"Give Peace A Chance" - 1

Tagungsbericht vom ersten Tag der International Atheist Convention, 22. Mai 2015

von Carlos Zydorek und Jan Hedrich
René Hartmann

René Hartmann

Die internationale atheistische Tagung unter dem Motto "Give Peace a Chance" wurde eröffnet von René Hartmann, dem 1. Vorsitzenden des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA). Hartmann trug zunächst ein Grußwort von Landessprecher Ralf Michalowsky der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen vor. Dieser kritisierte die Privilegierung der Religionsgemeinschaften und ihren unverhältnismäßig großen politischen Einfluss angesichts einer kontinuierlich schwindenden Rolle von Religion in der Gesellschaft. Michalowsky plädierte in seinem Grußwort für eine geschlossene Bewegung von Menschen, die die Religionen auf politischer Ebene in die Schranken weisen und wünschte der Tagung viel Erfolg.

Richard Honess

Richard Honess

Es folgte eine kurze Vorstellung der Atheist Alliance International (AAI) durch ihr Vorstandsmitglied Richard Honess. Honess ging auf die Ziele der AAI ein, nämlich religiös verfolgten Individuen weltweit und insbesondere in Entwicklungsländern zur Seite zu stehen, sowie atheistische Organisationen zu vernetzen und eben solche Events wie die aktuelle Tagung zu veranstalten.

Dan Barker

Dan Barker

Dan Barker (Freedom From Religion Foundation, USA) begann mit dem ersten Vortrag.
Barker startete musikalisch und trug das Lied "Die Gedanken sind frei" vor. Dieses Lied eröffne jede Veranstaltung der Stiftung in den USA. Barker appellierte, sich von Dogmen zu befreien und selbst zu Denken. Zu diesem Thema gab er ein weiteres Lied zum Besten.

Der erste Schritt zum Frieden sei eine neutrale und säkulare Regierung. Nur eine solche könne sich allen Bedürfnissen gleichermaßen widmen. Barker dachte früher selbst, Friede könne nur von Oben, von Jesus kommen – ein Friede welcher top-down, von oben herab käme, durch die Gnade Gottes. Dies sei die Grundauffassung jeder Religion. Friede könne es nur auf den Knien vor dem Herrn geben. Barker zog Parallelen zum Pax Romana, welcher nach dem gleichen Prinzip funktionierte: Unterwerfe dich dem Römischen Imperium, oder sterbe durch das Schwert der Legionäre.

Die Bibel berichte vom Frieden, doch biblischer Friede sei Friede im Sinne des Pax Romana. Das Wort Shalom aus dem jüdisch-christlichen Kontext drücke dieses ebenso aus. Kapituliere vor Gott, oder stirb durch das Schwert.

Barker fuhr fort mit dem "Sinn des Lebens". Viele Menschen fragten sich, was denn dieser Sinn des Lebens sei. Wir Freidenker könnten die frohe Botschaft verkünden: es gibt keinen Sinn. Dies sei eine wirklich frohe Botschaft, nicht wie die vermeintlich frohe Botschaft der Religionen. Suche man nach einem Sinn der über den Menschen stehe, spiele der Mensch immer nur eine untergeordnete Rolle. In unserem Leben selbst sei der Sinn, nicht in einem irgendwie gearteten "über-uns". Es gehe nicht um den Sinn des Lebens, sondern um den Sinn in unserem Leben. Solange sich die Menschheit noch solch großen Herausforderungen gegenüber sieht wie im Moment, gäbe es immer Raum, einen Sinn für sich zu entdecken.

So sollten wir uns alle fragen, ob wir den "top-down" Frieden haben wollen, gleich dem Pax Romana, oder wirklichen Frieden und auch einen tatsächlichen Sinn. Sich allein von den Religionen zu befreien, sei noch nicht der Endpunkt, aber es wäre ein erster Schritt, Raum für eine wirkliche Suche nach Sinn und Frieden zu schaffen.

PZ Myers

PZ Myers

PZ Myers betrachtete die Fragestellung der Chancen für Frieden durch Säkularisierung unter den Gesichtspunkten aufklärerischer Ideen. Laut des bekannten Bloggers sei es nicht ausreichend, die säkulare Bewegung auf die bloße Ablehnung des Glaubens an höhere Mächte zu reduzieren. Vielmehr sei es die Gesamtheit der Werte der Aufklärung, wie etwa die wissenschaftliche Methode, die Demokratie und die Gleichheit aller Menschen, die zu einer besseren und friedlicheren Welt führe. Diese Ideen, die vielfach auch Eingang in die Popkultur gefunden hätten – wie er am Beispiel von STAR TREK ausführte – fänden heute eine sehr breite Anerkennung in der gesamten Gesellschaft, auch wenn immer noch viele Menschen dem Atheismus kritisch gegenüber stünden.

