Bündnis 90/Die Grünen gehen auf Distanz zur Amtskirche

Ein überfälliger Schritt

Bündnis 90/Die Grünen gehen auf Distanz zur Amtskirche

Aus: MIZ 4/94

"Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" - das waren die Begriffe, mit denen die Grünen Mitte der achtziger Jahre ihr Selbstverständnis ausdrückten1. Aus den sozialen Bewegungen hervorgegangen blies die Partei zum Angriff auf das politische Establishment und die Konsumgesellschaft, auf patriarchale Strukturen und den militärisch-industriellen Komplex. Die Kirchen hingegen gerieten erst später und gegen starke Widerstände ins Visier grüner Kritik.

(Grünen-Symbol)Im Programm zur Bundestagswahl 1987 spiegelte sich das mangelnde Bewußtsein über die gesellschaftlichen Folgen kirchlicher Machtfülle darin, daß Kirche nicht vorkam. Weder in der Passage über Recht und Demokratie, noch im Abschnitt über eine demokratische Wirtschaft, nicht einmal im Zusammenhang mit der Forderung nach der ersatzlosen Streichung des § 218 wurde erwogen, daß die Kirchen eine der Ursachen der kritisierten Mißstände sein könnten2. Diese Zurückhaltung war jedoch typisch für die "Linke" in diesen Jahren, die darin entweder einen vernachlässigbaren Nebenkonflikt sah oder christliche Basisgruppen als potentiellen Bündnispartner in der Friedens- oder Ökologiebewegung einschätzte und deshalb diesen Bereich aus der Kritik ausklammerte.

Zu einer ersten Auseinandersetzung über die Frage, wie es die Grünen denn mit dem Verhältnis von Staat und Kirche halten, kam es 1988 in Baden-Württemberg3. Am Gang der Diskussion läßt sich exemplarisch zeigen, mit welcher Befangenheit sich selbst eine radikaldemokratische Partei diesem Thema näherte. Zwei Ortsverbände hatten bereits für den Landesparteitag im Herbst 1987 den Antrag eingebracht, daß die Grünen in ihr Landtagswahlprogramm ein ausdrückliches und detailliertes Bekenntnis zu einem laizistischen Gemeinwesen aufnehmen sollten. Obwohl viele Parteimitglieder zuerst sehr zurückhaltend reagierten und der Landesvorstand in der Folgezeit nichts unversucht ließ, den Antrag zu boykottieren, wurde für das darauffolgende Jahr ein Kongreß anberaumt, der die Thematik inhaltlich aufarbeiten sollte. Der fand auch unter beachtlicher Beteiligung statt und konnte Informationsdefizite immerhin soweit beseitigen, daß sich die Delegierten des Landesverbandes zu einem "Tendenzbeschluß" für die Trennung von Staat und Kirche durchrangen. Obwohl die Aussagen keineswegs kirchenfeindlich, sondern in einigen Punkten sogar inkonsequent waren, brach in der konservativen Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung los. Vor allem die Landtagsfraktion ließ sich davon so stark beeindrucken, daß sie sich vom Parteitagsbeschluß distanzierte, anstatt ihn als selbstverständliche demokratische Position zu verteidigen. Trotzdem war es damit erstmals seit Mitte der siebziger Jahre gelungen, in einer relevanten Partei die Trennung von Staat und Kirche auf die Tagesordnung zu bringen.

In der Folgezeit wurde die Diskussion in einzelnen Landesverbänden fortgeführt, wobei sich schon abzeichnete, daß sich allmählich die Sachargumente gegen irrationale Bedenken durchsetzten. Im Programm zur Bayerischen Landtagswahl 1990 wurde eine Diskussion über den Körperschaftsstatus, die Kirchensteuer, den Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die finanziellen Leistungen der öffentlichen Hand gefordert4, die Alternative Liste Berlin sprach sich im gleichen Jahr dafür aus, "Konfessionslose" nicht mehr als Minderheit anzusehen und schlußfolgerte daraus die Notwendigkeit einer "strikte(n) Trennung von Staat und Kirche" (allerdings traute sie sich dann doch nicht, dieses Ansinnen auch im Wahlprogramm abzudrucken)5.

