-
(364) Aug 1980. Der Augsburger Bischof Josef Stimpfle hat zwei Assistenten an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. Im ersten Fall begründete
Stimpfle seine Entscheidung mit dem Hinweis, daß der von ihm Gemaßregelte "seine Kinder nicht taufen ließ", wo doch die
Säuglingstaufe "in den ersten Wochen nach der Geburt stattfinden (soll), da es keinen vernünftigen Grund gibt, die Taufe länger
hinauszuschieben"; im zweiten Fall verweigerte der Bischof dem Assistenten, der sein Priesteramt ruhen lassen wollte, die
Lehrtätigkeit und warf ihm "einen schwerwiegenden Verstoß gegen die einem Priester obliegenden Verpflichtungen" vor. - Nach dem
bayerischen Konkordat kann jeder Bischof die kirchliche Lehrbefugnis erteilen oder entziehen, wenn "triftige Gründe" vorliegen.
Kommentar des stern (Nr. 33 vom 7. August 1980): "Triftig sind Gründe in der Kirchenpraxis immer dann, wenn sie der jeweilige
Bischof für triftig hält."
-
(365) Aug 1980. Wegen "ehrfurchtsloser Äußerungen gegenüber dem Papst" und "Ungehorsams gegenüber
dem Bischof" wurde Willibald Glas, Priester von St. Michael in Arget (Landkreis München), von seinen Kirchenoberen
zwangspensioniert. Glas hatte sich geweigert, seine private Spende für den jährlich fällig werdenden "Peterspfennig" nach Rom
an den Papst abzuführen. Statt dessen warb er für eine Kollekte zugunsten des oppositionellen katholischen "Freundeskreises
Kirche für unsere Zeit", der auf dem jüngsten Katholikentag in Berlin gegen die "verkrusteten, aus dem Mittelalter stammenden
hierarchischen Strukturen der Amtskirche" zu Felde gzogen war. Priester Glas fragte seine Pfarrangehörigen, ob sie "einen Papst
finanziell unterstützen" wollten, der "mit allen Mitteln auf seine Unfehlbarkeit pocht" und "der als Stellvertreter des ewigen
guten Hirten zahllose Pfarreien auf der ganzen Weit ohne Priester sein läßt, nur um das eh und je umstrittene Gesetz
priesterlicher Ehelosigkeit aufrechtzuerhalten". Als die kirchlichen Vorgesetzten Widerruf verlangten, wies Glas alle
Einigungskompromisse zurück. Er sei "keineswegs weiterhin gewillt", sich "als Psychopathen" abstempeln zu lassen", nur weil er
"eine eigene Meinung" habe (vgl, Der Spiegel, Nr. 36 vom 1. September 1980).
-
(366) Sep 1980. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung vom 25. September 1980 schreibt
Rainer Albrecht: "Priesteramtskandidaten, die offen zu ihrer Homosexualität stehen, haben auch derzeit große Schwierigkeiten,
geweiht zu werden. Konkret ist mir bekannt, daß im Jahre 1979 der Limburger Bischof einem Theologiestudenten in einem Brief
mitteilte, daß eine berufliche Tätigkeit in der Seelsorge mit Rücksicht auf das Empfinden weitester Kreise sowohl von der Sache
her wie auch im Interesse der Betreffenden nicht verantwortet werden kann. Diese stünden immer wieder vor Situationen, die ein
gedeihliches pastorales Wirken unmöglich manchen."'
-
(367) Okt 1980. Bei den Bundestagswahlen haben sich nach einer Analyse der katholischen
Thomas-Morus-Universität rund 62 Prozent der katholischen Stimmberechtigten für die CDU/CSU ausgesprochen, von den
evangelischen Wählern dagegen nur 30 Prozent. Der umstrittene Wahlhirtenbrief der katholischen Bischöfe war laut Allensbach von
21 Prozent der Union-Anhänger negativ, von 60 Prozent positiv aufgenommen worden. Von der Gesamtbevölkerung gaben dagegen nur
29 Prozent eine zustimmende, 51 Prozent eine ablehnende Haltung zu Protokoll.
-
(368) Okt 1980. Helmut Holzapfel, Theologe und "geistlicher" Chefredakteur des Würzburger
katholischen Sonntagsblatts, soll für seine publizistischen Leistungen auf Vorschlag der bayerischen Landesregierung mit dem
Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Die Würzburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hat gegen die
Verleihung protestiert, Holzapfel war mit antisemitischen Äußerungen über die Bistumsgrenzen hinaus bekannt geworden. "Aus
Termingründen" wurde die Übergabe des Verdienstkreuzes einstweilen verschoben.
