2003 - Meldungen 3261-3289

2003 - Meldungen 3261-3289 rhartmann Mi, 2003-12-31 09:00

Europa

Deutschland

  • (3261) Berlin. Nur noch 39 Prozent der Deutschen, so wollen Meinungsforscher einer Online-Umfrage "Perspektive Deutschland" herausgefunden haben, bezeichnen sich als religiös. 36 Prozent stuften sich als Atheisten oder als eher nicht-religiös ein. Während Kardinal Karl Lehmann die Zahlen als "dramatisches Ergebnis" deutete, sehen es Religionssoziologen gelassener als Ausdruck einer säkularisierten Gesellschaft. Zwar kommen die beiden Großkirchen noch immer auf die stolze Zahl von 53 Millionen Mitgliedern (Katholiken: 26,66 Millionen; Protestanten 26,34 Millionen), aber vor allem im Osten gewinnt eine neue, "dritte Konfession", die der Konfessionslosen, an Boden. 22 Prozent der Deutschen glaubten, auf Religion verzichten zu können - meldete schon zu Jahresbeginn eine Allensbach-Studie.

    Statistiken sagen allerdings wenig aus über die tatsächliche Gläubigkeit. Konfessionslos gleich religionslos - diese Gleichung geht nicht auf. Jeder fünfte Konfessionslose in der "alten" Bundesrepublik, so hat der Pastoralsoziologe Michael Ebertz herausgefunden, betrachtet sich durchaus als religiös - in den "neuen Ländern" sind es acht Prozent. Und wer sich als "nichtreligiös" zu erkennen gibt, muss nicht unbedingt ein überzeugter Atheist sein. Umgekehrt können sich aber auch Protestanten und Katholiken durchaus als "nichtreligiös" verstehen. Professor Ebertz, der an der Katholischen Fachhochschule Freiburg lehrt, überraschte mit einem deutschen Ost-West-Vergleich: Von den Katholiken in Ostdeutschland bezeichnen sich demnach 95 Prozent als "religiös", im Westen sind es nur 66 Prozent. Außerdem: Nicht einmal drei Viertel der deutschen Katholiken beantworte die Gottesfrage mit Ja. Zwar fänden Vorstellungen, die Gott als (persönlichen) Schöpfer annähmen, unter Katholiken noch die höchste Zustimmung. Aber mittlerweile seien es doch mehr als 40 Prozent unter ihnen, die nicht an einen Schöpfer glaubten. Nur bei einem Viertel der Katholiken, so die Analyse von Ebertz, gehöre das Beichtsakrament noch zum festen Glaubensbestand. Selbst 20 Prozent der Kirchentreuen glaubten überhaupt nicht oder eher nicht an ein Leben nach dem Tod oder an die Auferstehung. Die Auferstehungsgläubigen sind damit zu einer Minderheit (45 Prozent) unter den Katholiken in Deutschland geworden, wenn auch nicht eine so krasse Minorität wie unter den evangelischen Christen (27 Prozent).

    In Ostdeutschland ist die Erosion des christlichen Glaubens am gravierendsten. Nach der internationalen Wertestudie aus dem Jahr 1990 hatten sich 32 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern als religiös eingeschätzt und 37 Prozent als areligiös, 17 Prozent nannten sich atheistisch. 1999, bei der letzten derartigen Studie, bezeichneten sich nur noch 29 Prozent als religiös, der Anteil der Areligiösen stieg um zwölf Punkte auf 49 Prozent und der der Atheisten auf 22 Prozent (Die Welt, 28.4.03)

  • (3262) Greifswald. Die Evangelischen Kirchen vor allem im Osten Deutschlands verlieren immer mehr Mitglieder. Allein in Vorpommern schrumpfte die Mitgliederzahl der Pommerschen Evangelischen Kirche von 700 000 im Jahr 1958 auf rund 120 000 im Jahr 2003. Mitten im "Tal der Konfessionslosen" wagen Theologen jetzt einen kühnen Schritt. In Greifswald, traditionsreicher Bischofssitz der Kirche, soll Deutschlands erstes "wissenschaftliches Missionsinstitut" entstehen. Spätestens zum Sommersemester 2004 werden Theologiestudenten und gestandene Pfarrer in diesem Institut der Greifswalder Universität lernen, wie man hart gesottenen Atheisten im eigenen Land erfolgreich das Evangelium verkündet. Der designierte Direktor und Theologieprofessor Michael Herbst versteht die missionarische Ausbildung als eine "Grundqualifikation".

