1992 - Meldungen 1668-1733
1992 - Meldungen 1668-1733 rhartmann Mi, 1997-12-31 09:00Europa
Belgien
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Anm. MIZ-Red.: Für Normalmenschen sind die Haftbedingungen in einem Kloster und einem offiziellen Gefängnis zwar durchaus vergleichbar. Für Kleriker, die sich mitunter sogar freiwillig dort einschließen lassen, stellt aber ein Klosteraufenthalt subjektiv gar keine echte Strafe dar, so daß eine Gleichbehandlung zu weltlichen Straftätern nicht gegeben ist.
Bulgarien
Dänemark
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Gleichzeitig wurde bekannt, daß auch im ähnlich liberalen Schweden die Abtreibungszahl 1990 um 5 Prozent sank. (Süddeutsche Zeitung, 7.8.92)
Deutschland
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Als Ursachen der zunehmenden Kirchenferne werden (neben den bekannten Gründen) die auch auf dem flachen Land wachsende Distanz von Pfarrern zu Gemeindegliedern sowie die häufige Abmeldung anläßlich eines Umzugs angegeben. Außerdem hat der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte einen erheblichen Einfluß. (Main-Echo/Obernburger Bote, 11.1.92
Diese Entwicklung dürfte sich seither fortsetzen, denn im benachbarten Würzburg schnellten die Austrittserklärungen 1991 nochmals um 40 % gegenüber dem Vorjahr auf nunmehr 618 in die Höhe. (Main-Echo, 5.11.92)
In der Erzdiözese München verabschiedeten sich 1991 genau 15.075 Katholiken gegenüber 10.893 im Vorjahr. (Süddeutsche Zeitung, 6.11.92)
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Da die Schule, das Gymnasium Olching auf einer Teilnahme am Ethikunterricht bestand, klagten die Mütter und erhielten schließlich vor dem Verwaltungsgericht recht. (Fürstenfeldbrucker Tagblatt, 8.2.92; Augsburger Allgemeine, 12.3. u. 10.8.92; Süddeutsche Zeitung, 29.7.92)
Inzwischen stellte sich heraus, daß die Schule - neben zahlreichen anderen Rechtsfehlern - versäumt hat, die Eltern zu informieren, daß die Teilnahme am Ethikunterricht allen Schülern offensteht. Dieses offenbar häufig auftretende Problem wurde auch in einer Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses am 28.10.92 angesprochen, in der der Sprecher der Grünen, Herbert Brückner, auch ein Gespräch des Kultusministeriums mit dem Bund für Geistesfreiheit anregte.
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Bei einigen der genannten Kirchenführern ist die Untersuchung allerdings noch nicht abgeschlossen; bei Plath und Harder bereitet die Kirchenleitung ein Disziplinarverfahren vor. Nach Untersuchungen eines Vorermittlungsausschusses der EKD fühlte sich Harder entlastet, während sich die EKD merkwürdigerweise völlig ausschwieg.
(TAZ, 27.1.92; Frankfurter Rundschau, 14.1., 25.3., 25.5. 31.7. u. 4.9.92; Süddeutsche Zeitung, 16.4., 31.7., 8.8.92 u. 5.1.93; DER SPIEGEL, 24.2. u. 22.6.92; Lutherische Welt-Information 12/92)
Anm. MIZ-Red.:
- Nicht erwähnt ist hier der Ex-Konsistorialpräsident Stolpe, dessen Fall in der Presse ohnehin breit gewürdigt worden ist (z.B. in nahezu jeder SPIEGEL-Ausgabe seit Jahresbeginn). Er fällt nach bisherigen Erkenntnissen nicht unter die Rubrik der Stasi-Mitarbeiter, doch wird ihm - neuerdings sogar von seiner eigenen Kirche (vgl. z.B. Augsburger Allgemeine, 27.10.92) - vorgehalten, daß er mit dem Staatssicherheitsdienst vertraulichere Kontakte pflegte als notwendig und daß er "im Einzelfall seinen Auftrag überschritten" hat. Außerdem wurde ihm nachgewiesen, daß er die Öffentlichkeit nur stückchenweise und z.T. irreführend über seine Rolle in der DDR informiert hat.
