitreichende Privilegien. Dadurch seien die Angestellten zu einem den kirchlichen Moralvorstellungen entsprechenden Verhalten gezwungen, was mit großem Einfluss auf das Privatleben verbunden ist. Es handele sich um ein großes Problem, da die Großkirchen in Deutschland die größten öffentlichen Arbeitgeber seien.

In einer vom IBKA finanzierten Studie, in der Gekeler die religiöse Diskriminierung an kirchlichen Einrichtungen untersucht, befragt sie Politiker, NGOs und Betroffene. Sie forderte das Publikum auf, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, um durch Interviews über eigene Erfahrungen auch Erkenntnisse aus anderen europäischen Staaten zu erhalten.

Wissenschaft auf atheistischen Konferenzen

PZ MyersWissenschaft, darüber spricht PZ Myers gerne. Denn Wissenschaft sei das beste Werkzeug was wir hätten, um etwas über unsere Welt zu erfahren. Es erlaube uns zwar nicht absolute Wahrheit zu erlangen, aber Wissenschaft funktioniere. Im Gegensatz zu den anderen Methoden, die häufig in der Vergangenheit aber nur allzu oft heute immer noch angewendet werden wie z. B. das Interpretieren von heiligen Schriften, das Befragen von selbsternannten Propheten, oder die vermeintliche Wahrheit per Krieg zu erprügeln. Es seien wissenschaftliche Errungenschaften gewesen, die den Menschen zum Mond gebracht hätten, die Krankheiten heilten und uns erlauben würden, doppelt so lange zu leben wie unsere Vorfahren. Unsere moderne Gesellschaft habe sich diese Errungenschaften im Alltag zu Eigen gemacht.Dal Wissenschaft so ein gutes Werkzeug sei, würde so viel auf atheistischen Konferenzen darüber geredet. "Aber Wissenschaft ist nicht alles" - eine Behauptung, die man von einem so eingefleischten Professor für Biologie wie PZ Myers nicht unbedingt erwartet.

Wissenschaft sei neutral, sie könne uns nur Informationen liefern - wie wir sie verwenden würden, läge in unserer Hand. Die atheistische Bewegung definiere sich nicht über Wissenschaft, sie sei auch nicht ihr Endresultat. Stattdessen solle sie die gesellschaftlichen Werte liefern, ein humanistisches Weltbild vorantreiben um eine Welt zu formen, in der Diskriminierung gegen ethische Herkunft, Frauen, Gender, und soziale Ungerechtigkeit fern blieben. Um eine neue Welt zu formen, müsse man möglichst genau über das Gegenwärtige Bescheid wissen. Gerade das könne die Wissenschaft leisten.

Heute seien atheistische Tagungen nicht mehr dazu da, um darüber zu diskutieren, ob Gott tot sei. Das sei er nämlich schon lange. Sie seien auch nicht mehr für eine Horde weißer Privilegierter geschaffen, um gemeinsam über die Bibel zu lästern. Tagungen wie die heutige müssten genutzt werden, um eine dritte Welle der atheistischen Bewegung loszutreten, in der für Menschenrechte, Feminismus und Gerechtigkeit für alle unterdrückten Minderheiten geworben würde. Gerade weil Atheisten ein rationales Weltbild hätten, in der es kein Leben nach dem Tod gäbe und Ungerechtigkeit nicht durch Himmel und Hölle ausgeglichen wären, müssten sie sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen.

"Isch geh Schulhof"

Philipp MöllerPhilipp Möller befasste sich mit religiös bedingten Konflikten unter Grundschulkindern in sozialen Brennpunkten. Dazu zitierte er Auszüge aus dem Manuskript zu seinem Buch "Isch geh Schulhof", in dem er von seinen frustrierenden und schockierenden Erfahrungen aus seiner Lehrtätigkeit an einer Grundschule in einem sozialen Problembezirk Berlins berichtet.

