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(868) Köln. Um die Bezahlung der Kosten legaler Schwangerschaftsabbrüche zu unterlaufen, zieht die
Katholische Kirche die Gründung einer eigenen gesetzlichen Krankenkasse in Erwägung, auch wenn dieses Projekt "gegenwärtig
ernsthaft noch nicht betrieben" werde. Kardinal Höffner wirbt mit dem Hinweis, daß diese Kasse "wahrscheinlich sogar noch etwas
billiger arbeiten würde, weil sie keine Gelder für Abtreibungen zur Verfügung stellen müßte". (Publik-Forum, 7.11.1986.)
Fachleute veranschlagen diesen Einspareffekt allerdings auf ganze 0,2 % der Gesamtaufwendungen.
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(869) München. Das Erzbischöfliche Ordinariat München hält den "finalen Todesschuß" für ethisch
gerechtfertigt, Dies teilte die Pressestelle auf Anfrage mit, nachdem in München ein Geiselnehmer durch einen Scharfschützen
der Polizei getötet worden war, obwohl eine unmittelbare Lebensgefahr für die Geisel nicht erkennbar war. (KNA, 5.11.1986.)
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(870) Mainz. Das Kulturministerium Rheinland-Pfalz hat mit Rundschreiben vom 24.4.1986
(veröffentlicht im Amtsblatt des Ministeriums vom 26. 5 1986. S. 312f) erstmals einen Ethik-Lehrplan für das Schuljahr 1986/87
vorgelegt. In Abs. 1 des Schreiben heißt es: "Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, besuchen den
Ethikunterricht" (Artikel 35 Abs. 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz). Zwei Sätze weiter heißt es jedoch: "Schüler
muslimischen Glaubens können den Ethikunterricht besuchen; die Entscheidung treffen die Eltern, die ... von diesem Angebot zu
unterrichten sind." Katholisches Pfarramtsblatt, 1.10.1986; (Hervorhebung von der Redaktion.) Mit dem Zugeständnis einer
Freiwilligkeit für Moslems räumt das Ministerium bereits selbst die Fragwürdigkeit eines Ethik-Zwangsunterrichts für
Nichtkatholiken oder Nichtprotestanten ein. Es dürfte ihm nun aber umso schwerer fallen zu begründen, warum den übrigen Anders-
oder Nichtgläubigen diese Wahlfreiheit nicht auch eingeräumt wird.- Auch in Hamburg wurde der Ethikunterricht ab 1.8.1986 für
Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, neu eingeführt.
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(871) Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht befaßte sich am 22. Oktober in mündlicher Verhandlung
mit dem Hamburger Privatschulgesetz aus dem Jahre 1977, das kirchliche und Waldorfschulen mit 77% bis 82% der Kosten
subventioniert (1985: 51 Mio DM), während die beiden noch verbliebenen privaten Schulträger nur 25% erhalten (2 Mio DM). Das
klagende Gymnasium hatte in der ersten Instanz obsiegt. Das Urteil des höchsten Gerichts wird im kommenden Februar erwartet.
(Süddeutsche Zeitung, 23.10.1986) Aus den Ausführungen des Vertreters der Hamburger Bürgerschaft ging übrigens hervor, daß bis
1977 überhaupt nur private Bekenntnisschulen gefördert wurden und sich die Bürgerschaft nur auf Grund von Gerichtsurteilen zu
einer breiteren Förderung gezwungen (!) sah.
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(872) Hamburg. Das Verwaltungsgericht der Hansestadt stellte fest, daß Sozialhilfeempfänger
Anspruch auf eine Beihilfe für die Tauffeier hätten, weil "Taufe, Kommunion oder Konfirmation für den gläubigen Christen zum
Kernbereich des religiösen Lebens und damit zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes gehörten"
(AZ: 5 VG 3579/84). (Süddeutsche Zeitung, 5.7.1986.)
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(873) München Die ÖTV will noch in diesem Herbst einen Fachausschuß für Theologen bilden und dieser
Berufsgruppe damit eine Sonderrolle zugestehen. Gleichzeitig räumte der ÖTV-Sprecher ein, daß nur ein geringer Teil der
Theologen gewerkschaftlich organisiert ist. (Süddeutsche Zeitung, 7.10.1986.)
