Gutachen zum Brandenburg-Konkordat

Prof. Dr. Ludwig Renck - Wilramstr. 21 - 81669 München - Tel. 089/491871

Gutachtliche Stellungnahme zu Problemen des Konkordats des Landes Brandenburg mit dem Hl.Stuhl,

erstattet für den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg e.V.

Gliederung

  1. Kirchenverträge
  2. Frühere Konkordate
  3. Abschluss von Konkordaten
    1. Regelungsmöglichkeiten
    2. Nutzen von Kirchenverträgen
    3. Fehlendes Gesetz über die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften
  4. Probleme des Vertragstextes
    1. Überflüssige Vertragsklauseln
    2. Zweck der vertraglichen Absicherung
    3. Einzelne Absprachen
    4. Vertragsdauer
    5. Vertragszeitpunkt
    6. Gleichbehandlungsaspekte
  5. Staatliche Leistungen
    1. Regelungsgehalt
    2. Folgelasten
    3. Säkularisationsfolgen und Religionsfürsorge
    4. Leistungsgarantie
  6. Öffentliche Meinungsbildung
  7. Abschließende Beurteilung

München 2004

I. Kirchenverträge

Das Land Brandenburg kann selbstverständlich mit den Kirchen wie mit allen innerstaatlichen Verbänden paktieren. Verträge pflegen abgeschlossen zu werden, um regelungsbedürftige Angelegenheiten rechtlich dauerhaft zu ordnen. Das Konkordat behandelt dagegen überwiegend Gegenstände, die bereits normativ zwingend und sachlich ausreichend geregelt sind. Daraus ergeben sich bereits auf den ersten Blick durchschlagende Bedenken gegen diesen Vertrag:

  • Es ist ungewöhnlich, dass sich der Staat besonders verpflichtet, seine Rechtsordnung einzuhalten.
  • Es ist bedenklich, dass zu diesem Zweck die Gestaltungsfreiheit des Parlaments beschränkt werden soll.
  • Es ist eigenartig, dass sich der Staat auf diese Weise gerade gegenüber einer rechtsunterworfenen und misstrauischen innerstaatlichen Minderheit binden will.
  • Es liegt nicht im staatlichen Interesse, dass im wesentlichen nur der Staat erhebliche Pflichten übernimmt, nicht aber auch der kirchliche Vertragspartner.
  • Es liegt nicht im allgemeinen Interesse, einer gesellschaftlichen Minderheit eine Sonderstellung einzuräumen, die anderen vorenthalten wird.

II. Frühere Konkordate

Die Vertragspräambel spricht von einer "Geltung" bestehender, d.h. das Land Brandenburg bereits bindender Konkordate. Ob jedoch das Reichskonkordat und das Preußische Konkordat die Zeit der DDR überdauert haben, ist ungesichert. Die besseren Gründe sprechen dafür, dass beide in der DDR nicht mehr gegolten haben. Eine so weitgehende Formulierung wie die der Präambel könnte deshalb als ein zweifelhaftes Rechts­anerkenntnis durch das Land verstanden werden und ist schon deswegen nicht empfehlenswert. Unabhängig von der umstrittenen Frage der Rechtsnatur dieser Verträge (völkerrechtliche Verträge, völkerrechtsähnliche Verträge, Staatsverträge, gewöhnliche öffentlichrechtliche Verträge) sprechen die besseren Gründe dafür, dass sie nach 1945 ungültig geworden sein. Die DDR hat sich nicht als Rechtsnachfol­ger des Deutschen Reiches und Preußens verstanden. Sie ist auch nicht automatisch deren Rechtsnachfolger geworden und sie konnte es gegen ihren Willen nicht werden. Der kirchliche Vertragspartner seinerseits hat die Staatlichkeit der DDR bis zu ihrer Aufnahme in die UN nicht anerkannt und damit zu erkennen gegeben, dass zwischen ihm und ihr weder völkerrechtliche noch staatsrechtliche Beziehungen bestehen. Dieser Vorgang ist irreversibel. Beruft sich die Katholische Kirche jetzt auf diese Verträge, ist ihr Verhalten widersprüchlich (venire contra factum proprium) und verstößt gegen Treu und Glauben. Tatsächlich von der DDR an die Katholische Kirche erbrachte Leistungen können nicht als Vertragsanerkenntnis verstanden werden. Das offenkundig taktische Verhalten der DDR-Regie­rung gegenüber den Kirchen hat insoweit keine rechtsbegründende oder rechtserhaltende Wirkung. Ob und mit welchen Folgen das Reichskonkordat bei der Wiedervereinigung für das Gebiet der ehemaligen DDR erneut wirksam wurde, ist ebenso wie die Ansicht der Vertragsschließenden darüber dem Vertragstext nicht zu entnehmen