Er stellte die These auf, dass die Bildungskatastrophe in Deutschland zu einer Sozialkatastrophe führen werde. Schon an Grundschulen seien eine hohe Gewaltbereitschaft, Beschimpfungen, geringe Frustresistenz, Antisemitismus, Sexismus und Kreationismus zu verzeichnen. Seine Erfahrungsberichte verdeutlichen praktisch die Problematik und zeigen seine Versuche, gegen die Umgangsformen und Vorstellungen der Schüler anzukämpfen. So berichtete er von einem Klassenausflug, den er als Gelegenheit nutzte, die Schüler in Berlins berühmtestes Schwulenkiez zu führen, um das Thema (In-)Toleranz gegenüber Homosexualität zu behandeln. Die Reaktion der Kinder reichte von "verstört" bis "schockiert". Sie wurde begleitet von Aussagen wie "Schwulheit ist verboten von Gott" und "Adam und Eva waren nicht schwul, sonst gäbe es uns nicht." Als Schocktherapie gegen Homophobie forderte Möller die Kinder auf, einen Strafspaziergang durch das Viertel zu unternehmen.

Da nach der Exkursion unter den Schülern immer noch vorherrschende Meinung war, dass alle Schwulen Sünder seien und in die Hölle kämen und Möller nicht die Nichtexistenz Gottes beweisen könne, behauptete er, in seinem Garten stehe ein unsichtbarer Dinosaurier, der das Verspeisen von Süßigkeiten verbiete, um den Schülern ihren Denkfehler aufzuzeigen und das kritische Denken beizubringen. Seine Plädoyer lautete: "Jeder kann glauben, was er will, doch die Freiheiten anderer dürfen nicht verletzt werden. Religiöse Regeln gelten nur für die, die an sie glauben."

In diesem wie auch in weiteren Beispielen illustrierte er das Verhalten der Schüler mit Nachahmung der durch Aggression und Respektlosigkeit gekennzeichneten "Kanak Sprak", die nicht nur unter Kindern mit Migrationshintergrund vorherrsche.

In seinem Vortrag thematisierte Möller auch Kreationismusunterricht, das Berliner Schulgesetz und die Frage, wie weit ein Lehrer im Unterricht gehen dürfe, um aufgeklärtes Denken zu fördern. Weitere Fragen, die er aufwarf, waren: "Wie bereitet man Lehrer auf solche Verhaltensweisen und Geisteshaltungen vor?" und "Wie schaffen wir es, uns von Rechtspopulisten abzugrenzen?"

Abschließend stellte Philipp Möller sein Verständnis von Grundschulbildung dar, die als "Impfung gegen jeglichen Schwachsinn, der auf Kinder zukommen könnte" interpretiert werden müsse. Kinder sollten in der Grundschule vordergründig nicht lernen, was sie denken sollen, sondern wie sie denken sollen.

Vajrayana-Buddhismus - das Phallusgefährt

Colin GoldnerMit dem Thema seines Redebeitrages traf Colin Goldner einen wunden Punkt in der westlichen Gesellschaft. Denn Psychokulte und Wunderheiler, besonders wenn sie asiatisch angehaucht seien, hätten in letzter Zeit gerade in der liberalen, vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft viele Anhänger gefunden. Colin Goldner gab einen Vortrag über den tibetischen Vajrayana-Buddhismus, der nicht so weit verbreitet sei wie andere Formen des Buddhismus, die insbesondere in Südostasien, Thailand, Japan und China weitaus mehr Anhängerschaft fänden. Aber gerade der Vajrayana-Buddhismus erhalte in westlichen Ländern viel Zuspruch. Ein wesentlicher Grund für die seine Attraktivität sei die Dauerpräsenz seiner Leitfigur, des Dalai Lamas, in den Medien und die weitverbreitete Masche, dass das Anbringen von "Free Tibet"-Aufklebern auf Autos und das Aushängen von Dalai-Lama-Fahnen hip und spirituell sei, aber auch menschenrechtliches Engagement wiederspiegle.

Dabei wisse man gerade hierzulande wenig über die eigentlichen Lehren des tibetischen Buddhismus. In seinem Vortrag zeigte der praktizierende Psychologe, der Opfer von Sekten und Psychokulten betreut, einen recht spezifischen, aber zentralen und wichtigen Aspekt der Lehre des tibetischen Buddhismus auf.