-
(369) Nov 1980. Sonntagsblatt-Chefredakteur Holzapfel bleibt vor Strafverfolgung vorerst verschont.
Er hatte sich in einer elfteiligen Artikelserie der Kirchenzeitung und später in einer Broschüre abfällig zum Thema
Judenverfolgung geäußert (vgl. Der Spiegel Nr. 28, 7. Juli 1980, S. 48f.; MIZ Nr. 3/80: "Stellungnahme" und "Internationale
Rundschau" Meldung Nr. 352). Daraufhin war er vom Duisburger Jurist Heinz J. Sehr wegen Volksverhetzung und Beleidigung
verklagt worden. Seine Strafanzeige begründete Sehr u.a. mit einer Aussage Holzapfels, in der von einer "Entwurzelung der
Ostjuden" die Rede war, die mit übler Pornographie Geld verdienten und "ein Leben in Saus und Braus führten, während das Volk,
das deutsche Volk, darbte". Der Würzburger Oberstaatsanwalt Elmar Fischer stellte das Verfahren gegen Holzapfel am 21. November
"mangels hinreichenden Tatverdachts" ein. Bei der Veröffentlichung Holzapfels handelt es sich nach Auffassung Fischers nicht um
eine Sammlung antisemitischer Äußerungen. Die zitierten Passagen seien aus dem Zusammenhang gerissen. Im übrigen sei bereits
eine Verjährung eingetreten. Selbst wenn man den Strafbestand der Beleidigung oder üblen Nachrede als erfüllt ansehe, sei die
Verfolgungsverjährung wirksam, weil der strittige Beitrag zuletzt im September 1979 erschienen sei. Der Duisburger Kläger ist
mit der Begründung der Würzburger Staatsanwaltschaft und mit der Verfahrenseinstellung indes nicht zufrieden. Außerdem habe
eine Rechtsmittelbelehrung gefehlt. Jurist Sehr will Beschwerde beim Bamberger Generalstaatsanwalt einlegen (vgl. Frankfurter
Rundschau vom 26. November 1980).
-
(370) Nov 1980.'Die Neue' veröffentlichte am 20. November 1980 ein Interview mit Hubertus Mynarek:
"Der Konzern spirito santo und sein geistliches Haupt". Darin nimmt der zwangspensionierte Theologieprofessor zu Hintergründen
und Ursachen der jüngsten "Showtournee" des Papstes durch die BRD Stellung: "Wojtyla repräsentiert genau jenen Typ
konservativen Priesters, den man suchte. Nur in Polen gibt es noch einen Katholizismus, der im Sinne der Doktrin, also im Sinne
der herrschenden Lehre, äußerst konservativ und zugleich lebendig und vital Ist. Hier finden sich Männer, die eine alte Doktrin
mit neuer, enthusiastischer Energie zu vertreten bereit sind ... Gerade für das katholische Fußvolk verkörpert er (Wojtyla) die
Antwort auf Daseinsängste ... Der Papst ist Symbolfigur für eine neue konservative Generaloffensive. Der Papst hat den schon
mutlos gewordenen konservativen Politikern gezeigt, daß sich konservative Politik wieder modern und mondän machen läßt." Auf
die Frage, was für ein Menschenbild denn die Kardinäle hätten, antwortet Mynarek: "In ihrer Soziallehre ist sehr wohl Platz für
die Forderung nach Ausgleich zwischen Arm und Reich. Nur ist es so, daß bei diesem Menschenbild Mensch doch nicht gleich Mensch
ist. Gleiche Behandlung wird nicht garantiert. Denn der Gehorsam rangiert in der katholischen Soziallehre an erster Stelle ...
Das ist in der katholischen Welt die erste Tugend, der erste Wert ... " Zu Fragen wie neuer Reichtum, Gesamtvermögen und
internationale Finanzverflechtungen des Vatikans nimmt Mynarek wie folgt Stellung: "Natürlich war es die Politik des Vatikans
seit 1929, also seit dem Lateranvertrag mit den Faschisten, möglichst krisenfest Vermögen, Aktien und Einnahmen des Vatikans
unterzubringen. Und der Vatikan hat diese Aufgabe vortrefflich gelöst. Ohne Rücksicht auf den moralischen Charakter eines
Unternehmens wurde das Geld angelegt. Zuerst vor allem in Betrieben und Banken Italiens. Als dann nach 1970 die politische wie
wirtschaftliche Lage immer unsicherer wurde, transferierten die Finanzexperten des Vatikans ihre Aktien zum größten Teil in die
Vereinigten Staaten ... Die Times rechnete 1975 mit 40 bis 60 Milliarden Mark (gemeint ist das vatikanische Gesamtvermögen -
MIZ) ... Marcinkus (US-Bischof - MIZ) ist heute mehr als nur Chef der Vatikanbank. Der ist der eigentliche Manager Johannes
Pauls II. ... Sicher ist, daß er als Chef der Vatikanbank nicht nur Verbindung zu allen großen Finanziers der USA hält. Er hat
auch die Kontakte geknüpft zum mittlerweile berühmt-berüchtigten Bankier und Finanzmakler Michele Sindona ... Sindonas
Finanzspekulationen sind bis heute ungeklärt. Er tauchte im Lande seines Freundes Marcinkus unter, der ihn zuvor als äußerst
klugen Freund der Kirche gefeiert hatte . .
