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(352) Jul 1980. "Ein übles Bild von den Juden und den Hintergründen des Holocaust" hat laut Spiegel
(Nr.28, 7.Juli 1980, S. 48f.) der geistliche Chefredakteur des Würzburger katholischen Sonntagsblattes, Holzapfel, gezeichnet.
Zu Holzapfels elfteiliger Serie im Sonntagsblatt mit dem Titel "Die Zeitgeschichte holt uns ein" bemerkt der Spiegel: "Das
Katholikenblatt tischte seinen Lesern ungeniert als 'unbestreitbare Tatsache' auf, daß die Juden 'in Deutschland wie in der
Welt' quasi, mitschuldig gewesen seien an Ihrem Schicksal während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und
Europa. 'Die Juden hatten', so die erste, noch gelinde Behauptung, 'einen unverhältnismäßig großen Anteil an Besitz und
Vermögen, am Geschäfts- und Wirtschaftsleben' - was unter anderem darauf zurückzuführen sei, daß sie sich in der Zeit der
Säkularisation an 'beschlagnahmtem Kirchengut' ('kostbaren Goldschätzen, Paramenten und alten Büchern') bereichert hätten.
Später ... seien 'manche Juden' auch noch derart 'leichtsinnig und betrügerisch mit dem ihnen anvertrauten Geld' umgegangen,
daß es 'in der Weimarer Republik zum Bankkrach von Barmal und Kutisker' kommen mußte, wobei viele kleine Leute ihre
Sparpfennige verloren' ... 'Viele Juden, vor allem in Osteuropa, waren', wie das Würzburger Sonntagsblatt weiß, religiös und
moralisch entwurzelt und suchten mit Pornographie, mit üblen Theater- und Kinostücken Geld zu verdienen - nicht anders wie
unsere heutigen Illustriertenbosse'. Sie schwammen auf der Oberfläche einer morbiden Gesellschaft und führten ein Leben in Saus
und Braus, während das Volk, das deutsche Volk, darbte'."
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(353) Jul 1980. Vom 13. bis zum 15. Juli 1980 war der Leiter des Atheist Centre in Vijayawada
(Indien), Lavanam, zu Gast beim Internationalen Bund der Konfessionslosen in Berlin, nachdem er vorher in der Bundesrepublik
Gespräche mit Dr. Joachim Kahl vom Deutschen Freidenker-Verband geführt hatte. Lavanam informierte über die vielseitige
publizistische, pädagogische und soziale Arbeit des 1940 von seinem 1975 verstorbenen Vater Gora gegründeten atheistischen
Zentrums, das der Tagungsort der vom 25. bis zum 28. Dezember 1980 stattfindenden Zweiten Atheistischen Weltkonferenz sein wird
(vgl. die Einladung auf Umschlagseite 3 dieses Heftes). Vorher hatte Lavanam bereits die USA und die skandinavischen Länder
bereist, wo er ebenfalls mit atheistischen und freidenkerischen Organisationen Gespräche über die Vorbereitung der Konferenz
führte. Aus den lebhaften Diskussionen zwischen Herrn Lavanam und IBDK-Mitgliedern ergaben sich vielfältige Gemeinsamkeiten, so
daß auf beiden Seiten ein Interesse an weiterem Meinungsaustausch und an Zusammenarbeit entstand. Zunächst wurde ein
Informationsaustausch zwischen MIZ und der vom Atheist Centre herausgegebenen englischsprachigen Monatszeitschrift The Atheist
vereinbart. MIZ wird über Atheismus in Indien und über die Arbeit des Atheist Centre noch ausführlich berichten.
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(354) Jul 1980. Mit den Themen Kirchensteuer, Rundfunkfreiheit, Religionsunterricht (einschließlich
Alternativunterricht) und Theologische Fakultäten (Konkordatslehrstühle) will sich die Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von
Staat und Kirche in nächster Zeit ausführlich befassen. Einen entsprechenden Beschluß faßten die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft auf ihrer Tagung am 19. Juli 1980 in Nürnberg. (Kontaktadresse und weitere Informationen: Bund für
Geistesfreiheit, Karl-Bröger-Straße 13, D-8500 Nürnberg.)
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(355) Jul 1980. In einem "Offenen Brief" hat die Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und
Kirche am 22. Juli 1980 die deutsche Sektion von amnesty international gebeten, "zu untersuchen, ob Nichtchristen, vor allem
Atheisten, in der Bundesrepublik Deutschland die Menschenrechte in vollem Umfang genießen". Die AG "hegt Zweifel, ob das
Überlassen von sozialen Einrichtungen an die Kirchen durch den Staat nach dem Subsidiaritätsprinzip nicht zu einem zunehmenden
Berufsverbot für zahlreiche nichtchristliche Mediziner, medizinisches Hilfspersonal, Sozialarbeiter, Erzieher, Psychologen und
in der Erwachsenenbildung Tätige führt". Nach Auffassung der AG Ist "der Widerstand der Kirchen gegen Tarifabschlüsse mit den
Gewerkschaften ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbriefte Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer". "Diskriminierungen
mittels des Ethikunterrichts" seien "ebenfalls auf ihre Tendenz gegen die Menschenrechte zu untersuchen". Abschließend bittet
die AG, "zu prüfen, ob die Agitation der Kirchen gegen die Notlagenindikation nach § 218 StGB mit Begriffen wie 'Massenmord'
eine Verunglimpfung Andersdenkender darstellt, die mit demokratischen Freiheiten nicht vereinbar ist." - In seinem
Antwortschreiben vom 4. August an die Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirche wies amnesty-Generalsekretär
Frenz darauf hin, "daß amnesty international keine Menschenrechtsorganisation" ist, sondern eine Gefangenenhilfsorganisation.