III. Abschluss von Konkordaten

Das Verfassungsrecht des Bundes und des Landes stehen Kirchenverträgen nicht im Wege. Sie nötigen aber auch nicht dazu, Verträge mit Bekenntnisgemeinschaften abzuschließen. Ausnahmsweise kann sich jedoch, wenn mit den Kirchen Verträge abgeschlossen wurden, aus Gründen der Gleichbehandlung (Parität) eine Rechtspflicht der Landes ergeben, auch mit anderen Bekenntnisgemeinschaften, insbesondere mit Weltanschauungsgemeinschaften, vergleichbare Vereinbarungen zu treffen.

1. Regelungsmöglichkeiten

Um vertragliche Regelungen mit der Katholischen Kirche zu erreichen, sind Konkordate mit dem Hl.Stuhl nicht alternativlos. Das Land kann mit den Diözesen unmittelbar Verträge schließen, ohne den Umweg über Rom nehmen zu müssen. Die Diözesen sind vertragsfähig, wenn auch nicht staatsvertragsfähig. Mit ihnen können alle erforderlich erscheinenden zulässigen Inhalte abgesprochen werden. Der Abschluss gerade mit dem Hl.Stuhl ist eine historische Reminiszenz und dient in erster Linie einem Prestige, das andere Minderheiten nicht genießen können und auf das deswegen verzichtet werden kann. Der Sache nach wird der Hl.Stuhl beim Konkordatsabschluss lediglich als Vertreter der innerstaatlich kirchlich organisierten Katholiken tätig, deren Angelegenheiten im Vertrag behandelt werden. Vertragsrechtlich gesehen sind die Diözesen auf die Einschaltung des Hl.Stuhls nicht angewiesen.

2. Nutzen von Kirchenverträgen

Kirchenverträge machen nur Sinn, wenn tatsächlich regelungsbedürftige Fragen abgesprochen werden. Das ist bei den technischen Einzelheiten des Bekenntnisunterrichts, des Kirchen­steuereinzugs, der Denkmalpflege, der sozialen Dienste und dgl. der Fall. Unnötige Absprachen sind bestenfalls Quelle künftiger Streitigkeiten. Das vorliegende Konkordat will weit mehr. Es ist ein sog. kodifikatorischer Kirchenvertrag des herkömmlichen Typus, der extensiv, wenn auch deutlich einseitig das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander behandelt. Der Nutzen derartiger Kirchenverträge wird in der Regel überschätzt. Sie stammen aus der Zeit christlicher Monarchien oder totalitärerer Systeme mit ungesicherter rechtlicher Stellung der Kirche und ihrer zuweilen beträchtlichen Abhängigkeit von der staatlichen Gewalt. Solche Verhältnisse sind im demokratischen Rechtsstaat nicht mehr gegeben. Die meisten Konkordatsabreden folgen einem traditionellen Kanon und wiederholen lediglich, was das Verfassungsrecht und das einfache Recht bereits hinreichend behandeln. Einzelne tatsächlich regelungsbedürftige Fragen zu technischen Details können ohne völker­rechtlichen Aufwand und ohne diplomatische Umständlichkeit unmittelbar mit den Diözesen geklärt und vertraglich fixiert werden.

