1990 - Meldungen 1298-1328
Europa
Deutschland
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Fachleute gehen davon aus, daß sich das Zahlenverhältnis von Katholiken, Protestanten und Sonstigen infolge der Kirchenaustritte und des Generationenwandels noch in diesem Jahrzehnt auf je ein Drittel angleichen wird. (MIZ-Eigenmeldung auf Grundlage der Angaben des statistischen Jahrbuchs 1990)
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Die Kirchenaustrittswelle hält dort jedoch unvermindert an. Allein in Ost-Berlin verlassen wöchentlich rund 400 Personen die evangelische Kirche. Die Finanzdezernentin im Konsistorium Berlin-Brandenburg rechnet mit dem Austritt von 400.000 der 1,3 Millionen Mitglieder der Landeskirche. Für 1991 rechnet sie sogar mit "Mindereinnahmen", äußerte anschließend jedoch eine sehr verräterische Zukunftsperspektive: "Erst im Jahr 2000 haben wir mehr Geld. Dann erschließen sich neue Möglichkeiten, beispielsweise in der Diakonie." (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 28.9.90)
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Ähnliche Sorgen plagen auch die Lutheraner, die einen Besucheranteil von drei bis vier Prozent in städtischen und acht bis 25 Prozent in ländlichen Regionen angeben. Der Durchschnitt liegt hier allerdings seit Jahren bei etwa fünf Prozent. (Süddeutsche Zeitung, 12.10.90)
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Entwicklungshilfeminister Warnke (CSU) forderte die katholische Kirche in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen auf, ihre Position zur Familienplanung zu korrigieren. Die "Bevölkerungsexplosion kann ohne Mithilfe der Kirchen nicht gestoppt werden", sagte er. Deshalb "darf die Familienplanung kein Tabu mehr sein." In diesem Zusammenhang reiche es auch nicht, wenn sich "kirchliche Einrichtungen in Afrika bereits aktiv an Maßnahmen zur Familienplanung beteiligen". Nach den Worten des Ministers "wäre es nur zu begrüßen, wenn diese Praxis auch in den kirchlichen Verlautbarungen ihren Niederschlag finden" würde. Noch deutlicher wurde der für die Aids-Problematik zuständige Staatssekretär (und Gauweiler-Nachfolger) im bayerischen Innenministerium, Beckstein (CSU). Auf das jüngste Verdikt des Papstes angesprochen, der vor afrikanischen Katholiken den Gebrauch von Kondomen als Vorschub für unmoralisches Verhalten gegeißelt hatte, sagte er: "Wir sind kein Gottesstaat. Wir haben nicht die Gebote der Religion zur Grundlage staatlicher Tätigkeit zu machen." (Augsburger Allgemeine, 8./9.9.90; Süddeutsche Zeitung, 5.9.90)
Auch die evangelische Kirche mußte einen Rückschlag hinnehmen. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahl lehnte der bayerische Kultusminister Zehetmair die Gründung einer evangelischen Universität in Nordbayern ab, "da hierfür kein Bedarf mehr besteht"; es gebe genug staatliche Universitäten. Außerdem verwies er auf die Kosten: "Selbst bei einer kirchlichen Trägerschaft würde eine Universitätsgründung erfahrungsgemäß Investitionskosten und laufende Betriebskosten in Höhe von hunderten Millionen Mark verursachen, die vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen." (Süddeutsche Zeitung, 25./26.8.1990)
Auch in der früheren DDR wurde dem damaligen Innenminister Diestel (CDU) die Theologenschwemme in politischen Funktionen zuviel: "Woher nehmen junge Theologen, die irgendwann mal ihre Gemeinden im Stich gelassen haben, das Recht, jetzt hier das Maß der Dinge angeben zu wollen?", meinte er gegenüber der PDS-Zeitung Neues Deutschland. Er habe "mit großer Abneigung festgestellt, welchen Haß, welche Schärfe einige Vertreter dieser Zunft in ihren politischen Äußerungen an den Tag legen". (Süddeutsche Zeitung, 7.8.90)
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Während die Käufer vor allem an dem Titel Deutsche Zeitung interessiert sind, hofft sich der Rheinische Merkur durch den Eigentümerwechsel finanziell zu sanieren. Offen ist noch, welche Anteile die bisherigen Eigner, neun katholische Bistümer, weiter halten wollen; auf jeden Fall soll durch eine Sperrminorität der klerikale Charakter der Wochenzeitung garantiert werden. Gespräche mit dem Bonner Kanzleramt haben ergeben, daß man auch dort eine starke konservative Wochenzeitung als Gegengewicht zu der liberalen Zeit für nützlich hält.