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(874) Stuttgart. Ein Stuttgarter Pfarrer hat kritisiert, daß zunehmend Verstorbene ohne christliche
Feier "verscharrt" würden. 1985 seien im Krematorium des Stuttgarter Pragfriedhofs auf 1600 Einäscherungen mit Trauerfeier auch
350 ohne Feier entfallen. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen hat nun erreicht, daß das Friedhofsamt der Stadt die
Kirchen benachrichtigt, wenn ein "vereinsamter" Mensch bestattet wird. Die Mehrkosten für Bestattungsfeier mit Orgelspiel und
Aussegnung wollen die frommen Christen allerdings nicht tragen - sie werden dem Sozialamt aufgebürdet, (Frankfurter Rundschau,
1.10.1986.)
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(875) Köln. Ein wichtiges Grundsatzurteil fällte der Bundesfinanzhof zur Kirchensteuerpflicht bei
Lohnsteuerpauschalisierung. Bisher wurde bei einer Pauschalerhebung der Lohnsteuer (die z. B. bei Teilzeit- oder
Nebenbeschäftigung möglich ist) auch dann der Kirchensteuersatz mit abgezogen, wenn die Betroffenen gar keiner Kirche
angehörten. Im vorliegenden Fall hatte sich ein Arbeitgeber gegen die nachträglichen Erhebungen dieser Kirchenbeiträge (aus dem
Jahr 1975) zur Wehr gesetzt und nun Recht bekommen, weil aus dem Bescheid nicht feststellbar war, für welche
Konfessionszugehörigkeit Kirchensteuer erhoben wurde. Wichtiger als diese formelle Aufforderung an einen
Kirchensteuer-Nachbescheid ist jedoch die materielle Aussage in den Entscheidungsgründen, wonach auch eine pauschale
Kirchensteuer nur bei einer Kirchensteuerpflicht zu erheben ist. Arbeitgeber und betroffene Arbeitnehmer können nun schriftlich
die Erstattung der zuviel gezahlten Beiträge beantragen. Bei kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmern wird der
Kirchensteuer-Pauschalsatz künftig allerdings bei 8% (Hamburg, Hessen, Bayern) bzw. 9% liegen, statt bisher 6% bzw 7% (AZ: 1 R
309/82 vom 7.8.1986). Gegenwärtig läuft noch ein anderes Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (AZ: VI R 52/81), in dem geklärt
werden soll, ob bei Lohnsteuerpauschalisierungen überhaupt Kirchensteuer abzuführen ist. (Capital, 8/86 und Handelsblatt,
17.7.1986.)
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(876) Essen/Bonn. Die Probleme mit Alkohol sind bei kirchlichen Mitarbeitern und sogar bei
Priestern und Ordensleuten nicht geringer als im außerkirchlichen Bereich, sie werden aber auch ungleich stärker tabuisiert.
Diese Feststellung machte ein katholischer Pater, der sich speziell mit suchtgefährdeten kirchlichen Mitarbeitern befaßt. Der
Psychologe und Pastoraltheologe Prof. Gareis widersprach zwar der These, Religion mache generell krank, räumte aber ein, das
eine "einseitige und übertriebene Religion" neurotisch machen könne. Es sei "nicht einfach", diesen Menschen zu helfen, weil
sie sich der Entstehungsgeschichte ihrer Neurose oft nicht bewußt seien und häufig erst spät zum "Fachmann" kämen. (KNA, 28.5.
und 13.8.1986.)
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(877) Stuttgart. Dekan Rolf Scheffbuch, Mitglied der Synode der EKD, vertritt die Ansicht, das
nicht einmal 10% der Bundesbürger wirkliche Christen seien. (Rheinischer Merkur, 12.9.1986.) Auch wenn man keinen so strengen
Maßstab anlegt, kann man bestenfalls jeden dritten Katholiken und jeden fünften Protestanten, als christlich und kirchentreu
bezeichnen; das wären 14 % bzw. 8 5/. der Bevölkerung.