3. Fehlendes Gesetz über die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften.

Soweit sich die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften, und zwar aller und gleich welcher Richtung, nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz und der Landesverfassung ergibt, erscheint ein allgemeines Rechtsstellungsgesetz durchaus angebracht und vorteilhaft. Es würde die Rechtssicherheit der korporierten und nicht korporierten Bekenntnisgemeinschaften verbessern, etwa hinsichtlich ihres Status, der Rechtsstellung von Untergliederungen, des Kirchensteuerzugs, des anzuwendenden materiellen Rechts, der Erteilung von Bekenntnisunterricht und der paritätischen finanziellen Förderung (Subventionierung), der Bildungs- oder Sozialeinrichtungen etc. Ein solches Projekt wäre neu in der Bundesrepublik Hier könnte sich das Land Brandenburg bahnbrechend verdient machen. Ein solches Gesetz ist wegen seiner größeren Reichweite und seiner allgemeinen Bedeutung für alle Bekenntnisgemeinschaften einem klassischen Kirchenvertrag vorzuziehen.

IV. Probleme des Vertragstextes

Das Konkordat enthält Überflüssiges, Unklarheiten und Rechtswidrigkeiten. Es gehört nochmals gründlich überarbeitet und sorgfältig redigiert.

1. Überflüssige Vertragsklauseln

Überflüssig sind alle Abreden, die lediglich den Inhalt des Grundgesetzes, der Landesverfassung oder anderer Gesetze wiederholen. Dazu rechnen vor allem die staatlichen Garantien in

  • Art. 1 (Glaubensfreiheit und kirchliche Eigenständigkeit),
  • Art. 2 (Sonn- und Feiertagsschutz),
  • Art. 7 (Sozialwesen),
  • Art. 8 Abs. 1 (Anstaltsseelsorge),
  • Art. 9 (Zeugnisverweigerungsrecht),
  • Art. 10 Abs. 2 (Rundfunkanstalten),
  • Art. 11 Abs. 1 (Körperschaftsrechte),
  • Art. 12 Abs. 1 (Eigentumsrechte),
  • Art. 17 (Kirchensteuerrecht) und
  • Art. 20 (Sammlungswesen).

2. Zweck der vertraglichen Absicherung

Der tiefere Sinn solcher vertraglicher Wiederholungen liegt aus kirchlicher Sicht darin, die Dauer von (Verfassungs-)Recht vertraglich abzusichern und den kirchlichen Vertragsteil von wechselnden politischen Mehrheiten unabhängig zu machen. Das lässt sich an Beispiel von Art. 4 (Religionsunterricht) ersehen. Mit ihm soll der gegenwärtige Zustand zukunftsfest abgesichert werden. Diese Absicht ist allerdings illusorisch, weil sie auf eine verfassungswidrige und daher wirksam nicht erreichbare Bindung des Gesetzgebers abzielt. Er kann gegenüber Rechtsunterworfenen die sozialgestaltende Gesetzgebung als seine eigentliche Aufgabe nicht abgeben und sich nicht für die Zukunft festlegen. Seine Regelungskompetenz ist insoweit unverzichtbar und unabdingbar. Es widerspricht zudem der Parität der Bekenntnisgemeinschaften, die u.a. eine Ausformung der republikanischen Egalität darstellt, gerade einigen wenigen gesellschaftlichen Gruppierungen derartige Zusagen zu machen. Die Selbstbindung des Parlaments verstößt damit auch gegen die guten demokratischen Sitten. Im demokratischen Rechts­staat bestehen weder Grund noch Anlass, derartige Garantien einzuräumen, so wie es nicht ersichtlich infrage kommt, den Gewerkschaften die Koalitionsfreiheit, den berufsständischen Verbänden die Berufsfreiheit, den Industrie- und Han­delskammern die Gewerbefreiheit, den Medien die Pressefreiheit und sonstigen gesellschaftlichen Gruppen andere Freiheiten zuzusichern. Von solchen Absprachen ist konsequent abzusehen.

