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(299) Sep 1978. Die Arbeitsgruppe "Kirche und Staat" der Sozialdemokratischen Partei des Kantons
Zürich beschloß sechs Thesen, die von den innerstaatlichen Vorschlägen für eine Änderung der Kirchengesetzgebung zum Teil
erheblich abweichen. So will die Arbeitsgruppe die staatliche Anerkennung nicht nur für religiöse, sondern auch für andere
weltanschauliche Gemeinschaften durchsetzen, ferner die auf historischen Rechtstiteln beruhenden Staatsbeiträge an die Kirchen
aufheben und die Einführung einer "Mandatssteuer" erneut zur Diskussion stellen. Im einzelnen lauten die Thesen: "1. Der
demokratische Sozialismus fordert die Neutralität des Staates in Fragen der Religion und Weltanschauung ... Ein Staat ... kann
und darf keine letzten Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens vermitteln oder gar verfügen ... Eine Partei, die sich
oder den Staat in den Dienst religiöser oder weltanschaulicher Propaganda stellt, schadet nur der Sache, der sie zu dienen
vorgibt. - 2. ... Die Forderungen des demokratischen Sozialismus sind andererseits mit jedem Glaubensbekenntnis vereinbar, das
sich nicht nur der Innerlichkeit, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet weiß. - 3. ... Der Staat kann die
religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften auch aktiv unterstützen ... - 4. ... Die SP des Kantons Zürich kann sich der
Mehrheit der Stimmbürger anschließen, sofern die staatliche Unterstützung künftig nicht mehr auf die bislang anerkannten
Kirchen beschränkt bleibt. Im Sinne einer positiven Gleichberechtigung soll diese Unterstützung vielmehr allen religiösen und
weltanschaulichen Gemeinschaften zukommen. Der Staat hat insbesondere kein Recht, atheistische Vereinigungen von seinen
Förderungsmaßnahmen auszuschließen ... - 5. Mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht mehr zu vereinbaren ist das
Kultusbudget des Kantons Zürich. Die auf historischen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen des Staates gegenüber den Kirchen
sind daher unter Anrechnung der bisherigen Zuwendungen abzulösen. Hingegen soll der Staat kirchliche und andere private
Sozialwerke unterstützen ... Auch die kirchliche Präsenz in Schule und Universität ist weiterhin zu gewährleisten, sofern allen
übrigen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften ein analoger Status eingeräumt wird. Die SP des Kantons Zürich
befürwortet ferner die Ablösung der Kirchensteuer durch die Mandatssteuer. Jede steuerpflichtige natürliche oder juristische
Person soll eine gemeinschaftsgebundene Leistung erbringen, über deren Zuwendung sie jedoch eine rechtswirksame Erklärung
abgeben darf. Die Steuerpflichtigen sollen ihr Mandat entweder den Kirchen oder anderen religiösen oder weltanschaulichen oder
auch gemeinnützigen Institutionen zusprechen können. 6. Die Forderungen der Menschlichkeit, die in der biblischen Botschaft
enthalten sind, decken sich mit den Forderungen des demokratischen Sozialismus, der in der Ethik der Bergpredigt eine seiner
geisteswissenschaftlichen Wurzeln findet. Der demokratische Sozialismus weiß sich daher im Bunde mit jeder Kirche, die nicht
nur Gesinnungsreform, sondern auch Zuständereform verlangt. Wie für den christlichen Erlösungsglauben gibt es auch für den
demokratischen Sozialismus keine Befreiung des Menschen ohne die Befreiung der ganzen Gesellschaft. - Für die Arbeitsgruppe
'Kirche und Staat' der SP des Kantons Zürich: Willy Spieler, Zürichstr. 152, CH-8700 Küsnacht."
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(300) Dez 1978. Am 13. Dezember 1978 beschloß der Nationalrat die eidgenössische "Initiative zur
Trennung von Staat und Kirche" ohne Gegenvorschlag dem Volk zur Verwertung vorzulegen. Nur sechs Nationalräte unterstützten die
Initiative. Der Initiant dieses Volksbegehrens, Rechtsanwalt Fritz Dutier aus Bern, hat ein 13köpfiges Aktionskomitee zur
Unterstützung des Referendums gebildet, in dem u.a. die Sozialdemokratische Partei, Jungfreisinn, die Partei der Arbeit und
Liberale vertreten sind.