    Statt in Burundi, China oder Kenia sollen nach dem Willen der Kirchen deutsche Missionare also künftig verstärkt in Pasewalk, Annaberg-Buchholz oder Neuruppin den Glauben an Jesus Christus vermitteln. Lange haben sich die Kirchen im Osten in der Überzeugung gewähnt, dass die Menschen sich nach der Wende wieder Gott zuwenden würden. Ein Trugschluss, wie sich herausstellte. Die Konfessionslosigkeit im Osten habe sogar einen ganz eigenen Charakter, stellt der Westfale Herbst nach sieben Jahren Ost-Erfahrung fest. "In der dritten Generation ohne Bindung an die Kirche sind Vokabular und Grammatik der Religion ausgelöscht." Deshalb sollen die Studenten eine kommunikative Kompetenz erwerben, die sie zum Umgang mit nicht kirchlich gebundenen Menschen befähigt, sagt Herbst. Vor allem aber sollen gemeindliche Angebote erarbeitet werden, die auch Konfessionslosen Antworten auf wichtige Fragen der Zeit geben. (Schweriner Volkszeitung, 27.1.03)

    Anm. MIZ: Auf diese "Angebote, die auch Konfessionslosen Antworten auf wichtige Fragen der Zeit geben", sind wir wirklich gespannt! Auf jeden Fall werden wir dieses "wissenschaftliche Missionsinstitut" (wozu doch die "Wissenschaft" heutzutage alles herhalten muss!) im Auge behalten. Bei Bedarf stellt sich die MIZ-Redaktion auch gerne als "wissenschaftlich-missionarisches" Versuchsobjekt zur Verfügung?

  • (3263) Karlsruhe. Kirchen müssen für ungerechtfertigte, abwertende Äußerungen ihrer Sektenbeauftragten über Dritte haften. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in einem Prozess gegen die Diözese Bamberg, dass öffentlich-rechtlich verfasste Kirchen wegen ihres erhöhten Einflusses in Staat und Gesellschaft eine größere Sorgfaltspflicht treffe. Sektenbeauftragte dürften keine folgenschweren Warnungen äußern, "ohne sich zuvor hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Abqualifizierung verschafft zu haben".

    Der BGH wies ein Verfahren um Schadenersatzansprüche eines Psychotherapeuten an das Oberlandesgericht Nürnberg zurück. Der auch als Heilpraktiker und Sozialpädagoge ausgebildete Kläger hatte Einzel- und Gruppentherapien veranstaltet, in denen eine neuartige "Reittherapie" angeboten wurde. Ein bei der Diözese angestellter Sektenbeauftragter hatte den Mann seit Jahren wiederholt als "Sektenführer" bezeichnet und von einer "eindeutigen Psychosekte" gesprochen. In Artikeln und einer Rundfunksendung war von einer etwa 200 bis 300 Personen starken, hierarchisch strukturierten Gruppe die Rede, in der es Gruppendruck und Abhängigkeiten gebe.

    Der Therapeut sagte, er habe seine Klientel in keiner Weise organisiert und keine Weltverbesserungsideologie verfolgt. Er und ein Kollege machten einen Schaden in Millionenhöhe geltend, von dem ein kleiner Teil eingeklagt wurde. Die Kampagne habe zu erheblichem Verdienstausfall durch das Ausbleiben von Klienten, zur schweren Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und zu einem Gesundheitsschaden geführt. Eine Querschnittslähmung sei Folge der Rufschädigung.