3. Einzelne Absprachen

Daneben sind - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - weitere Unzulänglichkeiten festzustellen:

  • Art. 3 (Ämterbesetzung) betrifft eine rein innerkirchliche Angelegenheit, in die sich der Staat nicht einzumischen hat.
  • Art. 7 Abs. 1 (Anstaltsseelsorge) ist insoweit nicht von Art. 140 GG, Art. 141 WRV gedeckt, als diese Vorschrift die sog. Polizeiseelsorge betrifft. Der zur sog. Anstaltsseelsorge ermächtigende Art. 141 WRV gilt neben dem ,Heer' lediglich für die ,öffentlichen Anstalten'. Die Polizei ist keine derartige öffentliche Anstalt.
  • In Art. 10 Abs. 1 (Rundfunk) verpflichtet Satz 1, darauf hinzuwirken, dass angemessene Sendezeiten für ca. 3% der Bevölkerung im öffentlichrechtlichen Rundfunk zur Verfügung stehen. Was geschieht mit dem 97%igen Rest?
  • Art. 10 Abs. 1 Satz 2 hält das Land zum Schutz der "sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung" in Rundfunkprogrammen an. Sind damit auch die Überzeugungen nichtkatholischer oder gar nichtgläubiger Bürger gemeint? Vertritt die Katholische Kirche "die" Bevölkerung? Warum verpflichtet sie sich nicht gleichfalls, die sittlichen und religiös-weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu respektieren?
  • Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 3 soll die Katholische Kirche in den Aufsichtsgremien des Rundfunks angemessen vertreten sein. Können Kleingruppen überhaupt derart berücksichtigt werden, ohne dass die Funktionsfähig­keit darunter leidet? Was ist, wenn auch andere kleiner Bekenntnisgemeinschaften einen derartigen Anspruch erheben?
  • Art. 11 Abs. 1 Satz 1 beseitigt nicht die Zweifel daran, ob die Katholische Kirche ihren öffentlichrechtlichen Status nach der Wiedervereinigung wiedererlangt hat; sollte sie ihn in der DDR verloren haben, kann er nur nach Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV verliehen werden.
  • Die Gleichsetzung von kirchlichem Dienst mit öffentlichem Dienst in Art. 11 Abs. 1 2 ist nicht mehr gerechtfertigt.
  • Art. 11 Abs. 2 (kirchliche Gebietsveränderung) betrifft einen Gegenstand, der gleichfalls außerhalb der staatlichen Kompetenz liegt. Die Kirchen können sich kraft ihrer in Art. 137 Abs. 3 WRV verbürgten Eigenständigkeit organisieren wie sie wollen, und sie sind dafür niemandem rechenschaftspflichtig.
  • Art. 12 Abs. 2 und 3 (Enteignung) beziehen sich auf Selbstverständlichkeiten, die vertraglich zu regeln kein Bedarf besteht.
  • Für Art. 13 Abs. 1 mit 3 (Kirchliche Friedhöfe), die sich inhaltlich bereits aus Art. 4 GG (Religionsfreiheit) ergeben, ist gleichfalls kein Regelungsbedarf anzuerkennen.
  • Art. 13 Abs. 4 (Friedhofsgebühren) lässt im Unklaren, ob es sich um echte öffentlichrechtliche Gebühren handelt, die hoheitlich mit Verwaltungsakt (Gebührenbescheid) erhoben werden und im Streitfall vor die Verwaltungsgerichten gehören.
  • Art. 13 Abs. 5 (Friedhofsbenut­zung) ist neutralitätsrechtlich zweifelhaft. Kirchliche Friedhöfe sind religiöse Einrichtungen, die zu benutzen niemand gezwungen werden kann. Die öffentliche Aufgabe, für eine angemessene Totenbestattung zu sorgen, verpflichtet die öffentliche Hand und kann nicht auf die Kirchen verlagert werden.
  • Art. 20 (Gebührenbefreiung) kann, wenn überhaupt, wegen der Parität nur allen Bekenntnisgemeinschaften eingeräumt werden. Das Land hätte sich also zu überlegen, ob es tatsächlich so weit gehen will und kann, eine Abrede zu treffen, auf die sich später die übrigen Bekenntnisgemeinschaften gleicherweise berufen können.
  • Art. 22 (Zusam­menwirken). Kooperation zwischen Staat und Bekenntnisgemeinschaften ist in einer Gesellschaft organisierter Interessen grundsätzlich möglich. Werden aber Formen des Zusammenwirkens vertraglich institutionalisiert, so hat das Folgen für die übrigen Bekenntnisgemeinschaften. Es wird auch hier nicht deutlich, ob der staatliche Vertragspartner diese Konsequenz erkannt hat.

