Trennung von Kirche und Staat

Trennung von Kirche und Staat

MIZ 1/1995 S.21-24 (Auszug *)

Geld, Einfluß, Privilegien - Standfüsse einer organisierten Religion
Ein Kommentar zu den Kirchenverträgen mit den neuen Bundesländern

(...)
Sehr aufschlußreich in dieser Hinsicht (Kirchenpolitik, FS) ist die Lektüre von Haushaltsplänen und von Kirchenverträgen. Letzteres ist derzeit besonders angezeigt, denn mit der Eingliederung der neuen Bundesländer begann die christliche Lobby sofort darauf hinzuarbeiten, sich dort im gleichen Maße Geldmittel, Einfluß und Privilegien zu verschaffen, wie sie es in den alten Bundesländern nach dem Ende des zweiten Weltkrieges so erfolgreich tun konnte. Dabei geniert es die Führungshierarchien der christlichen Kirchen in keiner Weise, daß die Bevölkerung in diesen Ländern mehrheitlich den christlichen Kirchen gar nicht angehört. Es schert sie auch nicht, daß diese neuen Länder alle Finanzmittel dringend zum Wiederaufbau einer desolaten Wirtschaft benötigen und einen hohen Anteil arbeitsloser Menschen haben. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Verträge, die die christlichen Kirchen derzeit mit den Regierungen der neuen Bundesländer aushandeln, nicht wesentlich anders aussehen, als entsprechende Vereinbarungen in den alten Bundesländern. Das macht diese Vorgänge aber nicht besser. Allein schon der Umstand, daß eine Gruppe von Begünstigten durch ihre eigenen Hausjuristen ein Vertragswerk zum eigenen Vorteil entwirft, den Länderparlamenten vorlegt und (derzeit noch!) fast ohne jede nennenswerte Änderung durchbringt, ist ohne Beispiel. Welche andere Interessengruppe in Deutschland schafft das in diesem Maßstab?! Dafür arbeitet eine große (alle Parteien übergreifende) Koalition von christlichen Politikern seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik fast lautlos und äußerst effektiv. Bei der Behandlung dieser Art von Verträgen wird in extremer Weise sichtbar, daß christliche Abgeordnete in aller Regel eben nicht 'Volksvertreter' sondern Vertreter des christlichen Bevölkerungsteils sind und es sollte höchste Zeit sein, daß Menschen nichtchristlicher Weltanschauungen und Konfessionsfreie dies endlich zur Kenntnis nehmen. Die seit Jahrzehnten praktizierte Ausplünderung staatlicher Haushalte zugunsten der christlichen Großkirchen, praktiziert durch christliche Abgeordnete aller Parteien ist ein aggressiver Akt gegen den nichtchristlichen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung (derzeit nahezu 30%), dessen Angehörige durch diese Politik permanent zu Bürgern zweiter Klasse gemacht werden.

Wenn nachfolgend am Beispiel des Vertrages zwischen der Evangelischen Kirche und dem Land Brandenburg die Situation auf diesem Gebiet beleuchtet werden soll, so nicht deshalb, weil dieser Vertrag wegen seiner Einmaligkeit besonders hervorzuheben wäre, sondern (und das ist weit schlimmer!) weil er in typischer Weise zeigt, wie sich der christliche Bevölkerungsteil seine privilegierte Stellung im Staat verschafft. Bei einer Analyse dieses Vertrages fällt zunächst auf, daß er eine Reihe von Bestimmungen enthält, die vollkommen überflüssig sind, weil sich die Kirche Rechte zusichern läßt, die ihr bzw. ihren Anhängern nach dem (übergeordneten) Grundgesetz ohnehin zustehen (beispielsweise die Freiheit, den evangelischen Glauben zu bekennen, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten, Gewährleistung eines Religionsunterrichts, das Recht Schulen in kirchlicher Trägerschaft zu unterhalten). Streicht man diese überflüssigen Texte und alle Leerfloskeln in dem Vertragswerk, dann bleibt ein Vertragsgerippe übrig, bei dem es so gut wie ausschließlich um vier Punkte geht:

  • um Geld,
  • um Immobilien,
  • um Propagandainstrumente und
  • um Privilegien.