Der Start des Projekts ist für April 1991 geplant, wobei auch mehrere frühere DDR-Wochenzeitungen integriert werden sollen. Die FAZ will jedoch keine Sonntagszeitung herausbringen, weil man die Konfrontation mit der Springer-Presse vermeiden will. (Kirchenzeitung der Diözese Augsburg, 4.11.90; KNA, 19.10.90)
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Die euphorische Bewertung seitens der Bonner SPD ist allerdings voreilig, denn in dem widersprüchlichen Papier heißt es an anderer Stelle: "Im Bereich des strafrechtlichen Schutzes dürften keine grundlegenden Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht der Indikationsregelung durchsetzbar sein....Eines aber sollte klar sein: Auf strafrechtliche Sanktionen darf auch in Zukunft zu keiner Zeit der Entwicklung ungeborener Kinder verzichtet werden." Man solle aber nicht die Frau belangen, sondern müsse prüfen, wie "das Verhalten des Vaters sowie des sozialen Umfelds der Frau einer besseren strafrechtlichen Würdigung zugeführt werden kann." (Süddeutsche Zeitung, 27./28.10.90)
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Die Stadt machte inzwischen aber deutlich, daß man andere Trägerorganisationen suche oder das Hospiz notfalls in Eigenregie betreiben will, falls die kirchlichen Träger stur bleiben sollten. (Süddeutsche Zeitung, 25./26.8. und 19.9.90)
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Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten kritisierte diese großzügige Zuwendung der verschuldeten Kommune zugunsten einer reichen Organisation für deren interne Zwecke und stellte die Frage, warum die Stadt überhaupt Eigentümerin (und Baulastträgerin) eines Gotteshauses sei, wenn andererseits nur die Kirche den Nutzen habe. (Kinzigtal-Nachrichten, 9.10.90)
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1979 verkaufte die Caritas ein 30 000 Quadratmeter großes Grundstück für 800 000 Mark (26 DM pro qm) an seinen Architekten Volz. Dieser brauchte jedoch den Großteil des Kaufpreises erst dann zu zahlen (laut Kaufvertrag "ohne Beilage von Zinsen"), wenn er einzelne Parzellen weiterverkauft hatte; für die Baugenehmigung hatte bereits die Caritas gesorgt. Bis Anfang 1981 hatte der Architekt bereits acht Baulandparzellen zu Quadratmeterpreisen von 109 bis 246 DM weiterverkauft und damit für ein Viertel des Grundes (7778 qm) bereits fast das Doppelte des ursprünglichen Gesamtkaufpreises (1 555 000 DM) kassiert.
1986 erwies er sich dafür dankbar: Für 600 000 DM erwarben er und ein Schwager des für Immobiliengeschäfte zuständigen Caritas-Finanzdirektors Kett ein Objekt in Gröbenzell. Nur sechs Wochen später gab er seinen 300 000-Mark-Anteil für nur 110 000 an den Caritas-Direktor ab. Drei Jahre später stießen Kett und sein Schwager das Objekt mit sattem Gewinn (für nunmehr 900 000 DM) wieder ab - an die Caritas! (Süddeutsche Zeitung, 10.10.90; Quick, 27.9.90)
Doch damit nicht genug: In Rimsting/Chiemsee wurde ein auf zwei Millionen Mark geschätztes Ufergrundstück samt Landhaus, das der wohltätigen Organisation vererbt worden war, für nur 520 000 DM verkauft - von Caritas-Direktor Kett an dessen Freund und Bauunternehmer Schiedermeier. (Dieser hatte zufälligerweise auch einige lukrative Aufträge von dem karitativen Verband erhalten.) Kurz darauf stellte sich aber heraus, daß der beglückte Käufer seinem Freund Kett eine Einlieger-Ferienwohnung in dem Haus überlassen hatte. Kett wurde inzwischen auf einen anderen Posten versetzt; für eine Entlassung oder gar die Einleitung strafrechtlicher Schritte sah man bei der Wohlfahrtsorganisation keinen Grund.
Verschiedene Pfarrgemeinden weigerten sich nach Aufdeckung der Skandale, an Caritas-Straßensammlungen mitzumachen, darunter die Gemeinde eines aufmüpfigen Geistlichen, der 1980 bereits einmal für sechs Monate in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war. (Sein damaliger Frevel: Er hatte sich geweigert, den obligatorischen Peterspfennig an den Vatikan zu überweisen!) Insgesamt gingen die Erträge der Caritas-Straßensammlung im Herbst 1990 in Bayern um 20 % zurück, in München sogar um 30 %. (Augsburger Allgemeine, 18.9. und 16.11.90)
Unterdessen kam heraus, daß der bayerische Ministerpräsident Streibl das Grundstück, das er in bester Münchner Wohnlage von der Caritas erworben hatte (vgl. MIZ 3-4/89, S.53), erst ein Jahr später bezahlt hat, nachdem er das Grundstück bereits weiterveräußert hatte. Das Hilfswerk schenkte Streibl dadurch Zinsen in Höhe von "mehr als 100.000 Mark" (laut SPD-Experten Naumann).