-
(371) Nov 1980. Am 7. November 1980 hat sich in Nürnberg die Deutsche Gesellschaft für Humanes
Sterben(DGHS) konstituiert. Laut dem DGHS-Vorsitzenden Atrott aus Augsburg strebt die Gesellschaft eine Reform des § 216 StGB
an. Infolge der Verunglimpfung der Idee des humanen Sterbens durch die Gleichsetzung mit Hitlers Euthanasie, insbesondere
seitens der Kirchen, seien bisher alle Versuche gescheitert, eine solche Gesellschaft in der Bundesrepublik zu gründen. - Vor
dem Gründungslokal kam es zu einer Gegendemonstration religiöser Gruppen.
-
(372) Nov 1980. Der Finanzminister des Bundeslandes Baden-Württemberg, Palm (CDU), will nach einem
Bericht des Spiegel (Nr. 47/1980) der Evangelischen Landeskirche Württemberg 843 Hektar Land mit einem amtlich geschätzten
Verkehrswert von knapp 70 Millionen Mark für lediglich 8,55 Millionen Mark übereignen und von dieser Landeskirche 89 Hektar
Land zum vollen Verkaufswert von 12,3 Millionen Mark übernehmen. Darüber hinaus sollen der Evangelischen Landeskirche
Württemberg zusätzlich 7,75 Millionen Mark aus einem staatlichen "Dotationsfonds" gezahlt werden. Käme die Transaktion
zustande, würden den Protestanten Bareinnahmen in Höhe von 11,5 Millionen Mark, den Bodengewinn nicht mitgerechnet, zufließen.
- Die Evangelische Landeskirche in Württemberg kassiert allein für die Besoldung ihrer Pfarrer vom Staat jährlich 29,7
Millionen Mark. Das Bundesland Baden-Württemberg zahlt seinen beiden evangelischen Landeskirchen eine Jahrespauschale von 57
Millionen Mark; die gleiche Summe erhält die Erzdiözese Freiburg und die Diözese Rottenburg/Stuttgart. Die Zuschüsse für die
Erhaltung und Renovierung von Klöstern gehen ebenfalls in die Millionen.
-
(373) Nov 1980. Am 16. November fand anläßlich des Wojtyla-Besuches in Fulda eine
Anti-Papst-Demonstration von "feministischen Frauen in und außerhalb der Kirche" statt. Die Feministinnen protestierten in
einem Flugblatt "gegen den Ausschluß der Frau von allen kirchlichen Ämtern ... und damit von offizieller kirchlicher Lehre und
Gesetzgebung, gegen die benachteiligte Stellung der Frau in den Fachbereichen der katholischen Theologie in den Universitäten
der BRD, ... gegen den Ausschluß der Frau vom Altardienst, gegen den Gebrauch sexistischer Sprache und Bilder in der Liturgie".
Die Demonstrantinnen wandten sich ferner "gegen die Bevormundung der Frauen in der Kirche durch eine einseitige männliche
Theologie, durch eine klerikal-zölibatäre Sexualmoral (Verbot der Geburtenkontrolle, Ächtung der Homosexuellen,
Nicht-Beteiligung von Frauen an Lehrentscheidungen zu § 218), gegen die Vergewaltigung von Frauen außerhalb und innerhalb der
Ehe, in der nach kirchlichen Vorstellungen der Mann das Haupt der Frau ist". Das Flugblatt schließt: "In der Kirche des
Mittelalters wurden Frauen massenhaft als Hexen verurteilt, gefoltert und verbrannt. Diese Geschichte ist bis heute nicht
revidiert worden und wird in den katholischen Schul- und Lehrbüchern kaum erwähnt ... Wir fordern eine Kirche, die nicht mit
den Mächtigen paktiert. Frauen in der Kirche! Informiert Euch und werdet Euch Eurer Lage bewußt! Für die vorbehaltlose
Anerkennung und Verwirklichung von Menschenrechten in der Kirche!" (vgl. Die Neue vom 12. November 1980).