- Nachdem Umfragen gezeigt haben, wie sehr die Verquickung von Kirche und Stasi dem Ansehen der evangelischen Kirche schadet, ist seit Jahresende eine Tendenz erkennbar, innerkirchliches Fehlverhalten so weit wie möglich zu vertuschen.
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Der Bund für Geistesfreiheit Augsburg und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten bemängeln außerdem die einseitige religiöse Parteinahme der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Vor allem über den DGB und die DAG äußerten sie sich enttäuscht und fragten, warum es bei einer solchen Haltung überhaupt noch einen eigenen "christlichen" Gewerkschaftsbund brauche. (Eigenmeldung)
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Besonders verärgert reagierten die Arbeitnehmer. Zahlreiche Redakteure, die von anderen Verlagen abgeworben worden waren, wurden nach Ende der Probezeit wieder gekündigt. Außerdem lehnte die Geschäftsleitung eine Anhörung des Betriebsrats zu den Massenkündigungen ab. (Süddeutsche Zeitung, 9. u. 30.4.92)
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Eine ganz andere Vorbeugungsmaßnahme gegen Wahlbeeinflussung trafen nicht wenige Kirchengemeinden in Baden-Württemberg: "Am Wahlsonntag werden keine Lieder gesungen, in denen vom Teufel die Rede ist." (Frankfurter Allgemeine, 6.4.92)
Ob die Richtlinie auch ergangen wäre, wenn es nicht ausgerechnet die CDU gewesen wäre, deren Spitzenkandidat den Namen Teufel trägt?
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So sehr Dybas Analyse ins Schwarze traf, so wenig redlich war sein Motiv: Ihm war die klerikale Großshow nämlich zu pluralistisch ausgerichtet. (Süddeutsche Zeitung, 2.7.92)
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Die Kirchen zeigten sich jedoch zu keinem Entgegenkommen bereit - im Gegenteil. Nach der jüngsten EKD-Synode sah sich die Gewerkschaft ÖTV veranlaßt, gegen die von der evangelischen Kirche geplante Neufassung des Kirchengesetzes über die Rechte kirchlicher Arbeitnehmer zu protestieren. Die Mitwirkungsrechte der Mitarbeitervertretungen (MAV) sollen z.B. bei Kündigungen noch stärker eingeschränkt werden. Außerdem dürfen künftig nur noch Angehörige christlicher Kirchen in die MAV gewählt werden; bisher galt dies nur für den Vorsitzenden. (Augsburger Allgemeine, 23.10.92; Süddeutsche Zeitung, 23.10.92))
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jörg van Essen, der auch Mitglied der Verfassungskommission ist, forderte die generelle Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts. Konflikte in diesem Bereich sollten von Arbeitsgerichten statt von kirchlichen Kommissionen behandelt werden. Rund 900.000 kirchliche Mitarbeiter würden gegenüber anderen Arbeitnehmern unzumutbar benachteiligt. (Südwest-Presse, 16.9.92)
Einen ersten Schritt hierzu tat das Bundesarbeitsgericht: Es entschied, daß staatliche Gerichte trotz der Autonomie der Kirchen berechtigt sind zu prüfen, ob bei der Kündigung in einer kirchlichen Einrichtung das dort geltende kirchliche Recht korrekt angewandt wurde. (AZ: 2 AZR 49/92) (Süddeutsche Zeitung, 18.9.92)
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Mit dieser Entscheidung stellten sich die zustimmenden CDU, SPD und FDP sogar gegen eine Empfehlung des Beauftragten der evangelischen Landeskirche bei der Regierung, der die Berücksichtigung der weltanschaulichen Mehrheitsverhältnisse angemahnt hatte (vgl. MIZ 2/92, Meldung 1597). Bündnis 90 und PDS stimmten (allerdings wegen der Regelung zum Volksentscheid) gegen den Verfassungsentwurf, der mit 80 zu 19 Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen wurde. (Frankfurter Rundschau, 16.7.92)