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(301) Mrz 1979. Der eidgenössische Ständerat (Kleine Kammer) lehnte die Volksinitiative über die
"vollständige Trennung von Staat und Kirche" mit 30:0 Stimmen ab. Bundesrat Furgler erläuterte das Volksbegehren aus der Sicht
der Exekutive: Nach der bundesstaatlichen Kompetenzausscheidung falle die staatliche Kirchenhoheit den Kantonen zu. Im Bereich
der Glaubens- und Gewissensfreiheit habe der Bund jedoch einige Schranken aufgestellt. Das Volksbegehren bedeute einen "enormen
Eingriff" in die Kompetenz der Kantone und schlage eine Marschroute ein, die bis dahin undenkbar gewesen sei. Die vollständige
Trennung wurde einer völligen Indifferenz des Staates zu den Religionsgemeinschaften gleichkommen; er wäre auch nicht mehr in
der Lage, die "gesellschaftspolitische Bedeutung rechtlich anzuerkennen". Es gäbe somit nur noch die Formen des Privatrechts.
In Wirklichkeit gebe es aber keine "zwingenden Gründe", von der aktuellen bundesstaatlichen Kompetenzausscheidung abzuweichen.
Das Volksbegehren über die vollständige Trennung von Staat und Kirche schlage eine tiefe Bresche in den föderativen
Staatsaufbau der Schweiz. Den Kantonen solle eine zentralistische Lösung aufgezwungen werden. Zudem seien verschiedene
berechtigte Reformanliegen in verschiedenen Kantonen verwirklicht worden. - Bundesrat Furgler empfahl dem Ständerat, das
Volksbegehren ohne Gegenentwurf abzulehnen. Diskussionslos stimmte der Rat zu.
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(302) Mrz 1979. Die im April 1976 als Verein gegründete "Arbeitsgruppe autonomer Humanisten" hat
die Schaffung einer Senderubrik "Humanistische Rundschau" im eidgenössischen Radio und Fernsehen vorgeschlagen: "Unsere
Arbeitsgruppe ist der Ansicht, daß die beiden Hauptkonfessionen gegenüber den anderen Weltanschauungen eindeutig bei den
Sendungen von Radio und Fernsehen privilegiert sind. Nach der allgemeinen Statistik sind mindestens 3% der schweizerischen
Bevölkerung als konfessionslos einzustufen. Mit ca. 200.000 Personen müssen also die Religionslosen als die drittgrößte
weltanschauliche Gruppierung in der Schweiz angesehen werden ... Wir sind deshalb der Ansicht, daß den humanistischen Anliegen
der Konfessionslosen auch bei Radio und Fernsehen vermehrt Rechnung getragen werden sollte. Das Argument, daß diese
Konfessionslosen nur in einem ganz geringen Prozentsatz in entsprechenden Vereinigungen organisiert sind und daß deshalb keine
Berücksichtigung derselben in den Massenmedien zu erfolgen habe, ist falsch. Die unterschiedliche Bewertung der
Mitgliederzugehörigkeit zwischen den öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen und den Vereinigungen mit Bekenntnischarakter
müssen beim Mengenvergleich berücksichtigt werden. In den Niederlanden sind z.B. nur 0,8% der Konfessionslosen im
Humanistenverband organisiert. Trotzdem hat auch der Humanistenverband seine regelmäßigen Sendezeiten bei Radio und Fernsehen
..." (in: ratio humana, Quartalsschrift der Arbeitsgruppe autonomer Humanisten; Anschrift: Kreuzbuche, CH-6315
Oberägeri.)
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(303) Mai 1979. In Adelboden entzog eine Anhängerin der "Taigutbrüder-Sekte" ihrer zuckerkranken
Tochter das lebensnotwendige Insulin. Das Mädchen starb nach jahrelangem Leiden im Alter von elf Jahren. Von 30 Schülern einer
einzigen Schulklasse in Adelboden sind 20 Schüler Kinder von Sektierern, wie eine Umfrage der Zeitung blick ergab.