Kopftuchstreit
Das Urteil, seine Folgen und die Diskussion im IBKA
Aus: IBKA Rundbrief Dezember 2003
Am 24. September hat das Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen 2 BvR 1436/02) darüber geurteilt, ob die muslimische Lehrerin Fareshta Ludin in baden-württembergischen Klassenzimmern ein Kopftuch tragen darf. Die Vorinstanzen hatten dem Dienstherrn Recht gegeben, der eine Anstellung als Grundschullehrerin nach Beendigung der Ausbildung nicht gestattete.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit fünf gegen drei Stimmen entschieden, nicht zu entscheiden. Es hat zwar die vorinstanzlichen Urteile einkassiert, allerdings in seiner Urteilsbegründung betont, dass das Kopftuch sehr wohl verboten werden könne, wenn die Bundesländer - jedes für sich, denn Schulrecht ist Ländersache - die entsprechenden Gesetze beschließen würden.
Die Karlsruher Richter taten sich mit der Entscheidung offenkundig schwer und formulierten zurückhaltend. Nach jahrelangem erbitterten Rechtsstreit mussten sie zwischen dem staatlichen Neutralitätsgebot und dem Recht auf freie Religionsausübung entscheiden. Nach ihrer Auffassung hat der Gesetzgeber grundsätzlich das Recht, auch das Kopftuchtragen im Unterricht zu verbieten. Allerdings fehle es bisher an einer hinreichend präzisen gesetzlichen Grundlage
. Aus der gegenwärtigen Gesetzeslage lasse sich ein Verbot des Kopftuchs und die Einschränkung der Religionsfreiheit jedenfalls nicht begründen, so die Richtermehrheit.
Besonderen Wert legten die Richter in ihrer Urteilsbegründung auf die Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat: Die dem Staat gebotene religiös- weltanschauliche Neutralität ist nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Pflichtschule. Christliche Bezüge sind bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität.
Bei den zu schaffenden gesetzlichen Regelungen dürfen allerdings auch Schultraditionen, konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden
.
Aber es heißt ausdrücklich im Urteil: Schließlich bedarf die Einführung einer Dienstpflicht, die es Lehrern verbietet, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, auch deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, weil eine solche Dienstpflicht in verfassungsmäßiger - unter anderem mit Art. 33 Abs. 3 GG vereinbarer - Weise nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden.
Mit dieser Passage wird es Gesetzgebern schwer gemacht, eine Lösung, die das Kopftuch verbietet, aber Ordensgewänder, Halskreuz und jüdische Kippah zulässt, erfolgreich eine Überprüfung auf ihre Verfassungsmäßigkeit bestehen zu lassen.
Das Thema beschäftigt den IBKA seit 1997 mit einer langen, kontroversen Debatte. Und so löste auch die Frage um die Haltung des Verbandes eine ausführliche Diskussion aus, als sich drei Tage nach dem Kopftuchurteil die Mitglieder des IBKA zu ihrer jährlichen MV trafen.
Unstreitig ist: Solange der Staat keine Kleiderordnung festlegt, kann er nicht einseitig das Kopftuch verbieten und Halskreuze erlauben. Wir sind aber auch eine religionskritische Organisation. Diese sollte in der Gesellschaft Religionskritik üben und das Frauenbild, was hinter der Kopftuchforderung steckt, angreifen. In Bezug auf den Staat jedoch muss gefordert werden, dass alle gleich reglementiert werden. Für den Staat ist das Kopftuch nur ein Stellvertreterstreit. Es geht um die Unfähigkeit der Gesellschaft und der Schulen, mit der weltanschaulichen Pluralität umzugehen.
Schnell wurde aber klar, dass im IBKA in einem Punkt keine einheitliche Haltung besteht. Die einen möchten sämtliche religiösen Symbole - und vor allem auch das Kopftuch wegen seiner politischen Symbolik - im Schulunterricht strikt verbieten. Die anderen wollen durch Aufklärung, aber nicht durch Verbote gegen das Tragen des Kopftuches angehen. Man könne gegen das Kopftuch sein, ohne es per Gesetz verbieten zu müssen.