Unser Mandat beschränkt sich auf konkrete Hilfe für inhaftierte politische Gefangene. Darüber hinaus setzen wir uns ein für die
Abschaffung der Folter und der Todesstrafe." Eine Mitarbeit von ai in der Arbeitsgemeinschaft "würde über das von uns bewußt
eingeschränkte Mandat weit hinausgehen". Gleichwohl wolle er, Frenz, "nicht den Eindruck erwecken, daß wir den Zielen der
Arbeitsgemeinschaft ablehnend gegenüberstehen".
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(356) Sep 1980. In den Bundestagswahlkampf und damit In die Innenpolitik haben sich die
westdeutschen Bischöfe mit ihrem zum 21. September 1980 verlesenen Hirtenbrief eingemischt. Die Oberhirten beklagen darin, "daß
Menschen in unserer Gesellschaft vielen ungeborenen Kindern das Recht auf Leben verweigern und daß unsere Rechtsordnung dieses
Grundrecht nicht mehr umfassend schützt." Die "Aushöhlung des Grundrechts auf Leben" aber "gefährdet den Frieden". "Der Christ
wird bei seiner Wahlentscheidung bedenken, was die Gebote Gottes in der Politik fordern ... Die Ausweitung der Staatstätigkeit,
die damit verbundene Bürokratisierung und die gefährlich hohe Staatsverschuldung müssen jetzt korrigiert werden." -
Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärte am 15. September in Bremen: "Wir brauchen die Kirche für die Seelsorge, wir brauchen die
Kirche für die Verkündigung. Aber Politik von der Kanzel herab ist mir ein Greuel." Die Bundesregierung habe mit öffentlichen
Geldern auch viele kirchliche Krankenhäuser und Kindergärten finanziert. Wenn dies die Bischöfe nicht mehr wollten, dann
sollten sie es sagen. - Bundesjustizminister Vogel warf den Bischöfen am 12. September vor, sie hätten gegen ihren eigenen
Kodex verstoßen, den die Bischofssynode 1971 in Rom mit deutscher Billigung aufgesetzt habe. Darin werde von der Kirche
ausdrücklich in jenen Fragen Zurückhaltung verlangt, auf die es in der Bibel keine eindeutige Antwort gebe. Laut Vogel habe der
Hirtenbrief den Dialog zwischen Sozialdemokraten und Kirche "wahrlich nicht" erleichtert. - Der FDP-Vorsitzende Genscher
kritisierte in Zeitungsinterviews, daß das Hirtenwort eindeutig für eine Partei Stellung nehme und "alle Vokabeln der
Wahlkampfaussagen der CDU/CSU" enthalte. Die Botschaft sage dagegen nichts zu den "wirklich brennenden Problemen" wie die
Überwindung des Hungers in der Welt. Statt dessen befaßten sich die Bischöfe mit der Staatsverschuldung, was "wohl kaum ihre
dringendste Aufgabe" sei. Der Hirtenbrief sei ein erstaunlicher Rückfall in die Zeiten der Zusammenarbeit der katholischen
Kirche mit der Zentrumspartei während der Weimarer Republik. Die katholischen Bischöfe hätten mit dem Hirtenbrief ihren
Themenkreis überschritten. - Das FDP-Präsidium vertrat in einer Erklärung die Auffassung, die "einseitige Parteinahme der
Bischöfe" trage die konfessionelle Spaltung wieder in die Politik hinein. In dem Hirtenbrief würden "die Schwerpunktthemen der
Opposition in unveränderter Diktion übernommen und mit der Autorität der Kirche versehen". Dagegen hebe sich das Verhalten der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "wohltuend" ab, die auf eine Erklärung zur Bundestagswahl verzichtet habe. Nach
Ansicht von Kanzlerkandidat Strauß müsse sich die Kirche zu Fragen wie Staatsverschuldung und Bürokratisierung äußern dürfen,
da diese auch eine "moralische Kategorie" seien. - Laut CSU-Generalsekretär Stoiber bewiesen die "unkontrollierten Angriffe der
FDP eine immer aggressivere antiklerikale Grundhaltung der Genscher-Partei", die sich bereits vor Jahren mit ihrem umstrittenen
Kirchenpapier zur Trennung von Staat und Kirche durch eine kirchenfeindliche Haltung hervorgetan habe. Ganz im Sinne dieses
Programms solle die Kirche jetzt offenbar aus dem öffentlichen Raum mehr und mehr herausgedrängt werden. Die FDP ziehe
zahlreiche christliche Grundwerte in Zweifel. - Nach Meinung des Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Blüm, dürfe sich die
Kirche von niemandem in ihrem Verkündigungsauftrag beirren lassen. - Der Tübinger Theologieprofessor Greinacher kündigte
innerkirchlichen Widerstand gegen die Erklärung der Bischöfe an. - Im Berliner Abend vom 15.September kommentierte Dieter Gütt
den Hirtenbrief als Ende der "politischen Fastenzeit der katholischen Obrigkeit in der Bundesrepublik". "Das Hirtenwort ist in
Inhalt und Absicht eine Wahlempfehlung. Dies widerspricht einem vor vier Jahren eindeutig gefaßten Beschluß der Deutschen
Bischofskonferenz, derartige Orientierungshilfen zu unterlassen ... Ob der Schuldenberg der Bundesrepublik, der schließlich
auch aus Gründen der Zukunftssicherung angewachsen ist, zu den Sittlichkeiten gehört, deren sich die Kirche anzunehmen - hat,
ist verzichtbare Bischofsweisheit." - Die MIZ-Redaktion hat in einem "Offenen Brief" an Kardinal Joseph Höffner "nachhaltig" an
die Affäre Michele Sindona Mitte der siebziger Jahre erinnert (siehe Seite 24 in diesem Heft).