„Religions as Brands“

Assia Maria Harwazinski

Eine interdisziplinäre Tagung an der Universität Lausanne vom 13.-15. Oktober 2011

Was haben Religionswissenschaft und Marketing gemeinsam?

Beide sind jüngere Disziplinen, die von Anderen tendenziell belächelt werden; beide sind vom Zugang her grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet. Während Marketing eine Disziplin des 20. Jh´s mit Wurzeln im angelsächsischen Raum ist, hat sich die Religionswissenschaft in Deutschland im 19. Jh. aus der protestantischen Theologie heraus entwickelt.

Religion als Gegenstand anzusehen, dessen Möglichkeiten von seinen Initiatoren – beabsichtigt oder nicht, bewusst oder nicht – einen „Markt“ schaffen, der Kunden bedient und im Lauf der Zeit Anpassungsstrategien an veränderte Bedingungen und Bedürfnisse des Umfelds verlangt, gilt gemeinhin als „anstößig“. Ein religiöses System wird traditionell weder von seinen Anhängern noch von der Wissenschaft als „Markt“ betrachtet. Genau dieses Arbeits- und Untersuchungsfeld machte sich diese Tagung zu Eigen, initiiert und durchgeführt vom Religionswissenschaftler Prof. Jörg Stolz und dem Marketing-Profi Prof. Jean-Claude Usunier. Letzterer stellte die entscheidenden Ausgangsfragen:

  • Wie betrachten Studierende den Markt der Religionen und religiöse Praktiken?
  • Ist das Mitglied einer Kirche ein Konsument derer religiösen Dienstleistungen?
  • Ist ein Priester, Pfarrer, Imam und Ähnliches ein „Spiritualitäts-Verkäufer“?
  • Die Preiserhebung religiöser Dienste und Angebote.

In parallelen Seminaren wurden die Zusammenhänge zwischen religiöser Markenetablierung und Konsumentenverhalten, Verkauf von Religion und Marketing von Spiritualität, Einfluss von Religion auf Konsumentenverhalten, religiöse Vorratswirtschaft und das Angebot spiritueller Dienste, religiöses Unternehmertum und pro-aktive Marketing-Strategien in neuen Religionen, Wettbewerb und religiöser Wechsel im religiösen Markt, der Prozess religiöser Markenetablierung, Marktforschung und Medien für Religion, Spiritualität, Heil-Systeme und Gesundheitsmarkt, die Balance zwischen Verbrauch und Spiritualität im religiösen Markt, die Konstruktion des Warencharakters von Religion und Spiritualität im Bereich verschiedener christlicher Gruppen, Islam, thailändischem Buddhismus, Vodoo-Kulten, Mormonen, Scientology und in China untersucht.

Höhepunkte waren die Aula-Lesungen von Laurence Iannaccone, Ökonom/USA, Roger Finke, Religionssoziologe/USA, Steve Bruce, Religionssoziologe/GB, und Philippe Simonnot, Jurist und Ökonom/Frankreich. Als zentraler Punkt kristallisierte sich der Zusammenhang zwischen Demokratie und Monopolisierung, Vielfalt und Qualität der Marktpraktiken am Beispiel von Religion und Spiritualität heraus – eine Fragestellung, die inzwischen die Vereinten Nationen beschäftigt. Jean-Claude Usunier befasste sich u. a. mit der globalen Konstruktion des Warencharakters von Religionen durch GATS, WTO und den Marktpraktiken.

Ein vielfach belächeltes Arbeitsfeld ist zu einem zentralen Untersuchungsgebiet interdisziplinärer Fachleute geworden, in dem indirekt der Zusammenhang zwischen Menschenrechtsfragen und Wirtschaft auf dem Prüfstand landen: Die Verpackung lässt es zunächst nicht vermuten. Möglicherweise können zentrale Fragestellungen der Gegenwart weltweit nur durch die materielle Erfassung und Vermessung von Religion und Spiritualität beantwortet werden. Die größte Herausforderung stellt lediglich der Begriff der „Materialität“ im Bereich des Religiösen dar.