Als die Grünen bei der Bundestagswahl 1990 in den alten Bundesländern an der Fünfprozent-Hürde scheiterten und grüne Positionen in Bonn für eine Legislaturperiode von den Abgeordneten des Bündnis 90 vertreten wurden, wurden die Weichen für ein vorläufiges Ende des Wackelkurses gestellt. In der parlamentarischen Kommission, die eine Verfassung für das vereinigte Deutschland erarbeiten sollte, stellte der rechtspolitische Sprecher der Partei und evangelische Theologe Wolfgang Ullmann den Antrag, in der Präambel des Grundgesetzes auf die Bezugnahme auf Gott zu verzichten. Darüberhinaus sollten die bisherigen Kirchenartikel 140 und 141, die auf die Gültigkeit der Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung verweisen, und der Absatz über den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen gestrichen werden. Ein neuer Artikel 9a sollte die Trennung von Staat und Kirche festschreiben. Außerdem forderte Ullmann die Ablösung der Staatsleistungen und die Kündigung der Kirchenverträge und Konkordate ein. In der Begründung seiner Forderungen führte der Bündnis 90-Abgeordnete aus, daß es "mit einem modernen pluralistischen Staatsverständnis" nicht vereinbar sei, "die Bezeugung religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen mit einem Erhalt überkommener Privilegien zu verknüpfen". Der gesellschaftliche Wandel und die demographischen Veränderungen legten es nahe, die über siebzig Jahre alten Regelungen zu revidieren.

In der Sitzung der Verfassungskommission kam es darüber zu keiner richtigen Debatte6. Vertreter der Sozialdemokratie und der Liberalen erklärten zwar ihre Sympathie für einige der Punkte, meinten aber zugleich, die Zeit sei zu knapp, das Staatskirchenrecht umfassend zu reformieren; die Christdemokraten hielten sich zurück. Der Presse gegenüber ließen die Amtskirchen und ihre politischen Fürsprecher hingegen kein gutes Haar an dem Ansinnen. Ohne auf die Argumentation einzugehen, wurde da "entschieden und heftig" widersprochen, die "Kooperation" von Staat und Kirche beschworen, wurden die "christlichen Grundlagen" des Staates behauptet und die Menschenrechte mit der "Botschaft Christi" identifiziert. Doch anders als in den Jahren vorher blieben die Grünen diesmal trotz des Gegenwindes auf Kurs. Zwar gab es auf dem Programmparteitag noch einen Gegenantrag der Christinnen und Christen in den Grünen, der vor allem in der Frage der Kirchensteuer wachsweiche Formulierungen enthielt, letztlich setzten sich jedoch die Anhänger einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche durch und ein entsprechender Abschnitt wurde ins Bundestagswahlprogramm übernommen. Dort wurde die "aus vordemokratischer Zeit stammende Verquickung kirchlicher und staatlicher Aufgaben" kritisiert und für die Bereiche Militärseelsorge, Religionsunterricht, kirchliches Arbeitsrecht und Kirchensteuer eine Veränderung des Status quo gefordert7.

Bündnisgrüner Verfassungsentwurf:

Artikel 9a
(Kirchen und Religionsgesellschaften, Weltanschauungsgemeinschaften)

(1) Staat und Kirche sind getrennt.
(2) Die Freiheit der Kirchen und Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der Verfassung und der für alle geltenden Gesetze. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kirchen und Religionsgesellschaften gilt das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht.
(3) Kirchen und Religionsgesellschaften sind gleichgestellt, ebenso Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.

Im Juni gab die grüne Bundestagsgruppe dann ein Faltblatt heraus, in dem die zentralen Thesen nochmals argumentativ untermauert wurden8. Als der CSU-Europa-Abgeordnete Ingo Friedrich in der heißen Phase des Wahlkampfes das Papier scharf und sachlich unqualifiziert angriff, blieben Bündnis 90/Die Grünen gelassen. Friedrichs rhetorische Frage, ob die Partei für "Christen beider Konfessionen ... überhaupt noch wählbar" sei, konterte Ullmann mit einem deutlichen Bekenntnis zu einer an demokratischen Maßstäben orientierten Kirchenpolitik. Dies dürfte freilich nicht allein darauf zurückzuführen sein, daß die Mehrheit der Grünen mittlerweile erkannt hat, daß eine solche Position zwingend zum Image einer radikaldemokratischen Partei gehört. Vielmehr zeigt sich darin endlich eine realistische Einschätzung ihres Wählerpotentials. Denn die Zahl der Grünen-Wähler in kirchenorientierten Kreisen war nie besonders hoch, nach den Kirchenaustrittswellen seit Beginn der 1990er kann Kritik von Seiten der Kirchen-Hardliner ohnehin kaum noch schaden.

Das gewandelte Selbstbewußtsein der Grünen in dieser Frage wird auch an der Reaktion von Realo-Häuptling Joschka Fischer auf Angriffe des Fuldaer Bischofs Johannes Dyba, der die Partei ebenfalls als unwählbar bezeichnete, deutlich. Achselzuckend erklärte der erste grüne Minister, daß solche Äußerungen eher nützlich seien. Der "Bannstrahl" aus Fulda sei in politischen Fragen nicht ernst zu nehmen9.

gs

Anmerkungen: