1989 - Meldungen 1245-1268
1989 - Meldungen 1245-1268 rhartmann Wed, 12/31/1997 - 09:00Europa
Bundesrepublik Deutschland
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Noch einen Schritt weiter ging der Bund für Geistesfreiheit Augsburg, der den dortigen Bischof Stimpfle wegen Ruhestörung anzeigte, was bei der Bevölkerung angesichts des überwiegend als lästig empfundenen Geläutes auf überraschend breite positive Resonanz stieß. In seiner Strafanzeige machte der bfg auch eine Beschimpfung seines weltanschaulichen Bekenntnisses gemäß § 166 StGB geltend. Selbst der Sprecher der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Oberkirchenrat Jeziorowski (Hannover), vertrat die Auffassung, das Läuten werde sich "einpendeln zwischen Lärmbelästigung und Zumutung."
Da es auch innerkirchliche Bedenken, z.B. vom Katholischen Frauenbund (kfd) und der Initiative Kirche von unten gegen die Absicht gab, Frauen an den Pranger zu stellen, folgte insbesondere in Großstädten eine Reihe von Pfarreien der bischöflichen Aufforderung nicht, zumal die Aktion auch von Sprechern von SPD, FDP und Grünen in seltener Einhelligkeit verurteilt wurde. (Frankfurter Rundschau, 29.11. u. 27.12.89; Presseerklärung der Freien Humanisten Niedersachsen v. 19.12.89; Augsburger Allgemeine, 28.12.89; Süddeutsche Zeitung, 29.12.89)
Inzwischen forderten die Jungen Liberalen in München, das Glockenläuten auch an Sonntagen bis auf besondere Ausnahmen einzustellen, da sich viele Menschen dadurch gestört fühlten und die Religionsfreiheit dort ende, wo sie die Freiheit anderer beschneide. (Süddeutsche Zeitung, 18.1.90)
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In der gleichen Ausgabe bezeichnete Schönhuber auch seine Vorbilder für einen christlichen Nationalismus: Die Vereinbarkeit von Glauben und Patriotismus haben uns der Deutsche Luther und der Pole Wojtyla gelehrt. (Der Republikaner, 2/90, S.6)
Zum Bundesbeauftragten seiner Partei für Gespräche mit den Kirchen schlug Schönhuber den Religionslehrer am Gymnasium Kamen/Westfalen, Burghard Schmanck, vor. Das Bischöfliche Generalvikariat Paderborn teilte daraufhin mit, es seien keine Äußerungen oder Lebensumstände des Lehrers nachweisbar, die den Grundsätzen der Kirche widersprächen. (Deutsche Tagespost, 12.12.89)
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Anm. der MIZ-Redaktion: So richtig (und eigentlich selbstverständlich) der Antrag allein wegen des Prinzips ist, daß jede Vereinigung ihre internen Belange auch selbst zu finanzieren hat, so bleibt angesichts der Begründung doch ein unguter Nachgeschmack: Sollen denn Pfarrheime von Kommunen finanziert werden, wenn nur die Kirchen entsprechendes Wohlverhalten an den Tag legen?
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In Münster warnte der renommierte Kirchenrechtler Prof. Dr. Horst Herrmann vor einer vorschnellen Übernahme des Bonner Grundgesetzes durch die DDR. Offensichtlich sei sich kaum jemand bewußt, welche finanziellen Folgen ein bloßer Anschluß auch im Hinblick auf die Kirchen habe. So müßten die Einwohner der DDR alle spezifisch bundesdeutschen Kirchenprivilegien wie etwa die Kirchensteuer schlucken. Hinzu komme, daß die Übernahme eines in der Bundesrepublik fortgeltenden Kirchenvertrages wie des Konkordats des Vatikans mit der Hitlerdiktatur von 1933 eine Zumutung an die DDR darstelle. Würde dagegen eine neue gesamtdeutsche Verfassung ausgearbeitet, könnten endgültig die schon seit Jahrzehnten zur Ablösung anstehenden Staatsleistungen an die Kirchen wegfallen, die Jahr für Jahr Milliardenbeträge ausmachten. Auch seien bei dieser Gelegenheit die Zahlungen der Bundesrepublik an die Kirchen auf dem Schul- und Sozialsektor zu überprüfen und endlich den von Grund auf gewandelten Verhältnissen anzupassen. (MIZ-Eigenmeldung)
Auch der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Brem, sieht in der bislang praktizierten Trennung von Staat und Kirche in der DDR ein "Beispiel", das bei einer Vereinigung beider deutscher Staaten beachtet werden sollte. Er warnte davor, bundesdeutsche Strukturen "blindlings" zu übernehmen: "Anstatt unsere teilweise verfehlten Modelle zu exportieren, sollten wir lieber prüfen, wo wir selbst noch lernen können." (KNA, 5.4.90)
Auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, mit über 35 000 Mitgliedern die bundesweit größte kirchenkritische Organisation, forderte die Abgeordneten der DDR-Volkskammer auf, bei Verhandlungen über eine neue Verfassung auf einer klaren Trennung von Staat und Kirche zu bestehen und die persönliche Selbstbestimmung in moralischen Fragen zu garantieren.
