Hubert Schleichert: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren.

Anleitung zum subversiven Denken.

München 1997. C.H.Beck; 200 Seiten, kart. DM 29,80, ISBN 3-406-41989-5

Wer hat noch nicht erlebt, daß kontroverse Diskussionen gelegentlich stecken bleiben? Von der Bindung katholischer Gläubiger an ihre Kirche kann man unverhofft bei verschiedenen Trinitätsdogmen landen; von der physikalischen Altersbestimmung des Turiner "Grab"tuches ist es nur ein kurzer Schritt zu diffizilen Radiokarbonmethode; aus dem Inquisitionsprozeß wird überraschend eine Kritik der Galilei'schen Gezeitentheorie. Man hat sich verrannt. Der Wille zum Rechthaben führte mit hohem Aufwand zu einem miserablen Ergebnis. Die Partie endetet, bestenfalls mit Patt. Das Interesse der Zuhörer ist erloschen.

Zeit also für eine schöpferische Pause, Manöverkritik und technische Analyse; Bedarf für das Studium des Buches von Hubert Schleichert. Es sei hiermit empfohlen - falls: a) Bereitschaft zur kritischen Refexion besteht einschließlich des Zurückstellens persönlicher Eitelkeit, b) die Mühe tiefgreifender Beschäftigung mit den Sachthemen akzeptiert wird und man c) keine Rezeptsammlung bzw. Religionskritik traditioneller Art erwartet. Die Leser finden - in der Sprache des Schachspiels - wichtige Eröffnungen, viele typische Positionen und strategische Analysen.

Schon Kapitel 2 "Elemente des Argumentierens", dürfte mit Aha-Erlebnissen gespickt sein. Aus der breiten Palette anzutreffender Argumentationsmuster sei nur auf das häufig verwendetet Mißbrauchsargument und dem Angriff auf die Person des Kritikers verwiesen. Das letztere "Argument" (ad hominem) z.B. funktioniert geradezu reflexartig. Keine Abwehr Deschners ohne die Verwendung (meist erfundener) charakterlicher Besonderheiten dieses Autors. Eiserne Sachlichkeit und ausklammern aller persönlichen Bezüge scheinen deshalb immer zweckmäßig. Fallgruben und Strohmänner beleuchtet Kapitel 3 samt der "Moral", sich nicht unnötig auf Glatteis zu begeben. Denkbar, aber nicht explizit beschrieben: selber Fallen zu bauen, Spuren vorzubereiten.

Besondere Beachtung gilt an Kapitel 4 der Auseinandersetzung mit religiöser Intolerenz und Fanatismus. Spätestens hier sollten sich Kritiker/Aufklärer von der Illusion lösen, mit logisch-sachlichen Argumenten überzeugen zu können. "Contra principia negantem non est disputandum": Nicht ums Recht-Behalten kann es gehen, sondern höchstens um langfristige Wirkung. Wie begegnet man dem Fanatismus? Schwierig, aber nicht ganz hoffnungslos, möchte man nach den folgenden Kapiteln sagen. Gut lesbare und interessante historische Beispiele (Augustinus, Calvin/Servet, Voltaire u.a.) vermitteln, daß nur ein mühevoller Weg - wenn überhaupt - Wirkung ermöglicht: genaues Studium der gegnerischen Ideologie, Vermeidung eigener Ismen und direkter Überzeugungsversuche.

Scheinbar beifäufig erinnert und der Autor daran, daß Auseinandersetzungen nötig bleiben, solange die Wurzeln intoleranter und fanatischer Glaubenssysteme bestehen. Vor dem Sprung in dieses kalte Wasser ist jedoch ein gezieltes Aufwärmen von Nutzen. Ich wünsche dem Buch und uns Erfolg!

Franz Sippel


Abgedruckt in:
MIZ. Materialien zur Zeit. Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen (seit 1972).
26. Jahrgang, Nr. 3/97, S. 48