    Der BGH stellte klar, dass öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften im Wege der Amtshaftung für schuldhafte Pflichtverletzungen ihrer Bediensteten einstehen müssten. Im öffentlichen Meinungskampf hätten sie mehr als jeder Bürger auf das Persönlichkeitsrecht und die wirtschaftliche Existenz anderer zu achten. Bei amtlichen Äußerungen werde zwar keine Neutralität verlangt, wohl aber "ein angemessener Grad an Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit". (Süddeutsche Zeitung, 25.2.03)

  • (3264) München. Die umstrittene Ausstellung "Körperwelten" ist doch eröffnet worden - allerdings in stark zensierter Form. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte kurzfristig das von der Stadt verhängte Verbot mit einer Art "Jein" zwar aufgehoben: Aber alle spektakulären Exponate durften nicht gezeigt werden. Auch der Souvenirverkauf war untersagt, abgesehen von Katalogen und Videos. Damit wurde alles aus dem Blickfeld der Besucher geräumt, was umstritten ist. Der 10. VGH-Senat hat in seinem Beschluss deutlich gesagt, dass Plastinate auf jeden Fall Leichen im Sinne des Bestattungsrechts seien. Anhand des Kataloges und von Videos haben die Richter die Ausstellung begutachtet und festgestellt, dass einige Bereiche zur populärwissenschaftlichen Vermittlung anatomischer Gegebenheiten geeignet sind. Im Sinne der Wissenschaftsfreiheit sei der didaktische Einsatz eines Leichnams als Mittel der Erkenntnis der Menschheit über sich selbst legitim - auch unter dem Blickwinkel der Menschenwürde. Der Einsatz von Toten zu künstlerischen Zwecken erschien den Richtern dagegen "höchst problematisch".

    Sie gingen deshalb das Angebot des Veranstalters zur Selbstzensur ein: Gunther von Hagens hatte nämlich in letzter Minute dem Gericht vorgeschlagen, besonders umstrittene Plastinate nicht zu zeigen. Dazu gehören unter anderem: der "Prayer", das "mystische Plastinat Harry Potter", der "Torwart nach unten", die "total expandierten Körper", der "Schubladenmann" sowie der "Fechter". Damit seien die unter dem Aspekt der Menschenwürde "durchaus problematische Plastinate" weggefallen, befanden die Richter. In anderen Fällen verlangten sie die "Entschärfung" der Präsentation: Etwa der "Basketballspieler" muss ohne Ball gezeigt werden. "Der Senat vermochte aber auch bei dem 'Scheuenden Pferd mit Reiter' kein wirklich didaktisches Anliegen zu erkennen." Dass es angeblich um den Vergleich zwischen Pferd und Mensch gehe, kritisierte er als "oberflächlich und vorgeschoben". Dieses Plastinat durfte deshalb ebenfalls nicht ausgestellt werden.

    Dem gegenüber erschien den Richtern der "Läufer" wegen des besonderen Anliegens, sowohl den Knochenapparat als auch die Muskulatur in der Dynamik der Bewegung festzuhalten, "noch tragbar". Gleiches gelte für den "Lassowerfer" sowie das "Ganzkörperplastinat mit Haut". Das Gericht: "Bei letzterem vermag die Gegenüberstellung von Haut und darunter liegendem Körper die gewählte Darstellung gerade noch zu rechtfertigen." Die "zwei schwangeren Frauen" mit offenem Blick auf den Fötus sehen die Richter dagegen "von dem pädagogischen Zweck getragen, die Entwicklung des vorgeburtlichen Lebens in enger Verbundenheit zwischen der Schwangeren und dem heranwachsenden Kind zu vermitteln" (sic!!). Der VGH ging aber auch auf die "von vielen Seiten zu Recht monierte" Werbestrategie von Hagens ein. Vor allem die "Geschmacklosigkeit", für eine Illustrierten-Reportage nachts mit plastinierten Leichen durch München zu touren, könne sogar strafrechtlich relevant sein, stellte der Senat fest. Zwar rechtfertige dieses "fragwürdige Verhalten" kein Totalverbot. Aber "solche Verhaltensweisen im Umgang mit Leichen können Anlass geben, dagegen im Einzelnen vorzugehen" (Süddeutsche Zeitung, 21.2.03)

    Anm. MIZ: Seltsamerweise hat das hohe Gericht die Ausstellung von Reliquien (u.a. Leichenteile sog. "Heiliger") in katholischen Kirchen nicht bemängelt. Wahrscheinlich weil sie einen so enormen Beitrag zur "populärwissenschaftlichen Vermittlung anatomischer Gegebenheiten" leisten?