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Demnach zeigt die junge Generation einen ausgeprägten Individualismus und eine starke Abneigung gegen jede Art von Anpassung an Institutionen. Als die "subjektiv wichtigsten Säulen des individuellen Glücks" stellten die Forscher fest: "Bewährte Freundschaft", "Geborgenheit in der Partnerbeziehung/Familie", "Gehobener Lebensstandard", "Freiheit und Selbstkongruenz", und "Zufriedenheit im Beruf". Die Kirche spielt eine völlig untergeordnete Rolle; der Gottesglaube "scheint weniger gründlich abgedrängt". In Notsituationen breche noch der "irrationale 'Kinderglaube'" durch, der aber kaum mehr dem "genuin jüdisch-christlichen Gottesbild" entspreche: "Soweit Gott heute noch denkbar scheint, wird er monistisch, immanent und technomorph (statt dualistisch, transzendent und anthropomorph) vorgestellt und die Ausgrenzung des vermeintlich widergöttlichen Bösen kritisiert." Der Autor nimmt das Streben nach individuellem Glück (Eudämonismus) bei den Jugendlichen gegen Vorurteile in Schutz: "Hervorzuheben ist ..., daß Eudämonismus nicht mit Hedonismus als kurzfristiger Lustmaximierung und auch nicht mit rücksichtslosem, gemeinschaftsschädigendem Egoismus verwechselt werden darf!"
Trotz der Minderheit von religiösen Fundamentalisten und "Häretikern" kommt Barz zu dem Fazit, "daß die sog. 'normalen' Jugendlichen von Religion ganz überwiegend nicht viel wissen wollen." Als "zentrales Ergebnis dieser Studie" stellt er fest:
"Die Religionskritik eines Feuerbach, Marx oder Freud und der Glaube an die Wissenschaft prägen heute das Denken des Durchschnittsmenschen in wohl noch nie dagewesenem Maße. Überprüfbarkeit im Sinne des wissenschaftlichen Experiments und Machbarkeit sind zentrale Koordinaten des diesseitsorientierten Weltbildes, vor denen metaphysische und theologische Spekulationen einen schweren Stand haben. Und dies gilt für das überkommene Religionssystem genauso wie für die Auswüchse der neuen spirituellen Szene. Desinteresse, Mitleid und Spott allen derartigen Angeboten gegenüber scheinen weit verbreitet. Genauso denen gegenüber, die ihr Heil von einem vor 2000 Jahren gestorbenen Menschen mit großem Redetalent abhängig machen, wie denen gegenüber, die eine stumpfe Rasierklinge unter eine Drahtpyramide legen und meinen, sie werde dadurch nach vier Wochen wieder scharf. Die Diesseitigkeit der Wertmaßstäbe (Eudämonismus) und das Ideal der vermeintlichen mentalen Autarkie des autonomen Individuums, das nur glaubt, was durch die eigene Erfahrung (bzw. stellvertretend durch die Wissenschaft) verifizierbar ist, prägen den durchschnittlichen Alltagsglauben." (Frankfurter Rundschau, Dokumentation, 27.7.92)
Auch der Theologe Heinz Zahrnt kommt nach einer ausführlichen Analyse über die Zukunftsperspektiven der Kirche zu dem abschließenden Resümee: "Das Zeitalter der repräsentativen Kirche neigt sich unweigerlich dem Ende zu - genauso wie die Zeit der Galionsfiguren, Truppenparaden, Ordensfeste und livrierten Chauffeure. Wie es länger als anderthalb Jahrtausende im Abendland gewesen ist, so wird es in Europa niemals wieder werden. Die Kirchen werden keinen zentralen Platz mehr in der Gesellschaft einnehmen und keinen direkten autoritären Einfluß mehr auf die politische Ordnung und das kulturelle Leben ausüben. Auch die Zeit der großen Zahlen ist - trotz Kirchen- und Katholikentagen - vorüber. Die Kirchen werden nur noch eine bescheidene Rolle in der Gesellschaft spielen." (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 11.12.92)
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Deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt ist die Position der Kirchen im Süden der Republik: Im durchaus repräsentativen Bistum Augsburg sind 41 % aller Kindergärten in katholischer Hand; insgesamt werden drei Viertel von freien - meist kirchlichen - Trägern geleitet. (Weltbild, 7.8.92)
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Anm. MIZ-Red.: Die Kirchenaustritte wirken sich im gleichen Jahr finanziell noch kaum aus. Nach Erkenntnissen von Finanzexperten hängt das Kirchensteueraufkommen kurzfristig vor allem von der Beschäftigungsquote (Zahl der Erwerbstätigen) und von der Höhe der Einkommenssteigerung ab; so führt z.B. ein Lohnzuwachs von 5 % wegen der höheren Steuerprogression an der Einkommensspitze zu einem Steuer- (und Kirchensteuer-)zuwachs von etwa 12 %. Langfristig hingegen fällt eine Kirchenaustrittsquote von jährlich knapp einem Prozent durchaus ins Gewicht, zumal die Austretenden zumeist überdurchschnittlich viel Steuern zahlen.
