Kriminalgeschichte des Christentums
"Kriminalgeschichte des Christentums" -
Neuerscheinung von Karlheinz Deschner
Aus: MIZ 4/86
Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums; Band I: Die Frühzeit: Rowohlt, 544 Seiten, gebunden DM 48,-.
"1970 schloß er (Deschner) mit dem Rowohlt Verlag einen Vertrag über die 'Kriminalgeschichte des Christentums'. Sechzehn Jahre später erscheint der erste Band. So steht es unter "Biographisches" in der 79seitigen Rowohlt-Broschüre "Über Karlheinz Deschner - Leben, Werke, Resonanz. Eine Dokumentation", die im September 1986 zusammen mit dem ersten Band der "Kriminalgeschichte" erschienen ist.
Die lange Zeitspanne zwischen Vertragsabschluß und Auslieferung zeugt von den Schwierigkeiten, die sich einem Schriftsteller wie Deschner und einem liberalen Verlag beim Veröffentlichen eines solchen Manuskripts in der BRD entgegenstellen.
Der Autor Deschner hat seinen Überlebenskampf vorerst gewonnen, wenigstens literarisch - von der Sprache, den Argumenten und dem Material her ist Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" schon im ersten Band nicht zu überbieten; von den Spuren, die eine derartige geistige und materielle Abnutzungsschlacht im privaten Bereich hinterlässt sei hier nicht die Rede. Sie lassen sich allenfalls zwischen den Zeilen erahnen. Dem Rowohltverlag ist es hoch anzurechnen, daß er gerade diesem kirchenkritischen Autor bis heute die Treue gehalten hat. Insbesondere die (kostenlose) Herausgabe der bereits erwähnten Informationsbroschüre ist heutzutage in der Verlagsbranche ganz und gar unüblich.
Die "Kriminalgeschichte" ist auf mehrere Bände angelegt - wieviel Bände genau, wissen gegenwärtig weder Verlag noch Autor. Der zweite Band soll "voraussichtlich 1988 lieferbar sein", und "die folgenden Bände werden - wenn alles wie geplant verläuft - im Abstand von je zwei Jahren erscheinen". Deschners " Kriminalgeschichte" ist ein politisches Signal, gerade unter den jetzigen gesellschaftlichen Verhältnissen, wer will da vorher sagen, ob alles wie geplant verlaufen wird?
Eine Mitverantwortung für das weitere Schicksal Deschners und seiner "Kriminalgeschichte" trägt zweifellos dessen Leserschaft. Wenn dieses epochale Werk nicht in das Gedankengut aufgeklärter Bevölkerungsgruppen Eingang finden wird - ob dafür oder dagegen, Hauptsache: überhaupt - dann sind jene "geistesfernen Zeiten" (Wollschläger) bereits heraufgezogen, in denen weder ein kritischer Autor noch ein kritischer Verlag, geschweige denn ein kritisches Buch überleben kann. Ob der politisch-kulturelle Entwurf eines Einzelnen umsetzbar ist, wird sich bald zeigen. Es liegt an uns, die Chance zu nutzen.
Der nachstehende "programmatische Essay": "Was ist Geschichtsschreibung, und was könnte sie sein?" von Karlheinz Deschner ist ein Auszug aus der 60 Seiten umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk der "Kriminalgeschichte des Christentums" , Band I. Er möge unseren Lesern einen Vorgeschmack von dem vermitteln, was sie bei Deschners Lektüre erwartet.
Wir veröffentlichen den genannten Text mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags.
Frank L. Schütte
Karlheinz Deschner:
Was ist Geschichtsschreibung, und was könnte sie sein?
Ein programmatischer Essay
Niemand wird erwarten, daß der Autor einer "Kriminalgeschichte des Christentums" die Prinzipien seiner Historiographie von der Offenbarung, von Rom her, übernimmt oder auch von irgendwelchen spiritualisierten protestantischen Kirchenbegriffen, irgendeinem noch so "progressiven" theologischen Geschichtsverständnis. Mystifizierende Grenzüberschreitungen, Kategorien übernatürlicher Perspektive, der Weg aus der Geschichte in die "Übergeschichte", vom irdischen zum himmlischen Äon, all dies bleibt den Aposteln eines heilsgestifteten Geschichtswahns überlassen, jenen allzuvielen Kirchendienern, die meist schon durch Taufwasser, Mutterbrust, Familie, im Grunde durch eine geographische Zufälligkeit, später durch Würden, Ehren, Stühle, Pfründen zusätzlich gefesselt und nach meiner Erfahrung gewöhnlich desto ungläubigere "Gläubige" sind, je intelligenter sie sind.
Wie steht es aber mit meiner Objektivität? Bin nicht auch ich einseitig? Voreingenommen?
Selbstverständlich! Wie jeder Mensch! Denn jeder ist subjektiv, jeder vielfältig geprägt, individuell und gesellschaftlich, durch Herkunft, Erziehung, soziale Umwelt, durch seine Zeit, seine Lebenserfahrung, Erkenntnisinteressen, seine Religion oder Nichtreligion, kurz, durch eine Fülle verschiedener Einflüsse, ein ganzes Netz von Gebundenheiten ...