Welche Folgen die Ignoranz dieser Werte habe, stellte er am Beispiel seines Heimatlandes, der USA dar. Obwohl die Gründung der USA auf den Ideen der Aufklärung fuße, diese das Fundament der Verfassung bildeten und die USA somit an der Speerspitze der Staaten stehen müsste, die diese Werte in der Welt vorantreiben, geschehe zur Zeit das Gegenteil dessen. So vergifte eine Atmosphäre der Angst vor Feinden der USA die Gesellschaft, die Innenpolitik nehme naive Formen des Kapitalismus an, die Sexualerziehung schreite ins Mittelalter zurück und das Erbe der Sklaverei komme wieder auf, wie an aktuellen Formen von Rassismus erkennbar sei.

Das Mittel zu fortschrittlicheren Gesellschaften sei eine ausbalancierte Mischung aller Werte der Aufklärung. Insbesondere dürften einzelne Ideen nicht über andere gestellt werden, sondern es müsse ein Ausgleich aus dem gesamten Gedankenpool der Aufklärung gefunden werden.

Nada Peratović

Nada Peratović

Der Beitrag von Nada Peratović stellte das "Center for Civil Courage" Kroatien vor. Die Frage die sich zuerst stelle, sagte Peratović, sei, wieso gebe man sich nicht einen dezidiert atheistischen oder humanistischen Namen, sondern nenne es "Center for Civil Courage".

Ihrer Meinung nach sei Zivilcourage von Vernunft und Wissen angeleitet und beinhalte die Fähigkeit "Nein" zu sagen. Daraus folge, dass wir alle wählen könnten was wir tun wollten.

Das Center orientiere sich an der Philosophie des evolutionären Humanismus, welche sie von der Giordano-Bruno-Stiftung kennen gelernt hätten.

Weiter zeigte Peratovic die Situation der Humanisten in Kroatien auf. Früher, zu Zeiten des Sozialismus, sei der Atheismus vorgeschriebene Staatsräson gewesen. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und dem darauf folgenden Jugoslawischen Krieg seien viele der einstigen Atheisten quasi über Nacht zu Gläubigen Christen geworden. Auch folgten aus dem Kollaps des Systems viele religiöse Freiheiten. Diese neu entstandenen Rechte seien vor allem für die katholische Kirche nutzbringend gewesen: Steuerbegünstigungen, staatliche Subventionen, Immobilien, kirchlicher Religionsunterricht in den Schulen etc. Trotz katastrophalen wirtschaftlichen Zuständen – Menschen seien obdachlos – bekäme die katholische Kirche unverändert ihre finanzielle Unterstützung vom Staat.

Besonders der katholische Religionsunterricht sei ein Problem, da es keine Alternative zu diesem "Lehrfach" gäbe. Kinder, deren Eltern ihre Teilnahme an dieser vom Staat finanzierten Indoktrination nicht wünschten, würden ausgegrenzt. Das gesamte Schulsystem sei von religiösen Riten durchdrungen. Prozessionen vor Schulbeginn und Schulbücher mit gesungenen Glaubensbekenntnissen sind da nur zwei Beispiele. Doch immer mehr Eltern wehrten sich gegen diese Zustände und ihr Anliegen sei eigentlich nur, die doch säkulare Verfassung des Staates umzusetzen.

Neben den sowieso säkular und atheistisch geprägten Menschen, gäbe es aber auch immer mehr Menschen aus christlichen Kreisen, die sich aufgrund der religiösen Homophobie und überkommenen Familienbildern von der Kirche distanzierten. Genau diesen Menschen müsse man eine säkulare Alternative aufzeigen. Denn Säkularismus schütze nicht nur Menschen wie uns, sondern auch gläubige Menschen.
Des Weiteren seien in Kroatien gesellschaftliche Fortschritte in Gefahr. Familienplanung und Schwangerschaftsabbrüche wären immer wieder Gegenstand kirchlicher Attacken.

Am Ende ihres Vortrags stellte Peratović ihr Buch "Humanismus für Kinder" vor, welches in immer mehr Sprachen übersetzt wird.

Grußwort "Partei der Humanisten"

Religionen machen Politik – darf Humanismus nicht auch Politik machen? Unter dieser Leitfrage stellte Franz Eiber Motivation und Ziele der noch jungen Partei der Humanisten vor. Wo staatlich verordnete Religiosität und Einmischung der Religionen in die Politik beobachtbar sei, ginge dies mit geringerer individueller Selbstbestimmung und dem Verlust der Menschenrechte einher, so zeige die weltweite Erfahrung. Auch in Deutschland sei ein beständig hoher Einfluss der Religionsgemeinschaften auf die Politik feststellbar – ob über kirchliche Vertreter in Ethik- und Rundfunkräten oder über professionelle Lobbyarbeit. Andererseits hätte die Gruppe der Konfessionsfreien mit einem Anteil von mittlerweile weit über 30 Prozent keine Repräsentation in demokratischen Gremien. Bisherige Säkularisierungsversuche in etablierten Parteien schlügen aus der Angst fehl, kirchlich gebundene Wähler zu vergraulen.

Eine Einmischung der Humanisten sei folglich nötig und gerechtfertigt. Menschenrechte über Gottesrechte zu stellen – dies sei das Ziel der neuen Partei, und das auch in Wirtschafts- und Steuerfragen, in Fragen von Familie und Sozialem sowie in vielen anderen Bereichen der täglichen Politik. Die Partei der Humanisten sehe im parlamentarischen Weg das beste Mittel, die Menschenrechte als Basis des Staates zu festigen, die Kirchen zu entmachten und jegliche Privilegien der Religionsgemeinschaften abzuschaffen.

Gerhard Rampp

Gerhard Rampp

Gerhard Rampp, langjähriger Redakteur der vom IBKA publizierten "Materialien und Informationen zur Zeit" (MIZ), legte dar, inwiefern die letzten Jahrzehnte als eine einzigartige Epoche in Bezug auf den Verlust der Bindung der Bevölkerung an die christlichen Religionsgemeinschaften verstanden werden können.

Mit zahlreichen statistischen Daten zeigte er auf, dass die Mitgliedszahlen der beiden großen Kirchen seit den 1970er Jahren so stark wie noch nie zuvor in Deutschland gesunken seien. Binnen vier Jahrzehnten verloren sie etwa ein Drittel ihrer Mitglieder, sodass der Anteil konfessionsfreier Bürger mittlerweile auf 38,7 Prozent angestiegen sei, womit diese seit einigen Jahren schon die größte weltanschauliche Gruppe darstellten. Bemerkenswert sei ferner, dass die eigentliche "Katastrophe" für die Kirchen nicht unbedingt in den (sich seit den 2000er Jahren stabilisierenden) Gesamtaustrittszahlen bestehe, sondern vielmehr in den Verlusten bei den Taufen und dem Mitgliederschwund durch Sterbefälle in der zunehmend überalterten Gemeinschaft der konfessionell Gebundenen. Denn die Mehrzahl der Kirchenaustritte erfolge durch die Unter-35-Jährigen, eben jene Generation, die mit ihrer Entscheidung über die Taufe ihrer Kinder einen erheblichen Einfluss auf die zukünftigen Mitgliedszahlen der Kirchen habe.

Falsch wäre es jedoch, diesem vermeintlichen Selbstläufer tatenlos zuzusehen. Vielmehr müssten Politiker konsequent auf die sich ändernde weltanschauliche Struktur der Gesellschaft aufmerksam gemacht werden. Ähnlich wie die etablierten Parteien einst durch das Aufkommen der Grünen auf der politischen Bühne den Umweltschutz für sich einnahmen oder die SPD durch Wahlerfolge der Linken ihre soziale Komponente wiederentdeckte, könnte etwa ein Zuspruch der Wähler bei der "Partei der Humanisten" für eine Besinnung der alten Parteien auf säkulare und humanistische Werte sorgen.

Corinna Gekeler

Corinna Gekeler

Corinna Gekeler gilt als die Expertin für Diskriminierung durch kirchliches Arbeitsrecht, den sogenannten "dritten Weg". In ihrem Vortrag schlug sie die Brücke zur Europäischen Union. Alle Themen, die wir hier bei uns in Deutschland diskutierten, seien auch immer Themen, welche durch europäisches Recht berührt würden.
Die christlichen Kirchen seien in Europa mit der Politik gut vernetzt und betrieben auch erfolgreiche Lobbyarbeit.

Da der deutsche Gesundheits- und Sozialsektor von kirchlichen Arbeitgebern dominiert würde, herrsche hier eine weitgehende Diskriminierung aufgrund kirchlicher Normen. Die Kirchen forderten Loyalität von ihren Angestellten, was impliziere, durch einen Kirchenaustritt sei die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers verletzt und es folge die Kündigung.

Diese diskriminierende Praxis sei durch das nationale sogenannte "Selbstbestimmungsrecht" der Kirchen geschützt. Die Kirchen selbst legten fest, was in ihr Aufgaben- und Zuständigkeitsfeld gehöre. Somit könne man in diesen Fällen von einer Zwangskonfessionalisierung zum Schutze des eigenen Arbeitsplatzes sprechen. Große Teile der Gesellschaft und der Politik unterstützen und duldeten dieses Vorgehen der Kirchen.

Erst in jüngster Zeit wurde die Kündigung eines Chefarztes vom Bundesverfassungsgericht für rechtens erklärt. Dieser Chefarzt maßte sich an, ein zweites Mal zu heiraten. Somit habe er das "heilige" Sakrament der Ehe nicht respektiert, was eine Verletzung eben jener Loyalitätspflicht bedeute und die Kündigung zur Folge hätte.

Eigentlich gäbe es Gesetze, wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, die Diskriminierung am Arbeitsplatz unterbinden sollten, doch die Kirchen fänden immer wieder einen Weg, diese Gesetze zu umgehen.

Um eine solche Vorgehensweise zu verhindern, könnte die europäische Union mit Gesetzgebung eingreifen. Doch damit sie dazu motiviert werde, wäre gute Lobbyarbeit von säkularer Seite nötig.

Zum Abschluss des ersten Kongresstages fanden Gäste, Mitarbeiter und Referenten ihren Weg zur Bar in der Wagenhalle des Comedia-Theaters, wo sich weitere interessante Gespräche ergaben.

Vielen Dank an Evelin Frerk für die wunderbare Fotografie, Lizenzen zur Nutzung der Fotos können beim IBKA erfragt werden.