So wandten sich Letztere auch gegen eine Kleiderordnung für Lehrer und Schüler, um deren, und somit auch unser, Recht auf Selbstbestimmung zu wahren. Denn wenn weltanschauliche Symbole verboten werden: Was ist mit Rastalocken, was mit einem Feuerbach-T-Shirt, was mit einem Darwin-Sticker? Wo fangen wir an, wo hören wir auf?
Auf das Argument, dass vielen Mädchen das Kopftuch aufgezwungen wird und deren Position im Kampf um Gleichberechtigung durch das Kopftuch der Lehrerin geschwächt würde, wurde erwidert: Dass andere gezwungen werden, das Tuch zu tragen, kann nicht Legitimation sein, es denen zu verbieten, die es freiwillig tragen wollen.
Obwohl durch die Diskussion keine einheitliche Linie des IBKA erzielt werden konnte, wurde der Vorschlag, während der Mitgliederversammlung keine Entscheidung zu fällen, sondern eine Debatte in den IBKA-Publikationen zu starten, abgelehnt. Die Mehrheit der Mitglieder wollte sofort einen Beschluss zum Kopftuchstreit herbeiführen.
Neben dem bereits vorliegenden Antrag, das Kopftuch zu verbieten, wurden daher nun kurzfristig Anträge eingereicht, die zwar in den religiösen Symbolen im Unterricht eine massive Verletzung der weltanschaulichen Neutralität sehen bzw. eine verbale Beeinflussung der Schüler und Schülerinnen für nicht statthaft halten, die Einschränkung der individuellen Handlungsfreiheit der Schüler und Lehrer in Bezug auf die Kleidung aber nicht zum IBKA-Ziel erklären wollen.
Letztlich wurde mit denkbar knapper Mehrheit, nämlich mit 17-Ja- gegen 16-Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen folgender Beschluss der Mitgliederversammlung gefasst und damit ein Kopftuch-Verbot befürwortet:
Für Unterricht an staatlichen Schulen gilt das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität. Deshalb befürwortet der IBKA ein Verbot für Lehrerinnen und Lehrer an staatlichen Schulen, im Unterricht Kleidungsstücke oder Accessoires mit deutlich erkennbarer religiöser Bedeutung sichtbar zu tragen - vorausgesetzt, dies Verbot gilt für Kleidungsstücke und Accessoires aller Religionen gleichermaßen, ob Kopftuch oder Talar, Kruzifix oder Kippah, Mönchs- oder Nonnentracht.
Mittlerweile bereiten einige Bundesländer ein Gesetz zum Verbot des Kopftuches in der Schule vor. Einen konsequenten Weg haben dabei lediglich die Stadtstaaten Berlin und Bremen eingeschlagen: Sie wollen ihre traditionell starke Trennung zwischen Kirche und Staat noch verschärfen, indem sie alle religiösen Symbole, die nicht klein und unauffällig sind, aus dem regulären Unterricht verbannen. Berlin möchte das Verbot sogar auf den gesamten Öffentlichen Dienst übertragen. Die anderen Bundesländer, die lediglich das Tragen des Kopftuches untersagen wollen, möchten sich dabei entweder auf die christliche Tradition berufen oder das Kopftuch als vorwiegend politisches Symbol des Islamismus deuten.
Als erste Landesregierung hat die CDU in Baden-Württemberg am 28. Oktober einen Gesetzesentwurf vorgestellt. Dieser verbietet Lehrkräften, Kleidung oder sonstige Zeichen zu tragen, die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren - mit Ausnahmen. So dürfen Nonnen im Ordenskleid Religionsunterricht an den Schulen halten. Außerdem entspräche das Tragen christlich-abendländischer Symbole der Landesverfassung und dem Erziehungsauftrag und sei damit erlaubt.
Verfassungsrechtler haben gegen diese Ungleichbehandlung der Religionen schon Bedenken angemeldet. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die geplanten Gesetze erneut vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Das Thema wird also auf Jahre hinaus immer wieder hochkochen.