  • (3265) Essen. Wegen des anstehenden Umzugs von Coca Cola von Essen nach Berlin hat der Betriebsratschef des Unternehmens, Gerhard Eisel, Mitarbeitern, deren Job wegfällt, einen Kirchenaustritt empfohlen. Die Mitarbeiter könnten so eine höhere Abfindung erzielen, begründet Eisel. Die Kirchen reagierten empört, signalisierten aber Entgegenkommen. Betroffenen, die der Kirche treu bleiben, wollen sie bei der Abfindung einen Großteil der Kirchensteuer erlassen. (Süddeutsche Zeitung, 23.2.03)

  • (3266) Düsseldorf. Zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit erging im Dezember 2002 ein skurriles, bei genauerer Betrachtung jedoch sehr viel sagendes Urteil, das möglicherweise noch weitreichende Folgen haben wird. Und zwar verurteilte das OLG Düsseldorf einen Steuerberater, weil dieser "den ihm obliegenden Beratungspflichten schuldhaft nicht nachgekommen" sei. Sein Vergehen: Er hätte von sich aus seinen Mandanten, einen Geschäftsmann, darauf hinweisen müssen, dass dieser eine höhere Gewinnausschüttung erzielen könnte, wenn er nicht der Kirche angehören würde. "Bei einer ordnungsgemäßen Beratung", so das Gericht, hätte sich der Mandant wahrscheinlich für einen Kirchenaustritt entschieden. Der Verurteilte muss seinem Mandanten nun die Kirchensteuer ersetzen.

    Da das OLG eine Revision nicht zuließ, werden sich kluge Kollegen des gestraften Steuerberaters auf einen neuen Sachverhalt einstellen müssen. Von nun an wird wohl die Gretchenfrage am Anfang jedes ordentlichen Fiskalgespräches stehen: "Also, bevor wir uns mit dem Kinderfreibetrag beschäftigen: Mandant, nun sag, wie hast du's mit der Religion?"

    Interessant ist die Begründung des Urteils. Offenbar ist es dem Geschäftsmann gelungen, glaubhaft zu versichern, dass er zuvor nichts von der Existenz der Kirchensteuer gewusst habe. Das Gericht erklärte, dass die Mitgliedschaft in der Kirche (Taufe) "ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen" erfolgt sei. Die lange Zeit, die seit Beginn seiner Mitgliedschaft in der Kirchensteuergemeinschaft vergangen sei, sei nicht im Sinne eines "schweigenden Einverständnisses" mit der "drohenden Kirchensteuerlast" zu deuten. (Süddeutsche Zeitung, 20.5.03)

    Anm. MIZ: Es ist zweifellos richtig, dass die durch die Taufe hervorgerufene Aufnahme in eine exklusive Steuergemeinschaft rechtlich höchst fraglich ist, da dieser finanziell durchaus folgeträchtige Akt in der Regel ohne bewusste Mitwirkung des Steuerpflichtigen in spe erfolgt. Die Unterstellung, der 48-jährige Kläger habe zuvor noch nie etwas von der Exis-tenz der Kirchensteuer gehört und bedürfe daher der Aufklärung durch den Steuerberater, klingt aber doch etwas merkwürdig. Entsprechend süffisant fiel auch der Kommentar der Süddeutsche Zeitung aus: "Der Mensch, lässt sich folgern, wird ungefragt getauft und danach von den Verhältnissen daran gehindert, sich an seine Taufe zu erinnern - bis ein Steuerberater ihn aus dem Schlaf der Ahnungslosigkeit weckt."

