Kirchenfinanzierung in Deutschland

René Hartmann

Wie auf vielen anderen Ebenen, sind Staat und Kirche auch auf der Ebene der Finanzen eng miteinander verflochten. Das auffälligste Beispiel hierfür (wenngleich nicht das einzige) ist das deutsche Kirchensteuersystem.

Wer in Deutschland steuerpflichtig ist und einer kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, ist kirchensteuerpflichtig, d.h. es werden 8% oder 9% (abhängig vom Bundesland) der Summe, die er an Einkommensteuer zu zahlen hat, als Kirchensteuer einbehalten und an die Kirchen abgeführt.

Ihren Ursprung hat die Kirchensteuer in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals wollte der preußische Staat die Kirchen nicht mehr aus seinen Steuermitteln finanzieren und verlieh den Kirchen das Recht, eigene Steuern zu erheben. Dieses System wurde im Lauf der Zeit immer weiter ausgebaut und zentralisiert. Heute muss der Arbeitgeber die Kirchensteuer einbehalten; das Geld erhalten bei der katholischen Kirche die Diözesen, die es nach einem bestimmten Schlüssel verteilen. Die Kirchengemeinden sind dadurch finanziell von den Diözesen abhängig.

Kirchensteuerpflichtig ist jede Person, die in Deutschland steuerpflichtig ist und einer Kirche (oder sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft) angehört, die Kirchensteuer erhebt. Als Mitglied einer Kirche wird betrachtet, wer getauft und nicht aus der Kirche ausgetreten ist. Der Austritt muss bei einer Behörde erfolgen (je nach Bundesland ist dies das Standesamt oder das Amtsgericht) und ist nicht gleichbedeutend mit einer Exkommunikation. Zwar vertritt die katholische Kirche in Deutschland den Standpunkt, dass der Kirchenaustritt die Exkommunikation zur Folge hat, dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Exkommunikation die Kirchensteuerpflicht aufhebt.

Die Regelungen in Deutschland haben zur Folge, dass auch Nichtdeutsche kirchensteuerpflichtig sind, wenn sie der katholischen Kirche angehören. Menschen aus Ländern, in denen es keine Kirchensteuer gibt, sind daher zumeist überrascht, wenn sie feststellen, dass von ihrem Gehalt Kirchensteuer einbehalten wird. Für Aufsehen in der französischen Öffentlichkeit sorgte der Fall von Thomas Bores, der als Kind in Frankreich getauft worden war, aber seitdem nichts mit der katholischen Kirche zu tun hatte. Dennoch wurde von seinem Gehalt Kirchensteuer einbehalten.

Auch wenn man ausgetreten ist, muss man auf der Hut sein und die Bescheinigung über den Austritt gut aufbewahren. Sonst kann es vorkommen, dass man nach einem Umzug wieder zum Kirchenmitglied gemacht wird und erneut Kirchensteuer zahlen muss.

So ärgerlich die Kirchensteuer auch ist – sie ist keineswegs das einzige Gebiet, auf dem Staat und Kirche in Deutschland finanziell verflochten sind. So erhalten die Kirchen auch direkte Staatsleistungen aus den öffentlichen Haushalten. Unter anderem werden die Gehälter eines Großteils der katholischen Bischöfe direkt vom Staat bezahlt. Die genaue Höhe der Staatsleistungen lässt sich wegen der Vielzahl dieser Leistungen kaum ermitteln, wird aber meist mit 459 Millionen Euro jährlich angegeben. Begründet werden die Zahlungen mit den sog. Säkularisierungen des Jahres 1803. Damals fielen die linksrheinischen deutschen Territorien an Frankreich. Als Ersatz erhielten die betroffenen deutschen Fürsten rechtsrheinische Kirchengüter. Um den Geistlichen, die zuvor von den Einkünften aus diesen Kirchengütern ihren Unterhalt bestritten hatten, weiterhin ein Einkommen zu sichern, wurden die Fürsten, die diese ehemaligen Kirchengüter erhalten hatten, verpflichtet, die Geistlichen aus der Staatskasse zu besolden. Diese Subventionen fließen bis heute, obwohl die deutsche Verfassung seit 1919 den Auftrag an den Gesetzgeber enthält, die Zahlungen abzulösen. Bislang hat sich noch keine deutsche Regierung ernsthaft an dieses Thema herangewagt. Nicht nur sind die Zahlungen nicht abgelöst worden, es sind sogar durch Kirchenverträge und Konkordate besonders in den neuen Bundesländern verfassungswidrig neue Zahlungen begründet worden.

Die herrschende, von kirchlichen Juristen bestimmte Rechtsmeinung besagt, dass für eine Ablösung der Zahlungen gewaltige Summen aufzubringen wären. Der IBKA ist dagegen der Auffassung, dass jeder etwaige Entschädigungsanspruch durch die inzwischen zwei Jahrhunderte andauernden Zahlungen längst abgegolten ist.