4. Vertragsdauer

Kirchenverträge werden auf lange Sicht abgeschlossen und begründen daher rechtliche Dauerverhältnisse. Bei solchen andauernden Rechts­beziehungen ist wichtig, unter welchen Voraussetzungen und wie sie an spätere wesentliche Änderungen der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse angepasst werden können. Besondere irreguläre Folgen für eine Vertragskündigung ergeben sich aus der Konkordatsform zwar nicht. Auch hier gilt, dass bei Wegfall der Vertragsgrundlage der Vertrag angepasst oder gekündigt werden kann. Was aber formal erschwerend fehlt, ist eine Art. 23 Abs. 2 Ev. Kirchenvertrag entsprechende Kündigungsklausel. Weil zudem Art. 23 Abs. 1 Ev. Kirchenvertrag eine Meistbegünstigungsklausel enthält, dürfte Art. 23 Abs. 2 Ev. Kirchenvertrag seinerseits durch das Konkordat gegenstandslos werden. Die Verträge sind insoweit nicht ausreichend miteinander abgestimmt. Mit dem Verzicht auf klare Kündigungsbestimmungen ist für das Land das Risiko verbunden, das Konkordat künftigen veränderten Umständen nur unter erschwerten Bedingungen zu seinen Gunsten anpassen zu können. Im Freistaat Bayern wird gegenwärtig demonstriert, was es bedeutet, trotz der Freundschaftsklausel Verbesserungen zugunsten des Staates zu erreichen. Obwohl die staatliche Finanznot offenkundig und die landesweite Versorgung mit katholisch-theologi­schen Fakultäten überdimensioniert ist (so jedenfalls auch der Bayer. Rech­nungshof), denken die Bischöfe nicht daran, sich auf Abstriche an der Zahl der sechs konkordatlich vereinbarten katholisch-theologische Fakultäten ein­zulassen.

5. Vertragszeitpunkt

Im Hinblick auf ein künftiges Bundesland Berlin-Brandenburg erscheint der Konkordatsabschluss zum jetzigen Zeitpunkt als besonders ungünstig. Durch eine Gebietsvereinigung würden zwei Landesteile mit unterschiedlicher Konkordatsgeltung entstehen, und es müsste im Interesse der Rechtseinheit im Lande neu verhandelt werden. Außerdem würde das Konkordat mit Brandenburg den Entscheidungsrahmen der Berliner einengen und sie eventuell in nicht erwünschter Weise präjudizieren. Daraus könnte ein Hindernis für künftige Vereinigungsverhandlungen entstehen.