  • (3267) Mainz. Weil sie sich weigert, ihre Vollverschleierung abzulegen, erhält eine junge Muslimin künftig keine Sozialhilfe mehr. Dies geht aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz hervor. Die Begründung des Gerichts: Wegen der Vollverschleierung sei die Frau auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar. Da sie sich weigere, dieses "Vermittlungshindernis" zu beseitigen, habe sie ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt (Az.: 1 L 98/03.MZ). Das Urteil bestätigte die Stadt Mainz in ihrer Weigerung, der Muslimin weiterhin Sozialhilfe zu zahlen. Die Frau tritt in der Öffentlichkeit stets voll verschleiert auf, indem sie ihren gesamten Körper mit einem schwarzen Kleid bedeckt, schwarze Handschuhe sowie ein Kopftuch und einen Schleier vor ihrem Gesicht trägt. (Frankfurter Rundschau, 7.3.03)

  • (3268) Berlin. Bei der großen Friedensdemonstration am 15. Februar in Berlin zeigte die Analyse einer Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin, dass die meisten der 500.000 Demonstranten ziemlich gottlos waren. 1400 Fragebögen hatten die Politforscher an unterschiedlichen Punkten des Protestzugs verteilt. Jeder zweite Bogen kam ausgefüllt zurück. Das Ergebnis: Mit einem Anteil von 65 Prozent waren überdurchschnittlich viele Teilnehmer ohne jede Religionszugehörigkeit. Überwiegend verorteten sie sich politisch links. Fast 53 Prozent würden Grün wählen, 21 Prozent SPD, 20 Prozent PDS. CDU und FDP erhielten keine zwei Prozent. Noch frappierender war der Bildungsgrad der Friedensdemonstranten. Gut Dreiviertel von ihnen hatte Abitur. Die Hälfte konnte sogar einen Hochschulabschluss vorweisen. Auch die These, der drohende Irak-Krieg habe viele erstmals auf die Straße getrieben, relativierten die Forscher. Nur 22 Prozent hätten sich in den vergangenen fünf Jahren nicht an Demonstrationen beteiligt. (Frankfurter Rundschau, 14.3.03)

  • (3269) Rüsselsheim. "Damit hat die Islamische Föderation auf der ganzen Linie verloren", erklärte der aus Rüsselsheim stammende SPD-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun nach einem für ihn positiven Entscheid des Landgerichts Berlin. Das hat jener in Berlin ansässigen Föderation untersagt, "unwahre und verleumderische Behauptungen" über Ceyhun zu verbreiten. In der von dem aus der Türkei stammenden SPD-Politiker herausgegebenen Broschüre Politik im Namen Allahs werden kritisch die Verbindungen islamischer Gruppen hierzulande zu politisch extremistischen und auch fundamentalistischen Gruppierungen aufgezeigt. Deswegen war Ozan Ceyhun mit einer Vielzahl gerichtlicher und auch außergerichtlicher Verfahren überzogen worden. Dazu zählten auch die Bemühungen der islamischen Förderation in Berlin. Nunmehr hat der Rüsselsheimer Europaabgeordnete nach eigener Auskunft alle Verfahren gewonnen. Alle gegen ihn erhobenen diffamierenden Behauptungen seien untersagt worden. Durch jene Behauptungen fühlte sich Ceyhun als Terrorist und Straftäter diffamiert. Weil außerdem seine Privatanschrift in Rüsselsheim in diesem Zusammenhang veröffentlicht worden war, waren Ceyhun und seiner Familie wochenlang unter Polizeischutz gestellt worden. Denn Übergriffe gegen ihn und seine Familie konnten nicht ausgeschlossen werden. Ceyhun wurde wegen alledem gerichtlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro zugebilligt. Nach Abzug seiner Prozesskosten will er den übrig bleibenden Betrag einer Organisation spenden, die sich für Frauenrechte in der islamischen Gesellschaft einsetzt. (Frankfurter Rundschau, 17.3.03)

  • (3270) Dortmund. Priester und Nonnen misshandelten in den fünfziger und sechziger Jahren Tausende Jugendliche, die ihnen in Heimen anvertraut waren. 1960 trimmten katholische und evangelische Erzieher in rund 3000 Heimen mit 200.000 Plätzen die ihnen Anvertrauten. Sobald sich die Tore der konfessionellen Besserungsanstalten hinter ihnen schlossen, mussten viele von ihnen schmerzhaft erfahren, was damals Buße bedeutete: Misshandlungen, Ungerechtigkeiten, soziale Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen im Namen Gottes und der Kirche, die bis heute unangeklagt und damit ungesühnt sind.