Regelmäßig kommt es vor, dass kirchliche Aktivitäten vom Staat subventioniert werden. So hat sich z.B. geradezu eine Tradition herausgebildet, dass Kirchentage nur zu einem Bruchteil von der Kirche selbst bezahlt werden, der Rest wird aus öffentlichen Haushaltsmitteln aufgebracht. Hier gab es kürzlich einen kleinen Erfolg zu vermelden: In der Stadt Münster fand sich keine Mehrheit dafür, den katholischen Kirchentag, der dort 2018 stattfinden soll, mit Geldmitteln der Stadt zu unterstützen. Angesichts der Tatsache, dass Münster in einer traditionell katholischen Region liegt, ist das ein ermutigendes Signal und auch ein Erfolg für Aktivisten, die mit Unterstützung des IBKA und anderer säkularer Verbände gegen eine Finanzierung des Kirchentags aus öffentlichen Haushaltsmitteln protestiert hatten. Allerdings wird die Stadt den Kirchentag wohl mit Sachleistungen unterstützen. Und kürzlich erst hat der Senat des Bundeslands Berlin beschlossen, den Evangelischen Kirchentag, der dort 2017 stattfinden wird, mit 8,4 Millionen Euro zu subventionieren. Weitere Beispiele für die staatliche Subventionierung der Kirchen sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Die Finanzierung der Seelsorge bei der Armee und in Gefängnissen
  • Der konfessionelle Religionsunterricht, der nach den Grundsätzen der Kirchen erteilt und vollständig vom Staat bezahlt wird
  • Die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen

Jedes Jahr treten über 100.000 Menschen allein aus der katholischen Kirche aus. Ein Abebben der Austrittswelle ist nicht in Sicht. In 2013 verließen 178.805 Menschen die katholische Kirche, die Zahlen für die evangelische Kirche bewegen sich in einer ähnlichen Größenordnung. Auch die Zahl der Menschen, die am Sonntag den Gottesdienst besuchen, nimmt Jahr für Jahr ab.

Angesichts dieser Zahlen drängt sich speziell im Hinblick auf die Kirchensteuer die Frage auf, ob das bestehende System noch Zukunft hat. Auch innerhalb der Kirchen gibt es kritische Diskussionen über die Kirchensteuer. Nicht wenige meinen, dass die Kirchen von einer Abschaffung der Kirchensteuer sogar profitieren könnten und dass das kirchliche Gemeindeleben bei einem weniger zentralistischen System der Finanzierung vielleicht lebendiger wäre.

Es scheint aber unwahrscheinlich, dass die Kirchen sich vom bestehenden System verabschieden werden. Jede Umstellung wäre höchstwahrscheinlich mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden. Daher werden die Kirchen vermutlich den Komfort des bestehenden Systems möglichen Alternativen vorziehen. Dass die Kirchensteuer einen finanziellen Anreiz setzt, aus der Kirche auszutreten und damit das allmähliche Schwinden des Mitgliederbestands beschleunigt, werden sie dabei in Kauf nehmen; eine radikale Reform der Kirchenfinanzierung erscheint wenig wahrscheinlich. Der deutsche Staat wiederum wird zumindest auf absehbare Zeit gegen den Willen der Kirchen nichts verändern.

Vielmehr ist der deutsche Staat in der Regel bemüht, den Wünschen der Kirchen nachzukommen. So wurden zum Beispiel erst kürzlich auf Wunsch der Kirchen die Banken dazu verpflichtet, die Kirchensteuer auf Kapitalerträge abzuführen. Allerdings schossen die Kirchen damit ein Eigentor. Denn die Banken informierten ihre Kunden per Brief von der neuen Regelung. Zwar bedeutete das neue Verfahren keine substanzielle Änderung, denn auf Kapitalerträge war auch vorher schon Kirchensteuer fällig – der Unterschied besteht nur darin, dass nun die Banken die Steuer abführen, während dies bisher der Steuerpflichtige selbst tun musste. Viele Steuerzahler wurden aber anscheinend erst durch die Mitteilung der Banken darauf aufmerksam, dass auf Kapitalerträge Kirchsteuer fällig wird und nahmen dies zum Anlass, aus der Kirche auszutreten. Für 2014 liegen noch keine Austrittszahlen vor, es wird aber ein erneuter deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr erwartet.

Während auf der einen Seite die Kirchen langsam schrumpfen, sind Bestrebungen für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche allenfalls in Ansätzen erkennbar. Die großen Parteien vermeiden alles, was ihnen Ärger mit der Kirche einbringen könnte – dies gilt für die Christdemokraten genauso wie für die Sozialdemokraten. Dennoch wird sich auch die Politik früher oder später den gesellschaftlichen Realitäten stellen müssen.

In französischer Übersetzung veröffentlicht in L'Idee Libre – Revue de la Libre Pensée Nr. 309 (Juni 2015)