§ 166 StGB - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 4/97

Was sich Anfang des Jahres abgezeichnet hat, ist zumindest teilweise eingetreten: eine Verschärfung der Situation an der "Gotteslästerungs-Front". Zwar sind es relativ wenige Fälle, die uns in den letzten Monaten bekannt wurden, doch erstmals seit 20 Jahren hat es wieder eine Verurteilung zu einer Haftstrafe gegeben. Zudem legten drei CSU-Bundestagsabgeordnete, unter ihnen auch der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Norbert Geis, im Sommerloch die Forderung auf den Tisch, den Paragraphen 166 StGB dadurch zu verschärfen, daß nicht mehr der öffentliche Friede, sondern das Bekenntnis an sich geschützt werden sollte. Damit wären Intoleranz und Kritikunfähigkeit in den Stand einer "religiösen Freiheit" erhoben und bei jedem Flugblatt oder Karikatur läge ein "Grundrechtskonflikt" mit der Meinungs- oder Kunstfreiheit vor. Die Folgen kann mensch sich leicht ausmalen.

Gegen diese konservativen Versuche, Kritik an Religion und Kirche juristisch zu belangen, richtet sich eine Kampagne, die im Januar anlaufen wird. Sie zielt zunächst darauf, das derzeit verbotene Musiktheaterstück "Das Maria-Syndrom" zur Aufführung zu bringen, und darüberhinaus auf die völlige Abschaffung des Zensurparagraphen.


Regensburg

Klage zurückgenommen

Knapp anderthalb Jahre nachdem ein Strafbefehl in Höhe von DM 1.200 (oder 30 Tage Haft) ergangen war, hat der zuständige Oberstaatsanwalt die Klage gegen Ernst Seler zurückgezogen. Dem Kläger in Sachen "Kruzifixe in bayerischen Klassenzimmern" war vorgeworfen worden, er habe am Rande einer Pressekonferenz im August 1995 das Kruzifix mit einem "erigierte(n) Penis" verglichen. Seler hatte bestritten, diesen Satz überhaupt gesagt zu haben, kam der polizeiliche Vorladung aber nicht nach, da ihm die Begleitung durch eine Vertrauensperson verweigert wurde. Daraufhin erließ das Amtsgericht den Strafbefehl, gegen den Selers Anwältin Widerspruch einlegte.

Für den 5.Juni 1997 war die Hauptverhandlung angesetzt, auf der es um die Frage gehen sollte, ob das Kruzifix als "spezifisches Glaubenssymbol des Christentums ..., welches die im Opfertod Christi vollzogene Erlösung des Menschen von der Erbschuld" versinnbildliche, durch den Vergleich mit einem Sexualorgan "in einer Weise beschimpft (wurde), die geeignet war, das allgemeine Friedensgefühl innerhalb der christlichen Bevölkerung nachhaltig zu stören". Die Verteidigung wollte zu diesem Termin ein Gutachten des ehemaligen Dekans der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Hubertus Mynarek, vorlegen, in dem diese Frage unter den verschiedensten Gesichtspunkten erörtert wird. Dazu kam es jedoch nicht, da die Staatsanwaltschaft mit einem auf den 22.April datierten Schreiben ihre Klage zurückzog und die Verhandlung daraufhin abgesetzt wurde.

Damit ist der durchsichtige Versuch gescheitert, Ernst Seler mit Hilfe der Justiz für seinen Widerstand gegen den institutionalisierten Verfassungsbruch des Freistaates Bayern abzustrafen.

Quelle: Pressemitteilung der Anwältin Selers vom 3.6.1997.


Köln

Haftstrafe für Fotos im Dom

Erstmals seit Jahren ist es in einem "Gotteslästerungs"-Verfahren wieder zur Verurteilung zu einer Haftstrafe gekommen. Betroffen war ein 35jähriger Fotograf, der im Sommer letzten Jahres die Paradiesszene im Altarbereich des Kölner Doms nachstellen ließ (vgl. MIZ 1/97). Die Anklage lautete zusätzlich auf Hausfriedensbruch und Störung der Religionsausübung. In dem Foto-Happening, das nach einer Minute von Kirchendiener gewaltsam beendet wurde, sah der Richter eine "Mißachtung allerheiligsten, geweihten Bodens"; als Indiz für die Störung des öffentlichen Friedens wurden die zahlreichen Leserbriefe wütender ChristInnen an Tageszeitungen, die über den Vorfall berichtet hatten, angeführt. Folglich erkannte das Amtsgericht auf vier Monate Haft auf Bewährung und DM 3.000 Geldstrafe; das männliche Modell wurde zu einer Geldstrafe von DM 3.600 verurteilt. Die "Eva" folgte der Vorladung nicht und wurde später polizeilich vorgeführt.

Die Aktfotos dürfen aufgrund einer einstweiligen Verfügung übrigens nicht veröffentlicht werden.

Quellen: Süddeutsche Zeitung vom 3.8.1997.


Cyberspace

Keine Anklage gegen T-Shirt-Werbung

Zu keiner Anklage kam es im Falle einer Werbeseite im Internet, auf der ein T-Shirt angeboten wurde, auf dem ein ans Kreuz genageltes Schwein zu sehen war. Auf eine Strafanzeige der Diözese Regensburg hin wurde die Staatsanwaltschaft zwar aktiv, kam aber zu dem Schluß, daß die Abbildung im Internet keiner breiteren Öffentlichkeit zugänglich sei und deshalb keine Störung des öffentlichen Friedens vorliege - obwohl die Abbildung als "geschmacklose Beschimpfung der christlichen Religion" zu werten sei.

Diese Entscheidung war einer der Auslöser für die Initiative der drei CSU-Abgeordneten, die Störung des öffentlichen Friedens als Voraussetzung für die Strafbarkeit des Delikts aus dem Gesetzestext zu streichen. Daß der Anstoß hierzu aus Regensburg kam, ist nicht überraschend; dort residiert Generalvikar Wilhelm Gegenfurtner, der sich seit Jahren für die Zensur von Satire und Religionskritik einsetzt (vgl. MIZ 2/95).

Quelle: WELT vom 3.7.1997.