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Anläßlich eines neuen Falles teilte die Vereinigung verheirateter Priester mit, daß allein die Diözese Augsburg in den letzten 20 Jahren immerhin 58 Priester durch Heirat verloren haben. (Augsburger Allgemeine, 27.7.92) Laut Weltbild vom 23.3.89 waren dort Ende 1988 genau 847 Priester aktiv; inzwischen dürften es noch ca. 750 sein.
Anm. MIZ-Red.: Solange die Geistlichen ihre private Bindung nicht publik machen und nicht den Zölibat grundsätzlich kritisieren - wie jüngst der "Pfarrer von Arget" Willibald Glas (vgl. die süddeutsche Presseberichterstattung zwischen 20.9. und 10.10.92) und der Mainzer Klinikpfarrer Eifler (vgl. Report vom 20.7.92 und die folgende Presseresonanz) - werden sie nicht selten in der Kirche weiterbeschäftigt (z.B. als Religionslehrer) und zugleich "unter Kontrolle" gehalten.
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Die von der Stadt Erlangen finanzierte Seniorenzeitschrift Herbstzeitlose lehnte einen Beitrag zur Evolutionslehre (aus nichtreligiöser Sicht) ab, druckte aber neben zahlreichen kirchlichen Beiträgen u.a. den Beitrag eines Pfarrers ab, der Nichtgläubige und Andersdenkende als "Geisterfahrer im Leben" beschimpfte. Auf die Beschwerde des Bundes für Geistesfreiheit in Erlangen verwies die 2. Bürgermeisterin auf die journalistische Freiheit der Redaktion. Daß die Stadt als und Herausgeberin das (eigentlich selbstverständliche) Gebot der weltanschaulichen Ausgewogenheit zur Voraussetzung für die Finanzierung machen könnte, kam ihr nicht in den Sinn. (Herbstzeitlose, 1/92)
Das amtliche Mitteilungsblatt der Stadt Neu-Ulm brachte unter der Rubrik "Kirchliche Nachrichten" (die, von der Kirche redigiert, in einem Amtsblatt ohnehin nichts zu suchen hat) einen Artikel, der "alle, die bei Gott sein dürfen", lobend herausstellt. Wer hingegen als Ungläubiger "getrennt von Gott sein Dasein fristen muß (Umschreibung 'Hölle')", wird buchstäblich verteufelt. (Mitteilungsblatt der Stadt Neu-Ulm vom 29.10.92) Ob die Beschwerde örtlicher bfg-Mitglieder Erfolg hat, läßt sich noch nicht absehen.
In München hingegen ließ die Stadt auf Initiative eines CSU-Stadtrats sofort Broschüren des bfg aus U-Bahn-Haltestellen entfernen, in denen eine Beratung über Fragen des Kirchenaustritts angeboten wurde.