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(878) Hannover. Die evangelische Kirche hat 1985 etwa 5,6 Milliarden DM Kirchensteuern eingenommen,
was innerhalb eines Jahres einen Zuwachs von einer halben Milliarde DM bedeutet. (Die Einnahmen der Katholiken waren mit 5,532
Mrd. praktisch gleich hoch.) 1970 waren es noch 2,2 Mrd. DM, 1974 waren die Kirchensteuereinkünfte auf 4,0 Mrd., 1978 auf 4,3
Mrd. und 1982 auf 4,9 Mrd. gestiegen. Der bayrische Landesbischof gab für 1987 eine optimistische Prognose und räumte ein, daß
die Klagen wegen Einnahmeausfällen infolge der Steuerreform unbegründet waren. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.9.1986;
Süddeutsche Zeitung, 21.11.1986.) Der Kirchensteueranstieg seit 1970 betrug, ohne Einrechnung des Zinseszinseffektes,
durchschnittlich genau 6,5 % im Jahr. Das übertrifft die durchschnittliche lnflationsrate oder den Lohnkostenanstieg erheblich;
außerdem sank die Mitgliederzahl der Protestanten im gleichen Zeitraum um 14 %, nämlich von 29,2 Millionen auf 25,1
Millionen.
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(879) Karlsruhe. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat eine vom Deutschen Caritasverband erwirkte
Einstweilige Verfügung gegen Passagen des Buches "Markt der offenen Herzen" überwiegend aufgehoben. Der Autor Müller-Werthmann
hatte die unzureichende Offenlegung der Caritas-Abrechnungspraxis kritisiert und die Bewertung "Spenden nicht empfohlen"
abgegeben ( vgl. MIZ 4/85, Meldung 723). Der Verlag Hoffmann & Campe weist darauf hin, daß bis auf sechs Einzelpunkte alle
Feststellungen und Behauptungen einschließlich der negativen Schlußbewertung weiterhin verbreitet werden dürfen. Der
Caritasverband hat den überwiegenden Teil der Kosten des Rechtsstreits aus allen Instanzen zu tragen. (KNA, 15.11.1986 und
Süddeutsche Zeitung, 15.11.1986.)
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(880) Augsburg. Die Caritas Augsburg empfahl in einem Rundschreiben an alle Mitarbeiter,
Heimbewohner und sonstige Kontaktpersonen von Caritas-Einrichtungen die Wahl einer CDU-Landtagskandidatin. Die Grünen
kritisierten diesen "verurteilenswerten Amtsmißbrauch", wobei gegenüber den Heimbewohnern schlechtweg ein
Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt werde. Die Versicherung, die Caritas sei ein überparteilicher Wohlfahrtsverband, werde hier
"zur reinen Farce". (Augsburger Allgemeine , 1.10.1986.)
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(881) Hannover. Mit Fortsetzungsgeschichtchen auf Faltblättern wollen die Protestanten
"Randchristen" zum Verbleib in der Kirche animieren. Auch die EKD-Offiziellen wollen, beunruhigt über die Austrittswelle,
systematische Motivforschung bei den Ausgetretenen betreiben. Unterdessen wurde bekannt, daß 1985 mehr Menschen aus der EKD
ausgetreten sind, obschon bundesweite Zahlen noch nicht vorliegen. In Bayern stieg die Zahl um 16,5 % von 7924 auf 9294. Am
höchsten war die Steigerungsrate in Augsburg-Stadt mit 28%. (Hamburger Abendblatt, 1.10.1986, Süddeutsche Zeitung, 18.9. und
16.11.1986.)
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(882) Berlin-West. Übereinstimmend haben Vertreter von evangelischer und katholischer Kirche
sowie vom Berliner Senat ihr Interesse an einem weiteren engen Zusammenwirken bekräftigt. Bei der Unterzeichnung einer
Vereinbarung über erweiterte Zuschüsse an kirchliche Schulen (11 Millionen mehr für evangelische, 4 Millionen mehr für
katholische Schulen) machte der katholische Vertreter trotz eines "herzlichen Wortes des Dankes" klar, daß sein Hunger immer
noch nicht gestillt sei: Die Erwartungen (!) seiner Kirche seien "nicht ganz erfüllt worden". (KNA, 16. 10. 1986.) U.a. wird
der Personalkostenzuschuß für kirchliche Schulen von 75 % auf 85 % und der Zuschuß für kirchlichen Religionsunterricht an
öffentlichen Schulen (einschließlich Ausbildungskosten) von 80% auf 90% angehoben. Entgegen allen sonstigen Gepflogenheiten
treten die Vergünstigungen rückwirkend ab 1.1.1986 in Kraft. (Allgemeines Deutsches Sonntagsblatt, 2.11.1986.)
