Positionspapier zur Sterbehilfe: Kein Staatsanwalt am Sterbebett!
Gegen „Schüsse ins Blaue“ zur Kriminalisierung von ärztlichen und nicht-ärztlichen Suizidhelfern
Als humanistisches „Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende“* sehen wir uns durch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bestätigt. Die darin entwickelten Auffassungen stimmen in wesentlichen Teilen auch mit der Resolution der deutschen Strafrechtsprofessoren vom April 2015 überein. Angesichts des klaren Votums der Expertinnen und Experten und der ein Suizidhilfeverbot klar ablehnenden Haltung der deutschen Bevölkerung bestärken wir unsere dringende Forderung: Von einer vorschnellen und in ihren Auswirkungen nicht hinreichend bedachten Kriminalisierung von Menschen, die ernsthaft suizidwillige Schwerkranke oder Hochbetagte bei ihrem Vorhaben unterstützen und begleiten, ist abzusehen.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verdeutlicht erneut, wie schwierig und umstritten viele Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Suizidhilfe sind. Wir plädieren deshalb dafür, von gesetzgeberischen „Schüssen ins Blaue“ Abstand zu nehmen. Eine Regelung, die kurze Zeit später vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird, wäre nutzlos und schädlich. Der Verzicht auf das – zunächst intendierte – strafrechtliche Verbot dürfte eine neue ethische Reflexion innerhalb der Ärzteschaft unausweichlich machen, was wir für wünschenswert erachten. Wir vertrauen zudem darauf, dass die Rechtslage wie bisher auch von den Gerichten, insbesondere dem Bundesgerichtshof, im Sinne der Patientenautonomie und zugleich der ärztlichen Gewissensfreiheit weiter präzisiert wird und dass sich daraus ein gegebenenfalls bestehender gesetzlicher Regelungsbedarf herausbilden würde. Die Nachteile einer Neukriminalisierung überwiegen jedenfalls einen vermeintlich schnellen Regelungsbedarf bei Weitem. Wir stützen uns dabei auf die folgenden Argumente:
- Eine strafrechtliche Unterscheidung zwischen Ärzten, die einmal in ihrem Berufsleben einem schwerstleidenden Patienten zum Suizid verholfen haben und solchen, die dies hin und wieder zum Gegenstand ihrer (im Arzt-Patientenverhältnis immer gewerbsmäßigen) Beschäftigung machen, ist nicht möglich. Auch ist eine strafrechtlich relevante Bestimmung von Personen, die dem Suizidenten mehr oder weniger „nahestehen“, nicht möglich. Entsprechende Entwürfe verstoßen damit gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes, wonach klar sein muss, wer sich wodurch strafbar macht.
- Unheilbar leidende Patienten benötigen Mitgefühl und medizinischen wie menschlichen Beistand. Entscheidungen am Lebensende müssen soweit wie nur irgend möglich vom Sterbenden und seinem Arzt gemeinsam getroffen werden. Der Arzt muss sich dabei gemäß den Grundsätzen der ärztlichen Ethik am Willen und Wohl seines Patienten und an seinem Gewissen orientieren, ohne Angst zu haben, sich möglicherweise strafbar zu machen. Hierzu bedarf es keines Staatsanwaltes.
- Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sind zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet, wenn auch nur der Verdacht einer Straftat „gegen das Leben“ besteht. Neue, unbestimmte Strafnormen, die ärztliches Handeln unter einen strafrechtlichen Generalverdacht stellen, können deshalb auch dann sehr schädlich sein, wenn Gerichte später feststellen, dass der Verdacht unbegründet war. Der Freispruch kommt in solchen Fällen zu spät – schon strafrechtliche Ermittlungen sind für (Palliativ-)Ärzte und Ärztinnen potentiell existenzvernichtend. Jede Neukriminalisierung muss deshalb zweifelsfrei begründet und in ihren Auswirkungen mit größter Sorgfalt bedacht werden.
- Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Brand und Griese strebt an, organisierte Formen von Suizidhilfe durch Vereine oder Einzelpersonen unter Strafe zu stellen. Solche Formen von Sterbehilfe dürften nicht zu einem Routineangebot werden. Der Entwurf würde aber, sollte er Gesetz werden, dazu führen, dass Teile der Ärzteschaft, insbesondere die in der Versorgung von lebensbedrohlich erkrankten Patienten tätig sind, in einen strafrechtlichen Graubereich gezogen werden. Diese Einschätzung wird nicht nur von Juristen vertreten. Aus demselben Grund lehnt z. B. auch die deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie jeden neuen Strafrechtparagraphen zur Suizidhilfe strikt ab.
- Im Einklang mit dem Entwurf der Abgeordneten Hintze, Reimann und Lauterbach sollte auf jegliche strafrechtliche Verbotsregelung verzichtet werden. So sehr auch eine tolerantere Einschätzung der ärztlichen Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Suizidhilfe durch alle Landesärztekammern wünschenswert und erforderlich ist, kann diese kaum durch den Bundesgesetzgeber bewirkt werden – erst recht nicht mit einer so starken Regelungsintensität, wie dies sowohl im Entwurf Hintze et al. als auch im Entwurf Künast, Sitte et. al. der Fall ist.
- Das Argument, Formen der ärztlichen Sterbehilfe, die seit vielen Jahrzehnten unbestritten zulässig sind, müssten heute mit strafrechtlichen Mitteln unterbunden werden, weil sonst die Gefahr bestünde, dass Sterbende unter Druck gesetzt werden, geht fehl. Es wurde seiner Zeit im Zuge der Gesetzgebung zur Patientenverfügung gleichlautend gegen die Möglichkeit des Verzichtes auf lebensverlängernde Maßnahmen vorgetragen. Die Befürchtungen haben sich jedoch empirisch nicht bestätigt. Bis heute sind keinerlei Hinweise darauf vorhanden, dass Angehörige oder Dritte Druck auf die Patienten ausgeübt hätten, „passive Sterbehilfe“ in Anspruch zu nehmen.
* Das Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende besteht aus:
Bund für Geistesfreiheit Bayern, Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften, Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V., Giordano-Bruno-Stiftung, Humanistische Union, Humanistischer Verband Deutschlands, Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V., Koordinierungsrat säkularer Organisationen.