6. Gleichbehandlungsaspekte

Der moderne, säkulare, bekenntnisneutrale Verfassungsstaat hat ein ausgeglichenes Verhältnis zu allen Bekenntnisgemeinschaften auf seinem Gebiet zu pflegen und alle paritätisch zu behandeln. Die paritätsrechtlichen Konsequenzen des Konkordats scheinen auf staatlicher Seite nicht ausreichend oder zutreffend gewürdigt worden zu sein.

a) Gleichbehandlungsgrundsatz. Zu den tragenden Grundsätzen des Bekenntnisverfassungsrechts gehört der Gleichbehandlungsgrundsatz (Paritätsprinzip). Er wird in der Praxis nicht konsequent beachtet, und schon die Tatsache des Konkordatsabschluss ist ein bezeichnender Beleg dafür, dass es Gleichheit für alle noch nicht gibt. Die Parität erlaubt es nicht, dass sich der Staat mit bestimmten Bekenntnisgemeinschaften besonders und bevorzugt abstimmt. Es ist deswegen problematisch, dass sich das Land Brandenburg mit einer religiösen Minderheit konkordatlich arrangiert, ohne sich daneben entsprechend für andere religiös-welt­anschauliche Minderheiten zu engagieren. Dabei läge es beispielsweise ohnehin nahe, zu Gunsten der jeweils nach 1933 und 1945 verfolgten Freidenkerverbände und ihrer Nachfolgeorganisationen gleichfalls initiativ zu werden, statt wie bisher einen Humanistischen Lebenskundeunterricht an den öffentlichen Schulen nachhaltig zu verhindern.

b) Meistbegünstigung. Der Paritätsgrundsatz wird in Art. 23 Abs. 1 Ev. Kirchenvertrag (Gleichbehandlungsklausel) im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel konkretisiert. D.h. in allen im Konkordat geregelten Punkten ziehen die evangelischen Kirchen - gewollter Maßen? - mit der Katholischen Kirche - gleich. So wird deswegen Art. 23 Abs. 2 Ev. Kirchenvertrag gegenstandslos, weil das Konkordat keine Kündigungsklausel enthält. Der Paritätsgrundsatz gilt aber nicht nur im Verhältnis der Kirchen untereinander, sondern zugunsten aller religiös-weltan­schaulicher Bekenntnisgemeinschaften. Es erscheint zweifelhaft, ob die Landesregierung die Konsequenzen daraus richtig erkannt und zutreffend gewürdigt hat. Es können etwa künftig weltanschauliche Bekenntnisgemeinschaften Gleichbehandlung hinsichtlich ihres inner­verbindlichen Bil­dungswesens beanspruchen. Deshalb wäre es interessant zu wissen, wie sich die Landesregierung den künftigen Vollzug des Gleichbehandlungsgebots künftig vorstellt.

V. Staatliche Leistungen

Einen wichtigen Gegenstand von Kirchenverträgen bilden üblicherweise und so auch beim gegenwärtigen Konkordat die finanziellen Leistungen des Staates (Art. 15) und die Eigentumsverhältnisse der Kirchen (Art. 12).

1. Regelungsgehalt

Zweck der Abreden über Staatsleistungen ist, Unklarheiten an ihrem Grund und ihrer Höhe auszuräumen. Solche Zweifel im Vergleichswege zu klären, kann eine durchaus sinnvolle Vertragsaufgabe bilden. Es hätte diesbezüglich der Klarstellung gedient, wenn ausdrücklich erwähnt worden wäre, dass dadurch etwaige frühere einschlägige Übereinkünfte gegenstandslos werden. Allerdings gewährleistet Art. 15 Abs. 1 nur dann umfassend dann seinen Zweck, wenn und soweit frühere Leistungsverpflichtungen aus den Säkularisationsabfertigungen noch nicht untergegangen waren. Weil aber nach Sach- und Rechtslage zu vermuten ist, dass frühere Leistungspflichten generell untergegangen sind, sind die einschlägigen Abreden für den kirchlichen Vertragspartner überaus günstig und bevorzugen ihn gegenüber anderen Bekenntnisgemeinschaften. Alte Probleme werden mit Art. 15 Abs. 1 lediglich durch neue ersetzt.