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Das Referat ist zuständig für Fragen des Staatskirchenrechts, die Koordinierung des Religionsunterrichts an den Schulen und für die Fragen zwischen Land und Kirchen in Gesetzgebung und Verwaltung. (Süddeutsche Zeitung, 10.9.92)
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Besonders krass ist die Entwicklung in Tübingen, einer der größten Fakultäten für Evangelische Theologie. Zwischen dem Wintersemester 1984/5 und dem Sommersemester 1992 nahm die Theologenzahl von 2225 auf 1370 ab. Auch bei der Katholisch-Theologischen Fakultät ist seit Jahren eine rückläufige Entwicklung festzustellen: Allein im Sommersemester 1992 ging die Studentenzahl gegenüber dem Vorsemester nochmals um 21 auf 589 zurück. (Frankfurter Rundschau, 23.7.92)
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Mehrere konfessionslose Sprecher - vor allem vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten - hatten darauf hingewiesen, daß kirchliche Sozialeinrichtungen ohnehin fast ganz aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. (Neu-Ulmer Zeitung, 25.9.92)
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Das Kultusministerium verwies auf langfristige Verträge mit den Kirchen, blieb aber eine Erklärung schuldig, warum diese nicht schon längst gekündigt wurden. (Augsburger Allgemeine, 13.10.92)
Der Bund für Geistesfreiheit forderte in einer Erklärung eine generelle Reduzierung des Religionsunterrichts in den Jahrgangsstufen 2 bis 4 von drei auf zwei Wochenstunden. Auch in Bayern müsse möglich sein, was im Saarland und in Hessen anstandslos realisiert worden sei und in Rheinland-Pfalz bevorstehe. Nach Berechnung des bfg könnten jährlich immerhin rund 60 Millionen DM eingespart werden.
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Inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, daß 1992 mindestens ebensoviele Personen ihrer Kirche den Rücken kehren wie im Vorjahr (vgl. hierzu auch MIZ 3/92, Meldung 1648). Eine Schnellumfrage bei den 51 Dekanaten der württembergischen Landeskirche ergab eine Austrittsquote von rund 8000 Protestanten; im Vorjahr waren es insgesamt 16.521.
Andere Kirchenvertreter prognostizierten für beide Kirchen sogar rund 600.000 Austritte im laufenden Jahr. (Südwest-Presse, 17. u. 19.10.92; Bild, 7.11.92)
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In München-Freimann hofft die evangelische Kirche, städtische Zuschüsse für den Bau einer Kirchenuhr im neuen Pfarrgemeindezentrum zu ergattern, indem sie zur "öffentlichen Uhr" umdeklariert wird. Der Bezirksausschuß des Stadtteils befürwortete den Antrag; nun muß der Stadtrat entscheiden. Ob eine solche Turmuhr heutzutage überhaupt noch nötig ist, wurde bisher kaum erörtert.
Noch anspruchsvoller gebärdet sich das Management für den Evangelischen Kirchentag, der vom 9. bis 13. Juni 1993 in München stattfinden soll. Obwohl von den geplanten 17,7 Mio. DM Kosten bereits Bund und Land zusammen etwa fünf Millionen übernehmen, fordern die Veranstalter von der hochverschuldeten Stadt weitere zwei Millionen. Außerdem wollen sie nur etwa die Hälfte der 3,7 Millionen DM Gebühren entrichten, die für die Nutzung von Messe- und Olympiaparkgelände, Gasteig und Schulen anfallen. Insgesamt würden demnach die öffentlichen Kassen mehr als die Hälfte der Kosten abdecken. Bleibe die Stadt hart, so die schreckliche Drohung der Veranstalter, dann müsse am Programm deutlich gekürzt werden.