Der tibetische Vajrayana-Buddhismus, wie er vom Dalai Lama vertreten werde, verspreche der Kaste der Lamapriester die Möglichkeit, innerhalb eines einzigen Lebens Erleuchtung zu erlangen. Dieser Ausstieg aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten sei nur durch rituelle Sexualpraktiken mit realen Frauen möglich. Den Frauen, welche dabei der ritualisierten Gewalt und dem Missbrauch zum Opfer fallen, werde versprochen, ihr Karma durch den Beischlaf mit Lamapriestern zu verbessern. Falls dies nichts nütze, würden sie durch massive Einschüchterungen zu Stillschweigen verpflichtet. Die tantrischen Praktiken würden zwar offiziell vom amtierenden Dalai Lama kategorisch dementiert. Jedoch habe dieser in den USA, wo zahlreiche gerichtliche Klagen von Missbrauchsopfern eingereicht worden waren, letztendlich zugeben müssen, dass solche Sexualpraktiken noch immer unter Lamapriestern angewendet würden.

Das verklärte Bild eines Menschenrechtlers, wie westliche Medien gerne den Dalai Lama porträtierten, habe in keiner Weise mit der Wirklichkeit zu tun. Abschließend gab Colin Goldner seinen Zuhörern noch den Rat auf den Weg, besonders wachsam zu sein, wenn in lange Gewänder und Kutten gekleidete, vermeintlich dem Zölibat verschriebene Mönche, Priester oder Sektenführer von Sexualmoral redeten.

Losing Faith In Faith – vom Prediger zum Atheisten

Dan BarkerNach einer musikalischen Einleitung stellte Dan Barker seine Entwicklung vom fundamentalistischen, evangelikalen Prediger zum kritischen Atheisten dar. Seine Kindheit sei geprägt gewesen von religiösen Vorstellungen (kurz bevorstehender Weltuntergang) und der Besessenheit, seine Mitmenschen von seinem Glauben zu überzeugen. Dies habe sich schon in frühen Jahren gezeigt, als er auf dem Schulhof predigte. Er habe seine Tätigkeit als persönlichen Auftrag Gottes verstanden.

Barker erläuterte seine Erfahrungen, die für einen Fundamentalisten typisch seien: Er habe sich als der glücklichste Mensch der Welt gefühlt, in der "richtigen" Familie mit der "richtigen" Religion im "richtigen" Land geboren worden zu sein. Er habe geglaubt, seine religiösen "Gänsehaut-Gefühle" seien direkt vom heiligen Geist hervorgerufen. Das fundamentalistische Denkmuster charakterisierte er als absolutistisches, polarisiertes Schwarz-Weiß-Denken und illustrierte seine Irrtümer anhand persönlicher Beispiele.

Den Anfang seiner Entwicklung zum Skeptiker begründeten Einladungen von moderateren christlichen Kirchen und die Erkenntnis, es gäbe nicht das eine Christentum, sondern vielmehr ein kontinuierliches Spektrum verschiedener Strömungen von fundamentalistischen bis hin zu liberalen. In dieser Zeit habe er sich mit Naturwissenschaften und der Evolutionstheorie im Speziellen, die er zu diesem Zeitpunkt aber immer noch für falsch hielt, beschäftigt. Das Lesen wissenschaftlicher Bücher und das Realisieren, dass es auch Christen gebe, die die Evolutionstheorie akzeptierten, hätten immer weiter hin zu einer kritischen Denkweise geführt.

Im Sommer 1983 sei ein Wendepunkt erreicht gewesen, als Barker bewusst wurde, dass er nicht mehr an Gott glaubte. Nichtsdestotrotz habe er in der Überzeugung, der Gottesglaube könne anderen Menschen helfen, noch einige Monate weiter gepredigt, als "Heuchler", wie er selbst sagte. Erst später sei ihm bewusst geworden, dass die christliche Vorstellung vom Jenseits und die Gefahr der ewigen Höllenqual auf andere Menschen sehr beängstigend wirken. Schließlich habe er Familie, Freunde und Verlage benachrichtigt, dass er seine Tätigkeit aufgebe und nun Atheist sei. Seinen Vortrag schloss Barker mit einem weiteren Lied am Flügel ab.

Ab 21:00 Uhr genossen Teilnehmer und Referenten den Abend bei herrlichem Wetter im Biergarten des Comedia-Theaters.

Die Atheistische Perspektive - Bericht 2. Teil

alle Fotos © Evelin Frerk