2. Folgelasten

Vergleichen sich Land und Katholische Kirche über zweifelhafte Leistungen, so beseitigen sie zwar Unsicherheiten im Verhältnis zueinander. Jedoch können daraus andere Zweifel für den Fall entstehen, dass Leistungspflichten tatsächlich nicht mehr bestanden haben. Denn neu mit dem Konkordat gewährte Subventionen an die Katholische Kirche begründen Ansprüche anderer Bekenntnisgemeinschaften auf Gleichbehandlung. Für das Land folgen daraus finanzielle Risiken, die, wenn sie schon nicht vermieden, so doch kalkuliert werden sollten. Es ist sicher nicht nur wünschenswert, dass mögliche finanzielle Konkordatsfolgen zur Information des Parlaments und der Allgemeinheit quantifiziert werden. Eine Informationspflicht der Landesregierung besteht jedenfalls gegenüber dem Parlament, das wissen muss, mit welchen haushaltsrechtlichen Folgen zu rechnen ist, wenn es dem Vertrag zustimmt.

3. Säkularisationsfolgen und Religionsfürsorge

Soweit es sich bei den staatlichen Zuwendungen um Säkularisationsdotationen handelt, würde, wer von Napoleon enteignet worden ist, weitaus günstiger stehen, als wer von Stalin enteignet wurde. Jedenfalls können nur echte (Entschädigungen) und wirksam gebliebene (was nicht der Fall sein dürfte) Säkularisationsabfertigungen ausschließlich an die einst enteigneten Kirchen gezahlt werden. Alle anderen Zuwendungen stellen nach gegenwärtigem Stand begrifflich Subventionen dar. Sie unterliegen dem Paritätsgrundsatz und sind folglich allen Bekenntnisgemeinschaften paritätisch auszureichen. Altrechtliche Leistungstitel beruhen in der Regel auf der besonderen Religionsfürsorge der christlichen Monarchie (cura religionis), die in der bekenntnisneutralen Republik seit Weimar der Verfassung widerspricht. Solche Leistungspflichten wie Baulasten, Patronate und dgl. sind spätestens zu Zeiten der DDR untergegangen. Wenn und soweit sie als Subventionen neu begründet werden (sollen), können sie nicht auf die Kirchen beschränkt bleiben. Auch in dieser Frage lässt der Vertrag nicht einmal erkennen, ob die Problematik solcher rein religionsfürsorgerischer Leistungen den Vertragsparteien bewusst war. Sind zwischen ihnen altrechtliche Rechtsverhältnisse erloschen, hat sich die Frage nach einer Weitergeltung vormals vereinbarter Zuwendungen ohnehin erledigt. Für neu begründete Staatsleistungen, die nicht auf Grund einer bestehenden Rechtspflicht frühere Rechtsverluste ausgleichen sollen, gelten ausnahmslos alle Rechtsvorschriften, die das Subventionsrecht regeln.

4. Leistungsgarantie

Die Garantie von Staatsleistungen (Art. 15 Abs. 1 Satz 3, nicht so deutlich Abs. 2 Satz 3) widerspricht den staatlichen Interessen, weil sie unabhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation des Landes gewährt wird. Es müssten danach selbst bei erheblich sinkender staatlicher Leistungsfähigkeit Staatsleistungen mindestens konstant bleiben. Unter freundschaftlich verbundenen und kooperierenden Vertragspartnern sollte bei fairen Bedingungen auch die Möglichkeit einer Leistungsminderung vertraglich vorgesehen werden. Die Freundschaftsklausel des Konkordats bietet dem Land auch insoweit keinen verlässlichen Interessenschutz.

