-
(483) Jun 1982. Die Kirchen in der Bundesrepublik haben zwar das Recht, Privatschulen einzurichten
und zu betreiben. Sie haben aber nicht das Recht, unter Berufung auf ihre Autonomie und die Kirchensteuerfreiheit Schulen
finanziell fast ausschließlich zu Lasten des Staates zu betreiben. Den Kirchen ist vielmehr zuzumuten, einen Teil ihrer Mittel
aus der Kirchensteuer ausgeben zu müssen, "wenn sie in kirchlichem Geist geführte Schulen betreiben oder betreiben lassen und
damit ihr Glaubensgut festigen und verbreiten sowie ihre Erziehungsziele erreichen wollen". Mit dieser Begründung verwarf das
Oberverwaltungsgericht in Münster die Klage eines evangelischen Schulträgers in Witten, der die Landesregierung in Düsseldorf
gerichtlich zwingen wollte, 98 Prozent aller Schulkosten zu übernehmen. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß "sich kein
Schulträger, auch kein kirchlicher Träger, durch Zwischenschaltung armer juristischer Personen einer Berücksichtigung seines
Vermögens generell sollte entziehen können". Öffentliche Zuschüsse seien erst dann erforderlich, wenn die Eigenmittel der
Schulträger, in diesem Fall der Evangelischen Kirche, nicht ausreichten. Beim Bundesverwaltungsgericht wurde Revision wegen der
grundsätzlichen Bedeutung des Falles zugelassen. Aktenzeichen: 5A 2117/80 IK 1264/79 Arnsberg. (Vgl. Frankfurter Rundschau vom
30. Juni 1982.)
-
(484) Jul 1982. Helmut Holzapfel, Monsignore und "geistlicher" Chefredakteur der Bistumszeitung
Katholisches Sonntagsblatt in Würzburg, wurde nach Empfang des Bundesverdienstkreuzes jetzt auch durch Bischof Paul Werner
Scheele geehrt. Holzapfel, der wegen einer Artikelserie über die Judenverfolgung sowie anderen umstrittenen juristischen
Aktivitäten bundesweit Aufmerksamkeit und Kritik erntete und der gegenwärtig gegen MIZ-Redakteur Schütte und den französischen
Journalisten Reymond in Berlin prozessiert, erhielt aus den Händen seines Ortsbischofs die zum ersten Mal vergebene
"Liborius-Wagner-Madaille". Damit, so Bischof Scheele Im "Pressedienst des Ordinariats", wolle man künftighin jener Priester
gedenken, "die ihren Dienst tun, ohne Schlagzeilen zu machen". Die Medaille trägt die lnschrift: "Antiquissimae fidei novus
martyr" (neuer Zeuge des uralten Glaubens). (Vgl. Frankfurter Rundschau vom 9. Juli 1982.)
-
(485) Jul 1982. Von einem möglichen Einzug der Grünen in den Landtag befürchtet das bayerische
Landeskomitee der Katholiken "eine Schwächung des repräsentativen Systems unserer parlamentarischen Demokratie". Mit ihrem
Rotationsprinzip - der Auswechselung der Abgeordneten während der Legislaturperiode - hätten die Grünen "die Axt an die Wurzel
des parlamentarischen System gelegt". Für die Wahlen in Bayern fordert das Landeskomitee die katholischen Wahlberechtigten auf,
sich "eingehend zu in [...] der Parteien. Es sei aber für den katholischen Wähler auch notwendig, sich ein "zutreffendes Urteil
über die persönliche Integrität der einzelnen Kandidaten" zu machen. Katholische Bürger sollten von ihrem Wahlrecht Gebrauch
machen, denn die Mitverantwortung für den Staat und die Gesellschaft mache die Wahlbeteiligung zur "Gewissenspflicht". (Vgl.
Süddeutsche Zeitung vom 16. Juli 1982.)
-
(486) Aug 1982. Mit der Begründung, durch die in "wilder Ehe" lebenden Eltern sei eine christliche
Erziehung und Unterweisung nicht gewährleistet, hat Pfarrdiakon Johannes Keim In Sechshelden/Manderbach (Dekanat Dillenburg)
die Taufe eines nichtehelichen Kindes und damit dessen Aufnahme in die Kirchengemeinde verweigert. Dem Theologen, dessen
Entscheidung vom Kirchenvorstand gebilligt wurde, hatten die Eltern beim vorangegangenen Taufgespräch deutlich gemacht, daß sie
der von ihm gewünschten Eheschließung nicht nachkommen, sondern weiterhin ohne Trauschein zusammenleben wollten. Pfarrdiakon
Keim erklärte, "gegen die Modeerscheinung der wilden Ehe" müsse auch "im kleinen örtlichen Kreis gesteuert werden". Er wolle
vermeiden, daß eine "Ehe, die keine ist", gleichsam durch die Taufe legalisiert werde. (Vgl. Frankfurter Rundschau vom 10.
August 1982.)