Die Stadt verweist hingegen auf ihre Finanzprobleme. Eine Arbeitsgruppe aus Stadt- und Kirchenvertretern soll nun die strittigen Fragen im Detail klären, wobei auch Nebenkosten etwa für Abfallbeseitigung zur Debatte stehen. Die endgültige Entscheidung fällt schließlich der Stadtrat. (Süddeutsche Zeitung, 22.10.92)
Der Bund für Geistesfreiheit forderte Stadt und Kirche auf, den Grundsatz der Gleichbehandlung konsequent anzuwenden. Es könne nicht angehen, daß eine innerkirchliche Veranstaltung mit öffentlichen Mitteln auch der Konfessionslosen gefördert werde. Dies gelte hier umso mehr, als eine extrem reiche Organisation, die 1991 eine Einnahmensteigerung von 16 Prozent erzielt habe, eine hochverschuldete Kommune anbettle. Dieses Ansinnen sei zutiefst unsozial und moralisch geradezu widerwärtig. Den Kirchen warf der bfg vor, ihre ethischen Prinzipien immer nur bei anderen einzufordern, selbst aber keine Bereitschaft zu Einschränkung und Verzicht zu zeigen.
Pikanterweise wurde fast gleichzeitig bekannt, daß die evangelische Landeskirche für andere Großprojekte durchaus genug Geld hat. So erwarb sie für vier Millionen DM das Schloß Craheim in Unterfranken, das nun fundamentalistisch-charismatischen "Geistlichen Gemeinde-Erneuerung" zur Verfügung gestellt wird (Süddeutsche Zeitung, 13.11.92), und in Bayreuth baut sie mit Mitteln ihrer Pfründestiftung ein Romantik-Restaurant und ein Nobel-Hotel mit 107 Zimmern (Süddeutsche Zeitung, 1.9.92)
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Obwohl im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl bisher nur zwei kirchliche Kindergärten bestehen, kommt nun auch der dritte in klerikale Obhut. Dabei leistet die Stadt einen Baukostenzuschuß von 90 %, stellt den Grund zu einem extrem niedrigen Erbbauzins zur Verfügung, gewährt ein zinsloses Darlehen und beteiligt sich später zu zwei Dritteln an den Gebäudefolgekosten. Überdies tragen Stadt und Bundesland 100 % der Personalkosten.
Ein Sprecher des bfg Augsburg kritisierte, daß unter diesen Konditionen Bau und Betrieb in städtischer Regie billiger wären. Außerdem handle es sich um eine öffentliche Aufgabe, bei der klerikale Interessengruppen nicht einseitig bevorzugt werden dürften. (Neu-Ulmer Zeitung, 27.11.92)
Anm. MIZ-Red.: Die Errichtungskosten bestreiten Kindergartenträger, Kommune und Land grundsätzlich zu je einem Drittel. Vielfach übernehmen die Gemeinden auf Druck christlicher Gemeinderäte freiwillig zusätzliche Lasten. Die Eigentumsrechte bleiben hingegen beim Träger, der allein vom Wertzuwachs profitiert. Zwar sind staatliche Baukostenzuschüsse für Kindergärten grundsätzlich an eine "Bindungsfrist" (meist 25 oder 30 Jahre) gekoppelt. Fällt es aber dem kirchlichen Träger ein, das Gebäude anders zu nutzen, hat er dazu das Recht. Er muß nur jenen Anteil der Bauzuschüsse an die öffentliche Hand zurückzahlen, der dem nicht eingehaltenen Bindungszeitraum entspricht. Dabei ist aber nur die ursprüngliche Bausumme maßgebend, die zwischenzeitliche Wertsteigerung der Immobilie und der Inflationsverlust des Geldes bleiben außer Betracht.
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Der Dachverband von 40 evangelischen Frauenorganisationen forderte die sofortige Einstellung des Versuchs und protestierte "gegen die Aufspaltung in eine gehirntote Person und einen technisch funktionsfähig gehaltenen Gebärapparat". Die Mutter werde zum Gefäß und Instrument herabgewürdigt. (Lutherische Welt-Information 12/92)
Auch sieben namhafte katholische und evangelische Theologieprofessoren kritisierten in einer öffentlichen Erklärung die Haltung ihrer Kirchenoberen. "Was uns besonders bedrückt, ist die Eilfertigkeit, mit der Theologen und Kirchenvertreter die Frage der Zulässigkeit solcher Experimente an die Medizintechnologen abtreten." Die Würde eines Menschen verbiete es, ihn als Mittel zu fremden Zwecken zu benutzen. Die Autoren stellten die Frage, warum sich kaum ein "Ethik-Experte" zu sagen traue, daß ein Kind, "das noch nicht den Reifegrad für ein selbständiges Leben erreicht hat, in das Sterben seiner Mutter verwoben ist und mit ihr sterben muß". (Augsburger Allgemeine, 31.10.92)
Anm. MIZ-Red.: Einen Aspekt übersehen die Theologen in ihrer sonst treffenden Argumentation: Kirchen und Moraltheologen haben in ethischen Fragen keine Kompetenz "abzutreten", weil sie kein Monopol für Ethik und Moral besitzen.
