Kirchensteuereinzug durch den Staat verletzt Religionsfreiheit und Datenschutz

Aus: MIZ 2/81

Am 4. April 1981 tagte in Nürnberg erneut die Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirche mit 20 Teilnehmern, darunter sechs IBDK- und sieben HU-Mitgliedern. Neben einer ausführlichen Diskussion über Strategie und Taktik der Ag ging es diesmal hauptsächlich um die endgültige Fassung eines schon in mehreren Sitzungen diskutierten Papiers mit dem Titel: "Kirchensteuer-Einzug durch den Staat verletzt Religionsfreiheit und Datenschutz" (entworten von Dr. Artur Osenberg, Velbert). Das Papier wurde einstimmig verabschiedet und wird nachfolgend im vollen Wortlaut veröffentlicht.

MIZ-Redaktion

Kirchensteuer-Einzug durch den Staat verletzt Religionsfreiheit und Datenschutz

I. Aktuelle Verfassungswidrigkeiten

Der staatliche Einzug der körperschaftsinternen Kirchensteuer durch die Finanzämter und seine Koppelung mit dem Lohnsteuerabzug zwingt die lohn- und gehaltsabhängigen Arbeitnehmer, ihre Konfession den Einwohnermeldeämtern und durch die Lohnsteuerkarte auch dem Arbeitgeber anzugeben. Bei diesem Verfahren handelt es sich um grobe Verletzungen von altem und neuem Verfassungsrecht sowie der neuesten Datenschutzbestimmungen. Der staatliche Kirchensteuereinzug ist deshalb zu beseitigen und die Einsichtnahme des Arbeitgebers in die Privatsphäre der Arbeitnehmer zu unterbinden.

II. Begründung der aktuellen Forderungen aus altem und neuem Verfassungsrecht

Die Kirchen haben die vorübergehend verfassungslose Zeit nach dem Zusammenbruch von 1945 unter Druck auf alle Parteien ausgenutzt, um in der allgemeinen Verwirrung bis 1949 ihre Machtstellungen stärker auszubauen als jemals zuvor, insbesondere hinsichtlich ihrer Finanzierungsbasis. So besitzen die großen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland heute weitaus mehr Privilegien als nach der Revolution von 1918 und als sie ihnen in den fortschrittlichsten Verfassungen der westlichen Demokratien, nämlich in Großbritannien, in den USA und in Frankreich, gewährt werden.

Die Weimarer Verfassung von 1919 hatte zwar in Art. 137 Abs. 6 - gemäß Art. 140 Bestandteil des Grundgesetzes GG - den Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die Berechtigung zuerkannt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. Durch § 19 Abs. 2 der neuen Reichsabgabenordnung und weitere Gesetze von 1920 wurden die kirchlichen Behörden ermächtigt, den Antrag zu stellen, die Verwaltung der Kirchensteuern auf Reichsbehörden zu übertragen. Dabei hatten ggfs. die Kirchen selbst in den einzelnen Ländern des Reiches ihre Mitglieder namhaft zu machen und über eigene Steuerämter für deren Kirchensteuereinzug zu sorgen. Das 1921 eingeführte Lohnsteuerabzugsverfahren bezog die Arbeitgeber nicht in diesen Prozeß mit ein. Dies geschah erst nach Abschluß des Reichskonkordats am 20. Juli 1933 zwischen dem Vatikan und der Hitlerregierung. Das Muster der Lohnsteuerkarte sah bis zum Erlaß des Reichsfinanzministers vom 9. Juni 1933 (Reichssteuerblatt S.565) noch keine Konfessionsangabe vor; aber schon ein Erlaß vom 4. September 1933 (Reichssteuerblatt S. 898ff.) führte für 1934 erstmals eine Rubrik "Religion" auf der Lohnsteuerkarte ein. Dadurch wurde es dem Arbeitgeber ermöglicht, das Glaubensbekenntnis seiner Arbeitnehmer zu erfahren und zu kontrollieren. So war die Basis dafür geschaffen, auch die Kirchensteuer für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit durch das Lohnsteuerabzugsverfahren einziehen zu lassen. Hiermit wurde in Teilen des Reiches wie Hamburg und Bremen 1934 begonnen*). Damit war nicht nur der oben erwähnte, seit 1919 bestehende Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche durch das nationalsozialistische Regime durchbrochen, sondern auch die klare Bestimmung des Art. 136 Abs. 3 der Weimarer Verfassung - ebenfalls gemäß Art. 140 Bestandteil des GG - grob verletzt: Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