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(883) Ansbach. Das evangelische Diakoniewerk Neuendettelsau muß von den knapp 11 Millionen DM
nunmehr 380.000 DM zurückzahlen. Da die Räume des Bruckberger Schlosses (im Besitz des Diakoniewerks) für die darin
untergebrachte Sonderschule nicht mehr ausreichten, wurde ein Neubau fast 100prozentig auf Staatskosten durchgeführt. Die
freigewordenen Schloßräume könnten nach Renovierung nun anderweitig genutzt werden. Daraus folgerte die Bezirksregierung, daß
der Neubau, bei fortdauernder Nutzung des Schlosses, auch hätte kleiner ausfallen können und forderte 380.000 DM als
"Wertausgleich" zurück. Die christliche Sozialeinrichtung ließ es auf einen Prozess ankommen und verlor. (AZ: AN 16 K 85 A 1640
) (Süddeutsche Zeitung, 7.11.1986; Augsburger Allgemeine, 6.11.1986.)
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(884) Bonn. Auf Drängen der katholischen Kirche hat Bayern am 28.September in den Bundesrat einen
Gesetzentwurf zum "Gotteslästerungsparagraphen" 166 StGB eingebracht, der eine Strafbarkeit auch dann ermöglichen soll, wenn
der "öffentliche Friede" nicht gestört ist (vgl. MIZ 3/86, S. 10 ff. und frühere Ausgaben). Der Entwurf wurde vorerst zur
weiteren Beratung überwiesen. Inzwischen haben sich nicht nur Strauß und das bayerische Kabinett, sondern auch der
Bundesvorsitzende der Jungen Union hinter die Forderung nach Verschärfung gestellt. Deutlich distanziert ist jedoch die Haltung
der evangelischen Kirche: "Unzweifelhaft ist die historische Erfahrung, daß Denk-und Redeverbote die Verkündigung der
christlichen Botschaft nie gefördert haben". Auch der ökumenische Jugendrat Bayern, dem u.a. der Bund der Katholischen Jugend
(BDKJ) angehört, lehnt die Verschärfung ab. Selbst in den bayerischen Bistumsverwaltungen ist man unterdessen wortkarg
geworden: "Natürlich haben wir die Initiative zur Kenntnis genommen, aber Stellung nehmen wir dazu nicht". Kirchlichen Stellen
ist, wie die Begründungen erkennen lassen, klar geworden, das sie damit den Jugendsekten einen Schutzmantel gegen jede Kritik
verschaffen, juristische Probleme aufwerfen und sich selbst ins Abseits manövrieren könnten. (Süddeutsche Zeitung, 5.9.1986;
Augsburger Kirchenzeitung, 19.10.1986; Deutsche Tagespost, 27.9.1986; Evangelisches Gemeindeblatt Bayern, 7.9.1986; KNA,
14.10.1986; Publik-Forum, 10.10.1986; Augsburger Allgemeine, 27.9.1986; Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt,
31.8.1986.)
Der neueste Fall ereignete sich auf dem Katholikentag in Aachen, wo zwei junge Leute, mittels eines (lt. Polizei "obszönen")
Kreuzes gegen die unerbittliche Haltung der Kirche gegen Verhütung und Abtreibung demonstrierten und festgenommen wurden. (taz,
16.9.1986.)
Wie wir nach Redaktionsschluß erfahren, sind am 13. November 1986 die Kanzleiräume von zwei Freiburger Rechtsanwälten von
Staatsanwaltschaft und politischer Polizei durchsucht worden. Anlaß war, laut einer Presseerklärung der Bunten Liste Freiburg
vom 14. November 1986, "eine angeblich beleidigende Äußerung in einem Protestbrief des antiklerikalen Arbeitskreises der Bunten
Liste an einen Münchner Amtsrichter, der im Verlauf des Strafverfahrens gegen einen Kirchengegner dessen psychiatrische
Zwangsuntersuchung angeordnet hatte" (vgl. MIZ Nr. 3/85 , S. 4ff.: "Zwangsinkasso oder Klapsmühle - christliche Alternative im
Rechtsstaat BRD"). Wir bemühen uns um weitere Hintergrundinformationen über den jüngsten Freiburger Vorfall. MIZ-Redaktion.