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Kritiker warfen der Kirche einen "moralischen Offenbarungseid" vor; sie gebe damit zu, daß sie "im Grunde nur eine Dienstleistungsfirma ist, der es um eine Verbesserung der Einnahmen und um möglichst viel Macht geht". Die Aktion gehe überdies ins Leere, weil nur die Symptome der Kirchenkrise kuriert würden, nicht aber ihre Ursachen. (Augsburger Allgemeine, 14.12.92 u. 2.1.93)
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Eine zweite Gruppe von Organisationen hob am 14.1.93 den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) aus der Taufe. Obwohl ursprünglich wesentlich mehr Landesverbände an den Vorbereitungen beteiligt waren, fungierten nur der Freidenker-Verband Berlin, die Freigeistige Landesgemeinschaft Nordrhein-Westfalen sowie kleine Gruppen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die erst im Aufbau sind, als Gründungsmitglieder. Aus anderen Bundesländern kommen noch Einzelpersonen hinzu. Der Bund für Geistesfreiheit Bayern lehnte einen Beitritt wegen des riskanten Finanzkonzepts ab, die Freien Humanisten Niedersachsen hatten bereits vorher abgewunken. Damit hat der Verband effektiv nur gut 1000 Mitglieder, während er der Presse gegenüber 10.000 angab.
Beiden neugebildeten Bundesverbänden, DFW wie HVD, geht es nicht primär um eine konsequente Trennung von Staat und Kirche, sondern um die Gleichstellung mit den Kirchen, was lediglich den Kreis der Privilegierten um zwei Verbände erweitern würde. Der zur Zeit stark wachsende Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) fordert hingegen einen konsequenten Abbau der materiellen Privilegien sowohl der Kirchen als auch anderer Weltanschauungsgemeinschaften. (MIZ-Eigenmeldung auf der Grundlage diverser Presseerklärungen des DFW sowie des DFV Berlin; Welt am Sonntag, 24.1.93)
Großbritannien
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Anm. MIZ-Red.: In wieviel anderen Fällen wohl konnte das Märchen von der klösterlichen Armut noch nicht durch einen späten Zufallsfund richtiggestellt werden?
Italien
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Erst vor einigen Monaten hatte Fiat-Boß Agnelli dem Papst einen Fiat 500 geschenkt und mit dem Übergabe-Photo geworben. Das Vorbild ihres Oberhirten hatte aber offenbar nicht einmal bei Klerikern gewirkt. (Der SPIEGEL, 31.8.92)
Österreich
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Anm. MIZ-Red.: Leider ist dieser sonst sehr instruktiven, vom Antiklerikalen Arbeitskreis Salzburg erstellten Zeitschrift nicht exakt zu entnehmen, aus welcher Quelle die Informationen stammen. Im vorliegenden Fall dürfte es sich um die Salzburger Nachrichten handeln.
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Auch Kräutler forderte in einer verlesenen Stellungnahme den "Auszug aus einer realitätsfernen Kirche zur Kirche als Volk Gottes der Armen".