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Die gleichfalls amtskirchenkritische, aber christliche Initiative Kirche von unten erwägt, auf dem Berliner Katholikentag einen Verein Kirchensteuer von unten zu gründen. Vorausgehen soll eine öffentliche Veranstaltung, auf der austrittswillige Christen ihren Abschied von der Amtskirche nehmen, ohne ihre christliche Bindung aufzugeben. (Publik-Forum, 23.2.90)
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Seine Klage vor dem Landesarbeitsgericht Hamm brachte dem Mediziner im Berufungsverfahren in einer gütlichen Einigung eine Abfindung in Höhe von 14 000 DM ein. (AZ: 7 Sa 1363/89) (Frankfurter Rundschau, 1.12.89)
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Während in einem anderen Fall der Meineidige noch im Gerichtssaal festgenommen worden war, unternahm die Staatsanwaltschaft gegen die beiden Kirchenmänner zunächst gar nichts, obwohl sie zu einem Ermittlungsverfahren wegen Falscheids verpflichtet gewesen wäre. Erst auf eine Strafanzeige des Freiburger Anwalts wegen Meineids, falscher Verdächtigung, Verleumdung und Beleidigung hin war sie zum Eingreifen gezwungen. Sie brachte jedoch das Kunststück fertig, die Existenz eines objektiven Beweismittels in ein Entlastungsargument für die falschen Zeugen umzumünzen: Weil der Vortrag ja "für jedermann erkennbar" mit einer Videokamera aufgezeichnet worden sei, sei "kaum anzunehmen, daß die Beschuldigten in Kenntnis dieser Tatsache bewußt falsche, jederzeit widerlegbare Angaben" gemacht hätten. Außerdem hätten sie selbst "ein vorsätzliches Handeln entschieden in Abrede gestellt". Daher sei die Schuld so gering, daß durch Zahlung einer Geldbuße das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung beseitigt werden könne. (Süddeutsche Zeitung, 21.4.90)
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Damit haben die Konfessionslosen nach jahrelangem Ringen wenigstens einen Teilerfolg errungen. (Mitteilung der Humanistischen Union vom 21.3.90; vgl. MIZ 4/89, S.36 ff.)
DDR
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Anm.: Die MIZ-Redaktion stimmt dieser Auffassung grundsätzlich zu. Nur muß dann die Trennung von Schule und anderen weltanschaulich einseitig fixierten Organisationen ebenso konsequent gefordert werden.
Österreich
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Damit wurde erstmals ein ausländisches Staatsoberhaupt als "Gegenstand religiöser Verehrung" hingestellt. Ebenfalls neu ist die Anzeigeerstattung in Zusammenhang mit einer Demonstration katholischer Gruppen. Gegen Fanatiker, die abtreibende Frauen als Mörderinnen diffamiert hatten, wurde kein Verfahren eingeleitet. (Mitteilung Antiklerikaler Arbeitskreis - Organisation für Atheismus und Aufklärung Salzburg v. 3.4.90)
Schweiz
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Besondere Kritik erfuhr die Forderung der evangelisch-reformierten Kirche, der Kanton Zürich müsse bei einer Entflechtung von Staat und Kirche etwa 400 Millionen Franken als einmalige Ablösesumme aufbringen. Die Behörden lehnten eine Auflistung dieser Summe in den kantonalen Haushaltsplan ab, weil ein solcher Anspruch strittig sei, wollen aber weiterhin die darauf beruhenden Staatszuschüsse zahlen und streben auch keine gerichtliche Klärung über deren tatsächliche Berechtigung an. (Freidenker, Organ der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, 3/90)
Spanien
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Dennoch fand der Exorzist, ein Straßenhändler und Pastor der "Evangelischen Kirche von Philadelphia", auch Fürsprecher: Der Zivilgouverneur von Almeria, Ramon Lara, meinte, der Exorzismus sei "Teil der Freiheit des religiösen Kultes, den unsere Verfassung schützt" und warf der Polizei sogar Amtsanmaßung vor. Auch der von der Polizei eingeschaltete Untersuchungsrichter war der Ansicht, es liege kein Delikt vor, weil der Teufelsaustreiber mit Erlaubnis der Eltern gehandelt habe und direkte Gesundheitsschäden nicht erkennbar seien. - Satansmessen und Teufelsaustreibungen kommen in Spanien noch relativ häufig vor. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.2.90)
Malta
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Möglich wurde die Annäherung Maltas an den Heiligen Stuhl erst nach Ablösung der jahrzehntelang regierenden Sozialisten, die sich für eine stärkere Trennung von Staat und Kirche eingesetzt hatten, durch die konservative Opposition. (KNA, 21.11.89; vgl. MIZ 2/87, S. 23, sowie 3/86, S. 35, und 2/84, S. 31)