Wie teuer dieser Vertrag den Steuerzahler kommen wird, läßt sich aus dem Vertragstext nicht erschliessen, da im vorliegenden Vertragsentwurf noch keine Zahlenangaben zu finden sind. Mit Sicherheit sind es jedoch zig Millionen jährlich allein in diesem Bundesland - bei einer mehrheitlich nichtchristlieben Bevölkerung, der von ihrem eigenen Parlament nicht einmal ein Bruchteil dieser Vergünstigungen für weltanschauliche Vereinigungen von Konfessionslosen zugestanden wird, eine Ungeheuerlichkeit.

Unmittelbar kostenträchtig ist die Verpflichtung des Staates

  • zur Einrichtung von Fakultäten für Theologie und Religionspädagogik an Universitäten und Fachhochschulen (Art. 3),
  • zur Mitfinanzierung kirchlicher Privatschulen (Art. 6),
  • zu einer 'angemessenen' Bezuschussung kirchlicher Erwachsenenbildung (Art. 7),
  • zu einer 'angemessenen' Förderung diakonischer Einrichtungen (Art. 11),
  • zu einer 'Mitverantwortung' des Landes für kirchliche Gebäude (Art. 12)
  • mit einer besonderen Garantie des Landes für den Fortbestand des Domstiftes Brandenburg (die Verteilung der Baulast wird gesondert vereinbart!),
  • zu einer 'angemessenen' Berücksichtigung der Kirche bei der Vergabe von Mitteln zur Denkmalpflege (Art. 13), - zur Finanzierung der 'Sonderseelsorgebereiche' (Höhe wird gesondert verhandelt! - Art. 15),
  • zur Zahlung von sog. 'Staatsleistungen', hiervor allem zur Bezahlung von Zuschüssen zur Pfarrer-Besoldung und
  • Versorgung (jährliche Summe wird gesondert vereinbart! - Art. 16),
  • zur Befreiung der Kirchen von Gerichtsgebühren, Gebühren der Grundbuchämter und landesrechtlicher Gebühren (Art. 20),
  • zur Kostenbeteiligung von Land, Kreisen und Kommunen an den Kosten kirchlicher Friedhöfe und auf Gebühreneinzug durch die Kommune (Art. 23).

Mittelbar kostenträchtig sind alle Regelungen, in denen staatliche Einrichtungen zur kostenlosen Dienstleistung für die Kirche verpflichtet werden (z.B. gebührenfreie Datenerhebung für die Kirchen durch die staatlichen Meideämter - Art. 25), in denen Kirchen das Recht eingeräumt wird für öffentliche Belange in eigener Verantwortung Gebühren festzusetzen (z. B. im Bereich des Friedhofwesens - Art. 23), in denen kirchlichen Einrichtungen generell Steuerbegünstigungen zugesichert wird (Art. 9). Die Gefahr weiterer finanzieller Raubzüge droht zusätzlich überall dort, wo die Festlegung der Höhe von Finanzleistungen gesonderten Verhandlungen vorbehalten ist, oder aus der Verpflichtung des Landes zur 'Anerkennung' kirchlicher Einrichtungen eines Tages Unterhaltszuschüsse werden können (so beispielsweise im Bereich des 'Sozialdiakonischen Bildungswesens' - Art. 8).

Seine Verpflichtung zur Beachtung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt ein Staat dann, wenn er (wie in derartigen Kirchenverträgen) bestimmten Institutionen von vorneherein einen besonderen Schutz oder eine wohlwollende Behandlung zusichert. So läßt sich die Kirche in Art. 9 garantieren, daß das Eigentum und Vermögen kirchlicher Körperschaften einen besonderen Schutz genießt. Bei der Beschaffung gleichwertiger Ersatzgrundstücke für frühere Enteignungen wird das Land verpflichtet, auf kirchliche Belange Rücksicht zu nehmen und einen Vermögensausgleich wohlwollend zu prüfen. Welche Chance hat wohl ein normaler Bürger, der nach dem Abschluß derartiger Verträge bei Grundstücks- oder Vermögensauseinandersetzungen einer Kirche als Prozeßgegner gegenübersteht?! Daß sich die Kirche in diesem Vertrag generell das Recht auf Eigentumsrückübertragung aller Grundstücke und Gebäude sichert, die in der ehemaligen DDR in öffentlichem Besitz waren, aber einstmals der Kirche gehörten, versteht sich von selbst (Art. 12). Es dürfte schwer fallen, nach dem Abschluß eines solchen Vertrages ehemaligen Landjunkern eine Gleichbehandlung zu verweigern.