Jahrzehnte mit dem Studium der Geschichte, besonders der des Christentums, befaßt, habe ich mir, bei immer größerem Vertrautwerden damit, eine bestimmte Geschichtsphilosophie (ein von Voltaire geprägtes Wort) gebildet, eine Meinung vom Christentum, die nur deshalb nicht schlechter wird, weil sie gar nicht schlechter werden kann, womit ich mich allerdings in bester Gesellschaft befinde. Doch indem ich meine Subjektivität, meinen "Sehepunkt" und "Standort" klipp und klar darlege, sieht sich der Leser durch mich nicht düpiert wie durch jene skrupellosen Schreiberlinge, die ihr Bekenntnis zum Glauben an Wunder und Weissagungen, Transubstantiation und Totenauferweckung, an Höhen- und Himmelfahrten und sonstige Mirakel schamlos mit dem Bekenntnis zur Objektivität verbinden, zur Wahrheit und Wissenschaft ...
Nun gibt es nicht wenige Leute, die meinen, kritisieren sei leicht. Vor allem meinen dies solche, die es nie oder nie ernsthaft versucht haben, aus Opportunismus, Indolenz oder Unfähigkeit. Ja, es gibt Leute, die nichts häßlicher finden als Kritik - wenn sie ihnen gilt. Sie würden das nie zugeben. Sie würden und werden immer sagen: Wir haben gar nichts gegen Kritik, wir sind sehr für Kritik. Doch eine fördernde, aufbauende, konstruktive Kritik. Nicht für eine zersetzende, niederreißende Kritik. Wobei aufbauend immer die ist, die sie schlimmstenfalls bloß beiläufig, wenn nicht gar nur scheinbar kritisiert, um sie dann desto besser bejahen und bejubeln zu können. "Zerstörerisch" aber, "unfruchtbar", "verdammenswert", ist natürlich jede Attacke, die ihre Fundamente angreift und ruiniert. Je überzeugender sie ist, desto mehr wird sie verteufelt - oder totgeschwiegen.
Am meisten kritikempfindlich sind klerikale Kreise. Gerade jene, die zwar rufen: Richtet nicht!, doch selber alles, was ihnen nicht paßt, in die Hölle schicken, gerade jene, deren Kirche sich als erste Moralinstanz der Welt aufspielt, seit Jahrhunderten aufgespielt hat und weiter aufspielen wird, gerade jene sind hell empört, beginnt da einmal einer sie selber zu messen, zu richten, und je schärfer, je vernichtender dies geschieht, desto zorniger sind sie, wütender - wobei ihr Zorn und ihre Wut (im Unterschied zu unseren Affekten) heiliger Zorn sind, heilige Wut oder auch Zornmut, "geordneter Zornmut" natürlich, laut Bernhard Häring, dem Moralexperten, "eine überaus wertvolle Kraft zur Überwindung der Widerstände gegen das Gute, zur Erstrebung des hochgespannten, aber schwer erreichbaren Zieles. Wer nicht zürnen kann, dessen Liebe ist nicht blutvoll(!). Denn wenn wir blutvoll, mit allen leibseelischen Energien das Gute lieben, werden wir mit den gleichen Energien dem Bösen widerstehen. Christlich ist nicht die träge Gelassenheit gegenüber dem Bösen, sondern mutiger Einsatz gegen dasselbe unter Anspannung aller Kräfte; und dazu gehört auch die Kraft des Zornmutes" ...
Ich bekenne mich, wie jeder Gesellschaftskritiker, zur wertenden Geschichtsschreibung. Ich betrachte die Geschichte, wie mir das nützlich, weil notwendig scheint, ethisch engagiert unter dem Anspruch eines "humanisme historique". Für mich ist ein Unrecht, ein Verbrechen, vor fünfhundert, tausend, fünfzehnhundert Jahren genauso lebendig und empörend wie ein Unrecht, ein Verbrechen, das heute geschieht oder erst in tausend, in fünftausend Jahren.
Ich schreibe also politisch motiviert, das heißt in aufklärerisch-emanzipativer Absicht. Die "histoire existentielle" steht mir allemal näher als die "histoire scientifique". Und die neuerdings vielverhandelte Frage, ob Geschichte überhaupt eine Wissenschaft sei - schon von Schopenhauer und Buckle bestritten -, kümmert mich wenig; ja, die argumentativen Anstrengungen (und Verrenkungen) so vieler Berufshistoriker, den Wissenschaftscharakter ihrer Disziplin (und ihr Ansehen) zu wahren, erscheint mir suspekt, weniger "wissenschaftlich" oft als "allzumenschlich". Solange es unseresgleichen gibt, wird man Geschichte treiben, mag man ihr das Prädikat Wissenschaft zuerkennen oder nicht. Wozu die Aufregung! Die Theologie ist auch keine Wissenschaft, allenfalls die einzige, deren Vertreter - und das läßt sich den Historikern nicht nachsagen - keine Ahnung von ihrem Forschungsobjekt haben; und doch verfügt sie über verhältnismäßig weit mehr Lehrstühle als jede andere. Zumindest hierzulande gab es in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Würzburg für 1149 Studenten dem wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät 10 Lehrstühle, für 238 Theologen 16! Ja, in Bamberg finanzierte damals der christlich-sozial regierte Freistaat Bayern für 30 Theologen 11 Professuren! Für 30 künftige Gottesgelehrte, sofern sie nicht trotz allem absprangen, immer noch mehr Ordinarien als für 1149 Studenten einer weniger jenseitsbezogenen Wissenschaftsrichtung ...
Doch wo Geschichte "mit rücksichtsloser Gewalt" geschieht, vollzieht sich da "die Ausbreitung des Reiches menschlichem Gesittung"? Offensichtlich - und entsprechend geht diese immer weiter, in Europa, Amerika, darüber hinaus, vom allem unter christlichem Vorzeichen: fortgesetzte schreiende Ausbeutung und ein Krieg nach dem anderen - doch keine Übertreibung! -, bis schließlich der Untergang Europas oder gar der Menschheit droht ...