    Erst ein Kinofilm beendete vor kurzem die Sprachlosigkeit der Opfer: The Magdalene Sisters des britischen Regisseurs Peter Mullan über die Demütigungen und Qualen "gefallener Mädchen" in katholischen Magdalenen-Heimen Irlands. Viele ehemalige Heimkinder verstanden die Botschaft des Films, begriffen, dass die Traumata ihrer Kindheit auch deshalb oft noch heute andauern, weil es hier zu Lande keine Aufarbeitung ihres Schicksals gegeben hat. Jetzt wollen sie reden über jene, die sie heute noch in ihren Träumen verfolgen und die der deutsche Filmtitel benennt: "Die unbarmherzigen Schwestern".

    In Amerika und England verlangen seit kurzem ehemalige Opfer katholischer Heime Entschuldigung und Wiedergutmachung. Sollten sich auch die deutschen Heimkinder dazu entschließen, müssen sie sich wohl auf einen schweren Kampf gegen die Institution Kirche einrichten. Der Vatikan reagierte bislang ähnlich abweisend wie vor zehn Jahren, als die ersten Missbrauchsvorwürfe gegen Priester laut wurden. Und bei der Deutschen Bischofskonferenz, den Ordensgemeinschaften, bei Caritas und Diakonie will man angeblich nicht wissen, was jahrzehntelang unter ihrer Verantwortung geschehen ist.

    Nur ein Fall unter vielen: das Heim der "Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vincenz von Paul", Dortmund. Den Fluch der Erbsünde bekämpften die Schwestern in Dortmund vor allem mit akkordähnlicher Arbeit. Gisela Nurthen wurde schon bald in jenen Trakt beordert, in dem Dutzende Mädchen mit gesenktem Blick nähten und stopften, wuschen, mangelten und bügelten. Dabei herrschte Sprechverbot, nur Marienlieder waren erlaubt. Arbeitsbeginn war sechs Uhr. Bis zu zehn Stunden schuftete die 15-Jährige fortan im immer gleichen Takt - erst beten, dann mangeln. Schon die geringsten Verfehlungen, erinnert sich die Frau, hätten Schläge oder andere Bestrafungen durch die Nonnen nach sich gezogen. "Wir wurden nummeriert und durften nur in Zweierreihen durchs Haus marschieren - zur Kirche, zur Toilette, zum Essen." Als sie im Schlafraum ein Elvis-Lied summte, musste Nurthen zur Einzelhaft in die "Klabause", eine Isolationskammer mit Pritsche und Eimer.

    Die hauseigene Großwäscherei war für die Schwestern ein lukratives Geschäft. Dortmunder Hotels, Firmen, Krankenhäuser und viele Privathaushalte zahlten gut - und fragten nicht, wer da fürs Reinwaschen missbraucht wurde. "Die Kunden bekamen uns nie zu sehen, es gab einen Abholraum, zu dem war uns der Zutritt streng verboten." Lohn für die Mädchen gab es keinen, nicht mal Taschengeld - und als Folge auch keinen Rentenanspruch für diese Jahre. "Wir waren jugendliche Zwangsarbeiter", sagt Gisela Nurthen. "Jede Minute des Tages wurden wir bewacht, auch während des Entkleidens zur Nacht, jede Schamgrenze wurde verletzt. Sie spielten mit Schlüsseln oder Rosenkränzen und fixierten unsere jungen Körper." Die "Barmherzigen Schwestern" referierten dann gern darüber, wie man sich wirklich "unten reinwäscht", und kontrollierten es auch.