Dem Anspruch der Kirche auf Propagierung ihrer Ideologie zu Lasten des Steuerzahlers wird in einer Reihe von Bestimmungen Rechnung getragen. Durch den Religionsunterricht an staatlichen Schulen (Art. 5), die religionspädagogischen und theologischen Fakultäten an staatlichen Hochschulen (Art. 3), durch die Zusicherung 'angemessener Sendezeiten für Zwecke der Verkündigung und Seelsorge' im öffentlich rechtlichen Rundfunk und 'angemessene Vertretung in den Aufsichtgremien der Rundfunkanstalten' (Art. 24) und durch die generelle Zusicherung, eigene private Sendeanstalten einrichten zu dürfen.

Für den demokratischen Staat besonders bedenklich sind alle Festlegungen, durch die den christlichen Großkirchen quasi die Rolle eines Staates im Staate zugestanden wird. Hierzu gehört die Verpflichtung des Landes zu regelmäßigen Gesprächen, die Verpflichtung die Kirchen an Planungsentscheidungen die ihre Interessen berühren könnten 'angemessen zu beteiligen' und die Bestellung eines Kirchenbeauftragten am Sitz der Landesregierung (am Ende gar auch noch auf Kosten der öffentlichen Hand? - Art 2). Geradezu unerträglich sind Formulierungen wie in Art. 10, in dem es heißt: 'Die Kirchen, ihre Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Verbände sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihr Dienst ist öffentlicher Dienst.' Noch dreister läßt sich Absicht der Verfilzung zwischen Staat und Kirchen, zu Lasten aller konfessionsfreien Menschen, nicht mehr formulieren. In diesen Zusammenhang gehört dann auch das Recht der Kirchen sich der staatlichen Finanzämter zu bedienen (Art. 17 und 18), die Verpflichtung der staatlichen Meldeämter den Kirchen kostenlos zu Diensten zu sein (Art. 25), die Verpflichtung der Amtsgerichte, Rechtshilfeersuchen der Kirche stattzugeben (Art. 26) und die Gewährleistung einer 'kirchlichen Gerichtsbarkeit' (Art. 26).

Diese Kirchenverträge geben dem ohnehin skandalösen Staat-Kirchen-Filz in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Dimension. Hier nutzen christliche Politiker, die in den neuen Bundesländern die Vertreter einer weltanschaulichen Minderheit sind, die Desorientieirung der dortigen Bevölkerung nach der 'Wiedervereinigung' aus, um Machtmechanismen zu verankern, die dazu führen werden, daß die konfessionsfreie Bevölkerungsmehrheit dieser Bundesländer eines Tages feststellen wird, daß sie nach dem Zusammenbruch eines von einer politischen Ideologie geprägten Staates, sich unversehends in einem Staat mit einer religiösen Staatsideologie wiederfindet. Der hier beabsichtigte immense Geld- und Immobilientransfer an die christlichen Kirchen, in Verbindung mit der Einführung vielfältiger Privilegien, wird zu folgenden Erscheinungen führen: weite Bereiche des Bildungswesens und des Sozialwesens (Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Alten- und Pflegeheime, Sozialstationen, Kliniken, Krankentransportwesen und Rettungsdienste, Beratungseinrichtungen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung,...) werden nach und nach in die Hände der Kirchen übergehen. Diese betreiben diese nicht etwa aus eigenen Vereinsbeiträgen ('Kirchensteuer') sondern fast ausschließlich auf Kosten der öffentlichen Haushalte, besitzen aber nichtdestotrotz in diesen Einrichtungen uneingeschränkte Macht, bis hin zum speziellen Arbeitsrecht. In den alten Bundesländern hat die systematische Anwendung dieser Methode die Kirchen zum zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat werden lassen. Die Bevölkerung der neuen Bundesländer wird daher auf längere Sicht bei der Inanspruchnahme von Einrichtungen des sozialen Netzes mit Benachteiligungen bei der Zugangsberechtigung, mit Einschränkungen ihrer Weltanschauungsfreiheit und mit Quasi-Berufsverboten im Bereich der Sozialberufe rechnen müssen.
(...)

(*) PM: Kompletter Text, ebenso der genannte Vertragsentwurf und einige andere Kircheverträge.

Bereitgestellt von: f.sippel@soemtron.sb.sub.de (Franz Sippel)