Der Kampf gegen die Zensur

Aus: IBKA Rundbrief März 2000

Um den Teilnehmern der letzten IBKA-Mitgliederversammlung ein Highlight zu bieten, das Spaß machte und gleichzeitig informierte, konnte Michael Schmidt-Salomon gewonnen werden, unter dem Thema "Heiliger Zwang und Politische Zensur" einen Vortrag zum Straftatbestand "Gotteslästerung" zu halten, gespickt mit Auszügen aus seinem verbotenen – aber trotzdem mittlerweile recht bekannten - Stück "Das Maria-Syndrom".

Damit dem Recht Genüge getan wurde – Gläubige, deren Gefühle eventuell verletzt werden könnten, hatten sich allerdings nicht in die Jugendherberge zu Fulda verirrt –, läutete M.S.S. vor jedem Zitat das Glöckchen, damit empfindliche Gemüter Gelegenheit hatten, sich schnell die Ohren zuzuhalten.

Wer dies gemacht hätte, hätte sich allerdings selbst um das größte Vergnügen gebracht. In bester Schauspielermanier mimte M.S.S. abwechselnd die verschiedenen Charaktere seines Stückes.

"Nein, Freunde! Lasst den Zweifel nicht zu! Lasst den Teufel nicht hinein in Euer Herz! Verschließt Eure Augen und Ohren, bevor es zu spät ist! Brüder und Schwestern, Ihr müsst glauben! Nur der Glaube kann uns retten. Nur der Glaube. Der bedingungslose Glaube. Der totale Glaube, der noch totaler und radikaler ist, als wir es uns vorstellen können. Ich frage Euch: Wollt Ihr den totalen Glauben? Wollt ihr ihn, wenn nötig, noch totaler und radikaler, als wir ihn uns überhaupt noch vorstellen können?

Dann lasset uns beten, wie der Vater uns zu beten gelehrt hat...

Gesegnet sei der Schmerz. - Geliebt sei der Schmerz. - Geheiligt sei der Schmerz. - Verherrlicht sei der Schmerz..." [aus: "Das Maria-Syndrom]

Während M.S.S. seinen Vortrag immer wieder durch Zitate unterbricht – immer mit Glöckchen, Herr Richter! – informiert er seine Zuhörer darüber, wie es dazu kam, dass sein Stück höchstrichterlich verboten wurde. U.a. verstiegen die RichterInnen sich zu der Behauptung, dass die Tatsache, dass von christlich fundamentalistischer Seite Morddrohungen gegen den Autor ausgestoßen wurden, ein Beleg dafür sei, dass das Stück den öffentlichen Frieden stört! Da fragt man sich doch, wer hier eigentlich den Frieden stört.

M.S.S. kommt jedenfalls zu dem Schluss: "Wer Zensur erlaubt, will Denken verbieten", und berichtet den Zuhörern über die Geschichte des Paragraphen 166, des sog. "Gotteslästerungsparagraphen".

Nachdem im Zuge der Aufklärung Scheiterhaufen für Ketzer nicht mehr opportun waren, machte sich die Kirche die weltliche Gerichtsbarkeit zunutze. Seit 1872 ging man in Deutschland mit dem § 166 gegen Gotteslästerer vor.

Der Paragraph wurde zwar im Zuge der Strafgesetzreform 1969 abgeschafft. Aber man verständigte sich auf den Kompromiss des jetzigen § 166. Nun lag die vorrangige Gewichtung auf der Bekenntnisbeschimpfung, so dass seitdem weniger Gott als die großen Kirchen gegen Kritik geschützt sind.

Wohlgemerkt, die Kirchen und andere Religiöse werden vor Gericht beschützt. Wollten Atheisten diesen Paragraphen aber mal zu ihrem Schutz in Anspruch nehmen – denn beschimpft werden wir oft von christlichen Politikern und Kirchenleuten –, sind deren Anzeigen gegen Christen nie verfolgt worden, obwohl es wörtlich in § 166 heißt: "Wer öffentlich [...] den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft ...".

M.S.S. berichtetet davon, dass vor allem in Krisenzeiten der Paragraph herangezogen wurde, um Strömungen der Entchristlichung zurückzudrängen und um das Christentum zu stabilisieren. Das war gehäuft in den 1920er Jahren der Fall, dann 1968, 1982 - nach der "geistig-moralischen Wende" -, und auch seit dem Anfang der 90er Jahre bemerkt man wieder verstärkt Verfahren zum § 166.

Um – nicht nur im Fall des "Maria-Syndroms" – gegen dieses Gesetz vorzugehen, gründete M.S.S. mit Mitstreitern des Libertären Forums aus Aschaffenburg die "Kampagne gegen Zensur".

Ziel ist neben der Aufhebung des Aufführungsverbots, die Öffentlichkeit für die Gefahr zu sensibilisieren, die Zensur und damit ein Denkverbot mit sich bringt. Letztendlich will man die ersatzlose Streichung des § 166 erreichen.

Welche Erfolge hat man bisher erreicht?

Da nur die Aufführung des "Maria-Syndroms" verboten wurde, hat man im April 1998 das Internet als Medium genutzt, um den Text des Stückes dort zu veröffentlichen – bisher unzensiert. Auf der Frankfurter Buchmesse hat M.S.S. Auszüge daraus gelesen.

Nun plant man eventuell ein Buch mit dem Text des Stückes zu veröffentlichen und eine CD zu produzieren. Im Zuge der modernen Technik wird es auf jeden Fall immer schwieriger, etwas endgültig und durchgreifend in allen Medien zu zensieren.

Auch Sender sind an M.S.S. herangetreten. Der WDR hatte bereits eine Radiosendung zu dem Thema "Straftatbestand: Gotteslästerung" u.a. mit M.S.S. fertig produziert. Aber kurz vor der Ausstrahlung hat die innere Schere im Kopf der Journalisten zugeschnappt, und aus Angst vor dem Paragraphen hat man vorsorglich die Sendung über Zensur zensiert – sie wurde abgesetzt.

"Mißtraut denen, die da sagen,
Daß Gott auf ihrer Seite steht.
Sie sind nur so nah ihrem Gott
Weil sie so fern
Dem Menschen sind.
Das jenseitsgetrübte Auge
Es übersieht allzu gerne
Das Unrecht im Diesseits
Ihm verklärt sich
Das Leid zur Freude
Das Verbrechen zur Heldentat und
Das Joch zum Siegessymbol"
[aus: "Das Maria-Syndrom"]

Das Stück hat noch weitaus bessere Auszüge zu bieten. Aber die muss man hören und sehen – Lesen bietet nur das halbe Vergnügen.

HJ