Das Bundesverfassungsgericht hat bisher trotz zahlreicher Verfassungsbeschwerden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Urteil vermieden. Der aus drei Verfassungsrichtern bestehende Vorprüfungsausschuß hat lediglich mit Beschluß vom 23. Oktober 1978 wie schon früher eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe; er hat indessen ausgeführt, daß "Bedenken gegen die verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige Eintragung in die Lohnsteuerkarte lediglich dann bestehen könnten", "wenn" dies "zur Durchführung einer geordneten Besteuerung nicht erforderlich oder für den Betroffenen unzumutbar wäre".

In der Tat ist eine solche Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte weder erforderlich noch zumutbar. Die Regelung ihrer finanziellen Verhältnisse ist ausschließlich Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die Konfessionsangaben der Kirchenmitglieder können von den Einwohnermeldeämtern unmittelbar an die Steuerstellen der Kirchen gegeben werden, ohne daß die Arbeitgeber eingeschaltet zu werden brauchen. Außerdem sollte gesondert überprüft werden, ob nicht die Angabe der Konfession durch die Bürger bei der An-, Ab- oder Ummeldung in den Einwohnermeldeämtern ebenfalls verfassungswidrig ist.

Nordrhein-Westfalen hat als bisher einziges Bundesland mit verfassungsänderndem Gesetz vom 19. Dezember 1978 den Personendatenschutz zum Grundrecht erklärt. Ebenso ist im Zuge der neuerlichen Einführung eines strikten Datenschutzes für die übrigen Länder durch das Bundesdatenschutzgesetz vom 27. Januar 1977 die Übermittlung personenbezogener Daten laut § 10 Abs. 2 an Stellen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften nur "in entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Datenübermittlung an Behörden und sonstige öffentliche Stellen zulässig, sofern sichergestellt ist, daß bei dem Empfänger ausreichende Datenschutzmaßnahmen getroffen werden". Somit ist die angebliche Pflicht der Konfessionsangabe in der Lohnsteuerkarte an Dritte, nämlich den Arbeitgeber als Hilfsbeauftragten des Finanzamtes, des Staates, nicht nur ein Verfassungsverstoß gegen Art. 136 Abs. 3 der Reichsverfassung vom 11.August 1919 in Verbindung mit Art. 140 GG sowie gegen Art. 4 Abs. 1 GG, die Glaubensfreiheit, in Nordrhein-Westfalen auch gegen das Grundrecht des Art. 4 Abs. 2 der Landesverfassung, der folgenden Wortlaut hat: "Jeder hat Anspruch auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Eingriffe sind nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit auf Grund eines Gesetzes zulässig."

Was die bisherige, verfassungswidrige Regelung für die Grund- und Menschenrechte der etwa 600.000 Bediensteten der Kirchen in deren Krankenhäusern, Kindergärten, Altenheime und sonstigen Dienststellen bedeutet, wenn sie aus der Kirche austreten, den Glauben wechseln, glaubensverschiedene Ehen eingehen oder sich scheiden lassen, ist offenkundig. Die Gewerkschaften haben das allmählich erkannt, und die Zahl entsprechender Prozesse steigt. Bei solchen Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers und der Finanzbehörden liegt keine "Freiheit" des Glaubens vor.

Die Rechte aus Art. 7 und 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 sowie gemäß den Art. 9 und 14 der Europakonvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte in Verbindung mit Art. 25 GG sind bisher ebensowenig gewährleistet wie die Freiheiten aus Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte:

Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts vom 19. Dezember 1966 über die bürgerlichen und politischen Rechte lautet:
"Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind" (in der BRD in Kraft seit 23. März 1976).