VI. Öffentliche Meinungsbildung

Die wie üblich vertraulich gebliebenen Vertragsverhandlungen mit dem Hl.Stuhl haben die für den demokratischen Konsens wichtige und innerstaatlich rechtsfriedenstiftende öffentliche Meinungsbildung behindert. Die Vertragsmaterialen stehen der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Der Landtag, der nach der bisherigen Prozedur den Vertrag nur noch absegnen oder ablehnen kann, sollte sich, wenn er seine Kontrollpflicht gegenüber der Landesregierung ernst nimmt, sein souveränes Gestaltungsrecht nicht abnehmen lassen.

VII. Abschließende Beurteilung

Allgemein gesehen ist das gegenseitige Verhältnis der Vertragsschließenden im Vertragstext nicht ausgewogen. Die kirchlichen Rechte überwiegen, und auch im Schlussprotokoll dominiert staatliches Entgegenkommen. Dabei geht es letztlich nicht darum, gegenüber Kirchen großzügig zu sein. Das Problem liegt darin, dass nicht alle Bekenntnisgemeinschaften in den Genuss dieser Großzügigkeit kommen. Immerhin könnte sich, wer sich die Religionsfreiheit und ihre Implikationen in besonderer und ungewöhnlicher Weise zusichern lässt, seinerseits verpflichten, die staatliche Rechtsordnung einzuhalten, den inneren Frieden zu wahren und tolerant gegenüber anderen Bekenntnisgemeinschaften zu sein. Wer dem Staat misstraut und neben der beschworenen Verfassung zusätzliche Beteuerungen fordert, sollte selbst seine Rechtstreue bekräftigen. Die Unausgewogenheit der Vertragssituation ist bis in die Höflichkeitsformeln im Schriftverkehr zu verfolgen. Während der Ministerpräsident entsprechend den Gepflogenheiten den Nuntius als den Vertreter des Hl.Stuhls mit "Exzellenz, Hochwürdigster Herr Nuntius" adressiert, lässt sich der Nuntius lediglich zu einem "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident" herbei; es reicht nicht einmal zu einem "Sehr verehrter Herr".

Insgesamt ist aus staatlicher Sicht der Vertragsabschluss mit völkerrechtlichem Flair im vereinbarten Umfang weder inhaltlich noch aus formellen Gründen geboten oder auch nur ein politisches Desiderat. Der Konkordatstext, der deutlich sachlich-inhaltliche Mängel zeigt und vertragstechnisch-handwerkliche Schwächen erkennen lässt, ist ein Dokument des kirchlichen Misstrauens gegenüber dem weltlichen Staat. Er folgt einem traditionellen, durch die Entwicklung überholten Musterkatalog kirchenvertraglicher Vereinbarungen. Er wird angesichts einer plu­ralisti­schen, mehr­kon­fessionellen und vor allem kirchenabständigen Gesellschaft den heutigen Anforderungen an Kirchenverträge und vor allem den Belangen des Landes Brandenburgs und seiner kirchlich nicht gebundenen Bevölke­rungsmehr­heit nicht gerecht. Er schafft keine Rechtssicherheit, dafür ausreichend Konfliktstoff. Er sollte, wenn es denn schon ein Kirchenvertrag und gerade ein Konkordat sein muss, entschlackt und eindeutiger werden. Stimmt der Landtag dem Konkordat nicht zu, ergibt sich wenigstens die Möglichkeit, noch­mals und besser zu verhandeln und zu formulieren. Rechtliche oder politische Nachteile für das Land sind nicht zu befürchten. Schließlich ist auch ohne Konkordat ist ein gedeihliches Auskommen der Vertragsparteien möglich. Wirklich regelungsbedürftige Fragen können unmittelbar mit den Diözesen in Einzelheiten von Fall zu Fall geklärt oder gegebenenfalls gerichtlich ausgetragen werden. Nüchtern betrachtet würde ein Vertrag mit den Diözesen genügen, um sich gegenseitig über das, was tatsächlich zu regeln ist, abzustimmen. Dem Landtag ist zu empfehlen, dem Konkordat jedenfalls in seiner jetzigen Form nicht zuzustimmen.

München, 26. Januar 2004