Streibl sah sich gezwungen, die Immobilie wieder abzustoßen, nachdem die Münchner Abendzeitung den Deal aufgedeckt hatte und später ruchbar wurde, daß das Grundstück gar nicht auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten worden war. Oberbürgermeister Kronawitter hatte der Caritas daraufhin nach Anhörung von Experten eine Nachzahlung von mehreren hunderttausend Mark gefordert. Für die Münchner SPD-Stadtratsfraktion war sogar "der Punkt erreicht, wo das städtische Revisionsamt das Geschäftsgebaren des Katholischen Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising prüfen muß". Immerhin erhalte der Verband erhebliche Zuschüsse aus den Steuermitteln der Bürger. "Ein Wohlfahrtsverband, der seine Eigenmittel durch Unterwertverkäufe und Überwerteinkäufe vorsätzlich schmälert, stellt seine Berechtigung, städtische Zuschüsse zu erhalten, in Frage." (Süddeutsche Zeitung, 2./3.10.1990)
Streibl selbst verwahrte sich vor der bayerischen Landtagswahl vehement gegen solche Vorwürfe. Kurz danach bestätigte jedoch die Deutsche Allgemeine Treuhand AG bei einer Sonderprüfung aller 80 Caritas-Immobilientransaktionen seit 1979 im Bereich der Erzdiözese genau diesen Sachverhalt, so daß sogar Ordinariatssprecher Röhmel kleinlaut zugeben mußte, daß auch in diesem Fall "nicht mit der nötigen Fachkompetenz zur Erzielung eines höheren Erlöses verhandelt worden ist". (Süddeutsche Zeitung, 29./30.9.90; Augsburger Allgemeine, 16.11.90)
Die Caritas beschäftigt 351 500 festangestellte Mitarbeiter (mehr als die Bundespost) in 30 000 Einrichtungen, darunter 4 500 Krankenhäuser, 5000 Altenheime sowie 12 000 Kindertagesstätten und Jugendheime. Da der Bundesverband in viele kleine selbständige Einheiten aufgeteilt ist, fehlt sowohl ein Gesamtetat als auch eine umfassende Kontrolle der Caritas-Milliarden.
In München sind 3500 Personen in 315 Einrichtungen beschäftigt. Der Jahresetat von rund 200 Millionen DM wird zum größten Teil von Kostenerstattungen der Krankenkassen, Sozialhilfe, Elternbeiträge und Staatszuschüsse getragen. Selbst Finanzchef Neubauer räumt ein, nur "ein Viertel" des Etats entfalle auf "Spenden, Sammlungen, Erlöse aus Erbschaften und Kirchensteuern". (Quick, 27.9.1990)
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Der Bund für Geistesfreiheit Augsburg protestierte in einem Schreiben an das Kultusministerium entschieden gegen diese beispiellose Bevorzugung der Großkirchen, die selbst nach den äußerst kirchenfreundlichen Bestimmungen des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes ohne Rechtsgrundlage seien, und drohte mit juristischen Schritte bis hin zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof, falls die ministeriellen Zusagen nicht revidiert würden. Ferner wurde auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1987 (vgl. MIZ 2/87, S.20f.) hingewiesen, das eine "angemessene" finanzielle Eigenbeteiligung des privaten Schulträgers vorschreibt. Der bfg kritisierte auch die Klerikalisierung des öffentlichen Schulwesens durch Kultusminister Zehetmair: "Nachdem Sie für Ihre Verdienste um die Stärkung der katholischen Kirche im bayerischen Hochschulwesen kürzlich vom Papst das Komturkreuz des Gregoriusordens erhalten haben, sind wir gespannt, welche Belohnung Ihnen die Kirchen für diesen neuerlichen Coup - sollte er denn durchgehen - zuteil werden lassen." (Pressemitteilung des bfg Augsburg vom 18.11.90)
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Das Engelwerk zählt nach eigenen Angaben über eine Million Anhänger und hat sowohl im Vatikan wie auch bei Bischöfen (z.B. Stimpfle aus Augsburg) einflußreiche Gönner (vgl. auch MIZ 2/89, S.39f.).
