Wertevermittlung durch Religionsunterricht

Interview mit der Pressesprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin

Aus: IBKA Rundbrief März 2000

Zur Zeit ist der Religionsunterricht in Berlin kein Pflichtfach. Aber trotz Ausübung von Druck durch die Kirchen wurde das Thema in den Koalitionsverhandlungen außen vor gelassen. In der SPD gab es eine klare Entscheidung gegen Religionsunterricht, und der Partner CDU wollte der Entscheidung des Gerichtes nicht vorgreifen.

Aber nur zwei Wochen nach dem kategorischen Nein der SPD-Verhandlungsdelegation setzt sich der neue Schulsenator Klaus Böger für einen obligatorischen Religionsunterricht an Berlins Schulen ein. Dagegen hat sich ein Aktionsbündnis gebildet. Dem Zusammenschluss gehören etwa zwei Dutzend Verbände, Parteien und Einzelpersonen an, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Vertreter der SPD , der PDS, von Bündnis 90/Die Grünen, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sowie des Humanistischen Verbandes.

Die junge Welt fragte am 16.12.99 Sigrid Baumgardt, Pressesprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin

F: Berlins neuer Schulsenator Klaus Böger (SPD) schließt die Einführung von Religionsunterricht als Wahlpflichtfach nicht mehr aus. Wie ist die Position der GEW?

Wir sprechen uns ganz eindeutig gegen die Einführung des Fachs Religion als Wahlpflichtfach aus. Kirche und Staat müssen getrennt bleiben. Es ist nicht Aufgabe der staatlichen Schule, bekennenden Religionsunterricht zu erteilen.

F: Nach Bögers Meinung reichen aber die bisherigen Angebote auf freiwilliger Basis an den Schulen nicht aus.

Das Problem der Werteerziehung, dem Böger begegnen will, kann nicht mit Religionsunterricht gelöst werden. Die Werteerziehung kann nicht auf bekennenden Religionsunterricht reduziert werden. Zur Werteerziehung gehört doch zum Beispiel auch Umwelterziehung. Sie kann also auch in naturwissenschaftliche Fächer mit einfließen oder in den Sprachunterricht. Religion, also Glaubensfragen, zu unterrichten, so wie Mathematik oder Fremdsprachen, geht nicht. Das ist kein akademisches Vermitteln. Wenn man Schülern christliche Werte mitgibt, heißt es noch längst nicht, dass sie sich zwischenmenschlich besser verhalten. Es müsste ein besseres Verständnis unter den Schülern geschaffen werden. Ein gegenseitiges Verständnis, auch mit kulturellem Hintergrund. Dazu reicht es nicht, wenn man für die einzelnen Religionen bekennenden Religionsunterricht einführt.

F: Bisher hatte die SPD die Forderung der CDU nach Religionsunterricht stets abgelehnt. Selbst in den gerade geführten Koalitionsverhandlungen konnte man sich nicht einigen. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Wandel?

Ja, das kam sehr überraschend. Da bin ich schlicht überfragt. Wir können Herrn Böger nur auffordern, sich an die Beschlüsse seiner Partei zu halten. Die Partei hatte doch eindeutig beschlossen, dass Religionsunterricht weiterhin freiwillig besucht werden soll in Berlin.

F: Gab es schon Gespräche mit Herrn Böger? Hat die Gewerkschaft in dieser Sache überhaupt Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht?

Es gab noch keine Gespräche und auch noch keine Termine für solche. Ich gehe aber davon aus, daß die stattfinden werden, da dies eine Entscheidung ist, die nicht einfach über die Köpfe der Betroffenen und derjenigen, die Bildung betreiben und bildungspolitisch wirken, hinweg getroffen werden kann. Das Kräfteverhältnis ist schwer zu beschreiben. Letztlich liegt die Entscheidung bei Herrn Böger. Es geht aber darum, eine für alle Beteiligten tragfähige Konstruktion zu schaffen, wo alle an einem Strang ziehen. Das ist mit Sicherheit auch das Interesse von Herrn Böger. Gerade wenn es um Werteerziehung geht: Einer der demokratischen Grundwerte ist es, die Basis zu befragen. Wenn er sich an dieser Stelle dagegen verhält, dann kann man sich fragen, was er mit Werteerziehung erreichen will.

F: Wird die GEW im Dialog mit Herrn Böger an ihrer Meinung festhalten?

Die Position der GEW wird sich in dieser Frage nicht ändern. Sie muss natürlich auch an der Idee, wie man Werteerziehung vermittelt, weiterarbeiten. Wir müssen auf unsere Realität hier in Berlin reagieren. Die ist eben multikulturell und multireligiös. Aber wir reagieren mit Sicherheit falsch, wenn wir kein intensiveres Kennenlernen der Kulturen untereinander fördern. Es bringt nichts für das gegenseitige Kennenlernen, wenn man bekennenden Religionsunterricht einführt.