-
(487) Aug 1982. Die Stadt Dachau hat ihren Kunstskandal. Nur 24 Stunden, nachdem Oberbürgermeister
Lorenz Reitmeier und der Leiter der Sommerkunst-Ausstellung im Dachauer Schloß, Alfred Kindermann, ein Gemälde des Malers Otto
Fuchs gegen Angriffe des SPD-Landtagskandidaten Hans Hartl in Schutz genommen hatten, wurde das "östliche Aphrodite" betitelte
Bild aus der Ausstellung entfernt. Abgehängt hat es Alfred Kindermann, Direktor eines Dachauer Gymnasiums und
Bezirkstagskandidat der Dachauer CSU, persönlich und "in eigener Verantwortung". Das geht aus einem handgeschriebenen Zettel
hervor, der anstelle des Bildes in der Ausstellung angebracht wurde. Hans Hartl hatte an der auf dem Gemälde dargestellten
Frauengestalt, die in der rechten Hand drei männliche Geschlechtsteile trägt, Anstoß genommen. Nach Hartls Ansicht würden
dadurch sittliche und religiöse Gefühle des Betrachters [...] Lokalzeitung war dann aus der "Aphrodite" eine "barbusige
Madonna" und "nackte Muttergottes" geworden; diese Version, die durch den Katalogtext klar widerlegt wird, hatten auch
Presseagenturen und Münchener Boulevardzeitungen übernommen. Daraufhin schaltete sich das Ordinariat der Erzdiözese München und
Freising in die Angelegenheit ein. Der zuständige öffentlichkeitsreferent, Prälat Curt Gennewein, wandte sich in einer
Stellungnahme "mit Nachdruck" gegen ein Bild, "das nach dem Eindruck des Betrachters eine barbusige Madonna mit drei männlichen
Geschlechtsteilen in der Hand darstellen soll". Gennewein teilte mit, daß er Dachaus Oberbürgermeister aufgefordert habe, das
Bild "sofort aus der Ausstellung zu entfernen", da es an Obszönität und Geschmacklosigkeit wohl kaum mehr zu überbieten sei. Es
müsse die religiösen Gefühle vieler Menschen gröblich verletzen. Gennewein drohte auch unverhohlen: das Ordinariat werde
"geeignete Schritte zur Abstellung dieses das sittliche Gefühl und religiöse Empfinden katholischer Christen verletzenden
Ärgernisses in die Wege leiten", falls das Bild nicht entfernt werde. - Wegen der Entfernung des "obszönen" Bildes haben nach
Mitteilung der Dachauer Stadtverwaltung acht Maler und Bildhauer ihre Werke zurückgezogen. Die Stadtverwaltung entschloß sich
als Veranstalter, wegen des Teilboykotts bis zu Ende der Ausstellung keinen Eintritt mehr zu verlangen. (Vgl. Süddeutsche
Zeitung vom 14. und 16. August 1982, Frankfurter Rundschau vom 18. August 1982.)
-
(488) Aug 1982. Die katholische Kirche in Bayern kann von ihren Gläubigen neben der Kirchensteuer
auch die Abgabe von Naturalien verlangen. Das Augsburger Verwaltungsgericht bestätigte einer Pfarrpfründe im Bistum Augsburg
den heute noch aktuellen Anspruch auf ein altes Gewohnheitsrecht. Es verurteilte den 60jährigen Landwirt Johann Gump zur
jährlichen Zahlung von zwölf Laib ortsüblichen Bauernbrotes. Der Hofbesitzer war von der Kirche verklagt worden, weil er es
abgelehnt hatte, der überlieferten Verpflichtung weiter nachzukommen. Vor Gericht hatte sich der Vertreter der bischöflichen
Finanzkammer mit Erfolg darauf berufen, daß die "Reichnis- [...] Bayerischen Stiftungsrecht verankert worden sei. Während bei
zwei Höfen der Gemeinde Herbertshofen auch heute noch in jedem Jahr 18 Mark Brotgeld abkassiert werden, hatte Landwirt Gump
1973 die Zahlung mit der Begründung eingestellt, er zahle doch schon jährlich 1.500 Mark Kirchensteuer. Das Gericht kam zu der
Auffassung, daß anstelle des Gewohnheitsrechts auf Naturalabgaben inzwischen Geldzahlungen getreten seien. Der Beklagte wurde
dazu verurteilt, künftig 48 Mark jährlich als Brotpreis zu bezahlen, ebenso wie die ausstehende Schuld von 225 Mark. (Vgl.
Frankfurter Rundschau vom 18.August 1982.)
-
(489) Aug 1982. Evangelische Unternehmer wehren sich gegen die Auffassung der Organisation
"Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt", die die "Vergötzung der bestehenden Wirtschaftsordnung" auch in der evangelischen
Kirche beklagte. Mit der konsequenten Weiterführung des Systems der sozialen Marktwirtschaft können die Konjunktur- und
Strukturprobleme der Bundesrepublik gelöst werden, zumal von Menschen, "die an ihre Aufgabe in christlicher Verantwortung
herangehen". Diese Ansicht vertritt der Vorstand des Arbeitskreises evangelischer Unternehmer in einer jetzt veröffentlichten
Vorlage für die nächste Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die sich vom 7. bis 12. November 1982 in Berlin
mit dem Thema "Kirche und Arbeitswelt" beschäftigen will. Wie es in der Vorlage heißt, sind die evangelischen Unternehmer von
der Überwindbarkeit der gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme überzeugt, sofern sich die Bundesrepublik Deutschland nicht "durch
zentralverwaltungswirtschaftliche oder planwirtschaftliche Vorstellungen oder durch andere unrealistische von derjenigen
bewährten Wirtschaftsordnung abbringen läßt, welche ein Höchstmaß von elastischer Anpassungfähigkeit an die rasch wechselnde
wirtschaftliche Szenerie ermöglicht." Unter anderem weist das Papier darauf hin, daß "Wohlstand für alle" in großem Umfang
Wirklichkeit geworden sei. Es wird darauf verwiesen, daß in das Konzept der sozialen Marktwirtschaft "viel christliches Denken
einfloß". - Hervorgegangen ist der Arbeitskreis evangelischer Unternehmer aus dem Freiburger "Bonhoeffer-Kreis", der in [...]
Denkschrift über die geistigen Grundlagen einer neuen Wirtschaftsordnung erarbeitete. (Vgl. Frankfurter Rundschau vom 28.
August 1982.)