Polen
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Auch in der Abtreibungsdebatte dauert das Tauziehen noch an. Vom Vatikan aus sprach sich der Papst (der anderen Geistlichen in Lateinamerika eine Einmischung in die Tagespolitik strikt verbietet, MIZ-Redaktion) für ein Verbot jeglicher Abtreibung in Polen aus. Das bisherige liberale Gesetz verletze die "moralische Ordnung" nicht nur der Gläubigen, sondern auch der Nichtgläubigen (!) und trage noch die "Zeichen des totalitären Systems".
Der Senat folgte diesem Ansinnen allerdings nur teilweise. Er sprach sich zwar für ein weitgehendes Verbot (außer bei Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter) aus, empfahl aber gegen den Widerstand einer klerikalen Minderheit eine Straffreiheit für die Frauen, nicht hingegen für das medizinische Personal. Kritiker wie der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, Autor des Bestsellerromans Die schöne Frau Seidenman, der dem von der Solidarität abgespaltenen Parlamentarischen Bürgerklub (OKP) angehört, warnte in einer leidenschaftlichen Rede davor, weltanschauliche Fragen zu Grundlagen des Strafrechts zu machen und Menschen anderer Anschauung zu kriminalisieren. Er warb stattdessen für mehr Verständnis für Frauen in Notlagen.
Während der Senatssitzung demonstrierten vor dem Gebäude über 500 Frauen mit Transparenten wie "Zu jeder Kirchengemeinde ein Gefängnis für die Frauen." Nach einer Umfrage der liberalen Gazeta Wyborcza sind in den städtischen Regionen die meisten Frauen gegen jede Änderung des seit Jahrzehnten gültigen Gesetzes. (Süddeutsche Zeitung, 1. und 5. 10. 90)
Schweiz
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In der katholischen Presse des Tessins löste das Urteil maßlose Reaktionen aus. So schrieb die bistumseigene Tageszeitung Giornale del Popolo, die Entscheidung beleidige die gesamte (also auch nichtkatholische) Tessiner Bevölkerung, und das oberste Gericht habe sieben Jahrhunderte Christentum in der Schweiz ausradiert. (Süddeutsche Zeitung, 28.9.90)
Anm. MIZ-Red.: Wenn das Entfernen von Kreuzen aus Schulzimmern schon ausreicht, um sieben Jahrhunderte Christentum auszuradieren, kann es mit dieser Religion ja nicht mehr weit her sein!
(Eine Zusammenfassung dieser Auseinandersetzungen seit 1984 nebst Schweizer Pressestimmen zum Urteil ist der Monatsschrift der Schweizer Freidenker-Vereinigung, Freidenker, 11/1990, S.81-83, zu entnehmen.)
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Anm. der MIZ-Redaktion: In zahlreichen Kantonen der Schweiz trägt der Staat einen Teil der innerkirchlichen Personalkosten (vgl. u.a. MIZ 4/87, S.28, und MIZ 2/90, S.40).
Spanien
UDSSR
Vatikan
Afrika
Elfenbeinküste
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Anm. MIZ-Red.: Angesichts der eingehenden Berichterstattung in der Tagespresse verzichten wir auf eine ausführlichere Rückblende auf dieses Thema.
Lateinamerika
Mexiko
Asien
Türkei
Indonesien
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Nach Ansicht politischer Beobachter ist die prompte Reaktion der Regierung ein Zeichen für die Angst vor spontanen Aktionen moslemischer Fundamentalisten. Indonesien ist der Staat mit den weltweit meisten islamischen Einwohnern. (Süddeutsche Zeitung, 25.10.90)
Philippinen
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Anm. MIZ-Red.: Solange solche Praktiken des Mädchenhandels (die offensichtlich nicht auf italienische Klöster beschränkt sind) nicht revidiert und die verschleppten Philippininnen in ihr Heimatland zurückgebracht worden sind, hat die katholische Kirche jede moralisch Berechtigung verwirkt, den (selbstverständlich ebenso zu verurteilenden) Handel von westlichen Heiratsvermittlern mit Asiatinnen anzuprangern.
Indien
Australien
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Unterschiedlich fielen die Reaktionen der Religionsvertreter aus: Während aus Thailand sogar von buddhistischen Mönchen berichtet wurde, die Kondome segnen und mit geweihtem Wasser besprengen, sperrte sich der katholische Erzbischof von Manila, Kardinal Jaime Sin, als einziger gegen Kondome. Diese seien "eine zwar praktische Lösung eines Problems, die jedoch nicht als eine verantwortungsvolle Entscheidung qualifiziert werden kann." (Süddeutsche Zeitung, 9.8.90)