Angebot an die Kirchen?

Angebot an die Kirchen?

Immer mehr spricht für uns. SPD
(SPD-Aufkleber)

Aus: MIZ 3/91

Viele Konfessionslose, die sich in einer politischen Partei betätigen wollen, in der Hoffnung, mit deren Hilfe ihre Forderungen durchzusetzen, stehen vor dem Problem, welche Partei denn dafür in Frage käme. Dazu muß man wissen, wie sich die Parteien zum Verhältnis Staat/Kirche verhalten.

Nach der PDS (MIZ 3-4/90, S.53f) wollen wir diesmal die SPD unter die Lupe nehmen, die z. B. in Hessen als Oppositionspartei die Änderung des CDU-Kindergartengesetzes forderte, das freie (sprich: kirchliche) Träger ungleich höher bezuschußt, als kommunale. Das hatte sogar zur Folge, daß manche Kommune ihre städtischen Kindergärten an kirchliche Träger übergab (1). Jetzt selbst an der Regierung, bleibt abzuwarten, ob die SPD das Nötige unternimmt, um diesen Mißstand zu beseitigen.

In Deutschland gibt es z. Zt. schätzungsweise 25 Prozent Konfessionslose. Müßte sich eine Partei nicht dieses Wählerpotentials annehmen?

"Der Demokratische Sozialismus in Europa hat seine geistigen Wurzeln im Christentum und in der humanistischen Philosophie, in der Aufklärung, in Marxscher Geschichts- und Gesellschaftslehre und in den Erfahrungen der Arbeiterbewegung."(2)

Nichtsdestotrotz erinnern sich Sozialdemokraten wohl nur ungern dieser Wurzeln und beschränken sich heute darauf, einspurig zu fahren: "Deshalb suchen Sozialdemokraten (...) die Zusammenarbeit mit Kirchen, Religionsgemeinschaften und kirchlichen Gruppen."(3)

Warum fehlt hier der Begriff "Weltanschauungsgemeinschaften? Sind für die SPD Konfessionslose, Atheisten, Humanisten, Freidenker usw. in diesem Zusammenhang nicht relevant? Warum äußert sich die SPD nicht zu Andersdenkenden? Ach ja - beinahe hätten wir's übersehen: "Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden.(4)" Da steht doch im Grundgesetz schon etwas mehr!

Wir wollten es genauer wissen und stellten der SPD die folgenden Fragen:

1) Was unternimmt die SPD zur Trennung von Staat und Kirche?

2) Wie steht sie zur praktizierten Finanzierung von rein innerkirchlichen Belangen (wie z. B. Theologische Fakultäten, Militärseelsorge, Konfessionsschulen und Religionsunterricht) durch Steuergelder?

3) Was unternimmt sie zur Wahrung der weltanschaulichen Neutralität an Gemeinschaftsschulen? Wie vertritt sie dabei Konfessionslose und Nichtchristen bei der Durchsetzung ihrer grundgesetzlich garantierten Rechte?

Der nachstehend im Original abgedruckte Brief ist die Antwort der SPD auf diese drei Fragen!

Rolf Heinrich

Anmerkungen:


(Aus technischen Gründen wird der Brief hier nicht im Original, sondern im Wortlaut wiedergegeben:)

Sehr geehrter Herr Heinrich,

Ihr Schreiben vom 24. 3. 1991 ist mir vom SPD-Unterbezirk Main-Kinzig zur Beantwortung zugeleitet worden. Ich komme dem gerne nach und übermittle Ihnen zunächst das im Dezember 1989 in Berlin verabschiedete neue Grundsatzprogramm der SPD, in dem Sie auf Seite 48 auch eine Aussage zum Verhältnis der SPD zu Kirchen und Religionsgemeinschaften finden.

Wie schon im Godesberger Programm, wird auch hier die Rolle der Kirchen im gesellschaftlichen Dialog positiv gewertet, der Wunsch nach Dialog und Zusammenarbeit ausgedrückt und insbesondere die rechtliche Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Grundgesetz anerkannt.

Es ist Ihnen zuzustimmen: die grundgesetzliche Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche ist vom Prinzip der Trennung von Staat und Kirche geprägt. Allerdings ist dieses Prinzip nicht radikal durchgeführt; bestimmte Aufgaben werden im Überschneidungsfeld geregelt. Es gehören hierzu die Verankerung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen (Art. 7), aber auch die in Art. 140 übernommenen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung zu Religion und Religionsgemeinschaften, worin u. a. die Stellung der Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts und die staatliche Mitwirkung ("bürgerliche Steuerlisten") bei der Erhebung der Kirchensteuer festgelegt sind. Wenn wir also die rechtliche Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften entsprechend dem Grundgesetz anerkennen, sind auch diese Positionen mit gemeint. Die SPD hat in ihren Anfangszeiten ein sehr viel strikteres Verständnis der Trennung von Staat und Kirche verfochten. Aber schon die Entscheidungen der Weimarer Nationalversammlung von 1919 sind mit den Stimmen der SPD getroffen worden. Seit dem Godesberger Grundsatzprogramm bemüht sich die SPD, die frühere skeptische Ferne zu Kirchen und Religionsgemeinschaften durch ein Verhältnis des Vertrauens und des Dialogs zu ersetzen. Es versteht sich, daß die rechtliche Stellung der Kirche, so wie sie von den Sozialdemokraten anerkannt wird, mit den Prinzipien weltanschaulicher Neutralität des Staates vereinbar sein muß.

Es wäre mir leid, wenn diese im Laufe der Geschichte erkämpfte Öffnung der SPD zum Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften Sie abhalten könnte, unserer Partei beizutreten. Eine Parteimitgliedschaft macht Sinn auf Grund der Übereinstimmung in wichtigen politischen Zeiten. Dies kann nie eine 100%ige Übereinstimmung sein.

Im neuen Grundsatzprogramm finden Sie ausgedrückt, was wir Sozialdemokraten als zentrale politische Handlungsfelder ansehen und was wir jeweils dafür tun wollen. Ich glaube, das politische Konzept der SPD für den Frieden, für soziale und ökologisch verantwortliches Wirtschaften, für Gerechtigkeit und Freiheit, für die Gleichstellung von Mann und Frau, könnten überzeugende Übereinstimmungsfelder für ein politisches Engagement sein. Ich wäre froh, wenn Sie sich zu einer Unterstützung unserer Arbeit entschließen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Burkhard Reichert
Anlage