Art. 9 Abs. 2 der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten lautet ähnlich:
"Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind."

Für die Gewährleistung dieser Rechte ist unter anderem der Art. 53 beachtlich: "Die hohen vertragschließenden Parteien übernehmen die Verpflichtung, sich in allen Fällen, an denen sie beteiligt sind, nach der Entscheidung des Gerichtshofes zu richten." (Der Europäische Gerichtshof - seit 24. Oktober 1961 Bundesgesetz)

Die Einhaltung dieser Rechte ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht sichergestellt. Die Beschwerdeschrift eines Unternehmers zum Europäischen Gerichtshof in Straßburg gipfelte mit Recht in dem Vorwurf klerikaler Rechtsprechung in der BRD. Wo bleibt das Urteilsprinzip des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung 19,216(237), daß der neutrale Staat keiner Religionsgesellschaft Hoheitsrechte gegenüber Personen (somit etwa Lohnsteuer einziehenden Arbeitgebern) verleihen dürfte, die dieser Religionsgesellschaft nicht angehören, und daß er niemanden zur finanziellen Unterstützung von Religionsgesellschaften zwingen dürfe, denen der Betreffende nicht verbunden sei? So wandelt sich die Haltung des Bundesverfas sungsgerichts immer mehr von freiheitlicher Rechtsauslegung zu einem Konservativismus hin, wie er vor 1919 für die deutsche Monarchie typisch war. Man merkt nichts mehr von solchen Entscheidungssätzen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 24, 236/247) wie dem, daß "der religionsneutrale Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen allgemein gültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren hat".

Ein verfassungsrechtlich sauberer Einzug der ohnehin umstrittenen Kirchensteuer dürfte somit nur über eigene Kassen oder Steuerstellen der Kirchen erfolgen - nicht durch Arbeitgeber und Finanzämter - und ist daher über die Verfassungsgerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erstreiten. Letztlich kann nur bestätigt werden, was der Staatsrechtler Freiherr von Campenhausen, ansonsten Rechtsgutachter für die evangelische Kirche, bereits 1971 zum Ausdruck gebracht hat:

"Es zerrüttet jedes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und damit in die staatliche Autorität, wenn Finanzämter über Jahre hin Steuern erheben, deren Verfassungsmäßigkeit in der Öffentlichkeit lebhaft umstritten ist und deren Verfassungswidrigkeit auszusprechen das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main (am 7. November 1969) nur durch Art. 100 GG gehindert worden ist."

Anmerkung der MIZ-Redaktion: Der 7. Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union, die am 20./21. Juni 1981 in Marburg tagte, hat sich lediglich aus Zeitgründen nicht mehr mit einem Antrag der HU-Mitglieder Bickel, Jungbluth und Osenberg befassen können, wonach der Bundesvorstand der HU beauftragt werden soll, "die von der Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirche erarbeiteten Thesen zum Kirchensteuer-Einzug zu übernehmen". Matthias Jungbluth (Köln), der dem Koordinationsausschuß der Arbeitsgemeinschaft angehört, wurde in Marburg in den Bundesvorstand der Humanistischen Union gewählt.

Die nächste Tagung der Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirche steht unter dem Thema: Der aktuelle Stand der Diskussion um die Trennung von Staat und Kirche bzw. Staat und Religion. Die Problematik soll am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland (Referent Osenberg) und Polens (Referent Schütte) aufgezeigt werden. Außerdem ist ein Lichtbildvortrag (Referent Pfeiffer) über die Zweite Atheistische Weltkonferenz in Indien vorgesehen (vgl. MIZ Nr.1/81).


*) Der katholische Kirchensteuerexperte Marré meint in seinem Kommentar von 1969 zum Kirchensteuerrecht, daß die "Gegenwartsbesteuerung und Einbehaltung der Kirchensteuer im Lohnabzugsverfahren erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt" worden sei -, was noch mehr die stille Eroberung wichtiger Positionen im Staat durch die Kirchen in Umbruchszeiten dokumentieren würde.