Ratzinger hingegen verteidigte die päpstliche Missionspolitik, die zu seinem Bedauern "weithin als Geschichte einer Entfremdung und Vergewaltigung" gesehen werde. Es wäre "Veruntreuung" des Glaubens gewesen, so der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, wenn man ihn "nicht in den letzten Winkel der Erde" getragen hätte. "Die Mission wurde aber nicht als Zugewinn von Menschen für den eigenen Machtbereich betrachtet", behauptete er, "sondern als pflichtgemäße Weitergabe dessen, was für alle bestimmt war und wessen alle bedurften." Ob Indianer und andere den christlichen Glauben überhaupt annehmen wollten, ließ den nach dem Papst ranghöchsten vatikanischen Glaubenshüter kalt. (Süddeutsche Zeitung, 5.8.92; Augsburger Allgemeine, 3.8.92)
Polen
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Kritiker befürchten allerdings, die Kirche wolle in Wirklichkeit ihren Einfluß nicht reduzieren, sondern nur in verdeckterer Form zur Geltung bringen (siehe auch folgende Meldung).
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Ein etwas weniger rigider Gesetzentwurf, der eine sehr restriktive Indikationslösung vorsah (vor allem bei Gefahr für das Leben der Mutter), wurde mit 179 zu 149 Stimmen abgelehnt. Auch ein Antrag auf Volksabstimmung wurde verworfen - aus naheliegenden Gründen: Meinungsumfragen ergaben, daß eine breite Mehrheit der polnischen Bevölkerung das liberale Abtreibungsrecht aus dem Jahre 1956 beibehalten möchte, das einen Abbruch auf einfachen Antrag hin erlaubt.
Der Entwurf ist indes noch nicht rechtskräftig. Er wurde an einen Expertenausschuß verwiesen und muß später nochmals das Parlament passieren.
(Frankfurter Rundschau, 27.7.92; vgl. MIZ 2/92, Meldung 1618)
Anm. MIZ-Red.: Ein pikantes Detail, das die vatikanische Einflußnahme besonders deutlich nachweist, ging in der Berichterstattung fast völlig unter: Der Gesetzentwurf sieht auch ein Verbot der Spirale und ähnlicher Verhütungsmittel vor.
Schweiz
Vatikan
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Vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften vertrat Wojtyla die Meinung, daß es "zwei Reiche des Wissens gibt: eines, dessen Quelle die Offenbarung ist, und eines, welches der Verstand durch eigene Kraft erkennen kann".
Während der Großteil der deutschen Presse nur die Rehabilitierung meldete (z.B. KNA, Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung vom 2.11.92), sprach die italienische von einer "Absolution für die Inquisition" (La Republicca) und einem "wahrhaft mittelalterlichen Verständnis" (Corriere della Sera). Kirchenkritiker führten den Eiertanz des Papstes auf den Versuch zurück, im Einzelfall zuzugeben, was nicht mehr zu leugnen ist, ansonsten aber das Gebäude der Dogmen aufrechtzuerhalten. (Münchner Abendzeitung, 2.11.92)
Nordamerika
Vereinigte Staaten
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Anm. MIZ-Redaktion: Bereits vor einigen Jahren wurde die ungewöhnlich hohe Aids-Rate bei US-Geistlichen als Problem festgestellt. Damals schätzten Fachjournalisten (u.a. in Le Monde und in der Tageszeitung Boston Globe) den Anteil der Homosexuellen im katholischen Klerus auf 20, im evangelischen sogar auf 40 Prozent.
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Die nationale Medikamentenbehörde (FDA) argumentiert, die Herstellerfirma habe die geltenden Vorschriften nicht eingehalten, Abtreibungsgegner wie -befürworter sind jedoch übereinstimmend der Auffassung, daß die ablehnende Haltung der Regierung Bush zu Schwangerschaftsabbrüchen den Ausschlag gab, zumal sich das Justizministerium gegen die Einführung des Mittels aussprach.
Wenige Tage später gab die Zulassungsbehörde das Präparat frei - aber nur zur Behandlung von Gehirnkrebs. Seit kurzem ist nämlich bekannt, daß es zur Bekämpfung von Tumoren geeignet ist. (Frankfurter Rundschau, 20. u. 31.7.92)
Im Gegensatz zu Bush gilt sein Nachfolger Bill Clinton in der Abtreibungsfrage als wesentlich liberaler.