    Es gibt heute kaum noch zugängliche Unterlagen über die düstere Realität in den Erziehungsheimen. Auch Gisela Nurthen hat sich vergebens bemüht, irgendeine Spur ihrer Leidenszeit im Dortmunder Vincenzheim zu finden. Die Akten der beteiligten Institutionen - vom Jugendamt bis zum Vormundschaftsgericht - sind angeblich unauffindbar oder vernichtet worden. Die Geschädigten wollen dennoch nicht klein beigeben. Gemeinsam wollen sie die Konfrontation mit (den Peinigern) ihrer Vergangenheit suchen. (Der Spiegel 21/2001, 19.5.03)

  • (3271) Essen. Nach einer neuen Studie des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen ist die Integrationsbereitschaft von türkischen MigrantInnen seit den Anschlägen vom 11. September zurückgegangen. Dabei zeigten sich gegenläufige Entwicklungen: Während bei Jugendlichen schon seit längerem eine zunehmende Abkapselung zu beobachten sei, legten die Erwachsenen verstärkt Wert auf gute Kenntnisse der deutschen Sprache und eine Erfolg versprechende Ausbildung der Kinder. Als Veränderungen seit dem 11. September beschreibt die Studie des ZfT, dass 38 Prozent der Türken eine Verschlechterung im Verhältnis zu Deutschen empfinden und ein Drittel sich mehr als vorher fremd in Deutschland fühlen. Bei 25 Prozent bewirkten die Anschläge und deren Folgen, dass sie sich stärker mit dem Islam identifizierten. (REMID-Newsletter, 22.5.03)

  • (3272) Trier. Wegen ihrer Hochzeit mit einer Frau darf eine Pädagogin des Trierer Hindenburg-Gymnasiums künftig keinen Religionsunterricht mehr erteilen. Die 33-jährige Frau hatte selbst das Bistum über die "Homo-Ehe" informiert. Daraufhin entzog ihr das Generalvikariat die "Missio canonica". Ohne diese kirchliche Lehrbefugnis dürfen Katholiken auch an einer staatlichen Schule wie dem Trierer Hindenburg-Gymnasium keinen Religionsunterricht erteilen. Nach Angaben der Organisation Homosexuelle und Kirche (HuK) ist dies bundesweit erst der zweite Fall, bei dem einem katholischen Lehrer wegen einer eingetragenen Le-benspartnerschaft die Lehr-Erlaubnis entzogen worden sei. "Menschenverachtend und unbarmherzig", nennt die HuK das Vorgehen. Die deutschen Bischöfe sehen in der Homo-Ehe indes einen "schwerwiegenden Loyalitätsverstoß", der der katholischen Lehre über Ehe und Familie widerspreche. Der Entzug der Lehr-Erlaubnis hat für die Trierer Pädagogin allerdings keine schwerwiegenden Konsequenzen. Ab kommendem Schuljahr unterrichtet sie Ethik statt Religion. (Trierischer Volksfreund, 22.5.03)

  • (3273) Berlin. Neben dem islamischen und alevitischen Religionsunterricht wird es ab dem Schuljahr 2003/2004 in Berlin auch einen Bekenntnisunterricht für Buddhisten geben. An zwei Schulen soll das Pilotprojekt starten. Den Antrag dazu hatte die Buddhistische Gesellschaft Berlin (BGB) im Auftrag der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) am 19. Dezember 2002 an die Berliner Schulbehörde gestellt. Den Rahmenplan für den Unterricht der Klassen 1 bis 13 hat die AG Buddhismus und Schule in Berlin mit Unterstützung der DBU, der BGB und der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg auf Basis der Pläne für Österreich erarbeitet. In Berlin leben rund 6.000 SchülerInnen aus asiatischen Ländern. An sie sowie an alle anderen am Buddhismus Interessierten richtet sich das Angebot. Dabei gelten folgende Grundsätze: Kein Teilnehmer des Unterrichts muss zum Buddhismus konvertieren; angesichts der Vielfalt der buddhistischen Strömungen der Herkunftsländer von MigrantInnen sollen die gesamte Vielfalt buddhistischer Lehre vermittelt werden; andere Religionen und die Orientierung auf Dialog und Konfliktlösung sind Bestandteile des Unterrichts. Durch Evaluation unter Beteiligung der AG Buddhismus und Schule soll versucht werden, das Berliner Projekt zum Modell auch für andere Bundesländer zu machen. Die Ausbildung der LehrerInnen soll unter wesentlicher Einbeziehung der DBU länderübergreifend konzipiert werden - zurzeit denkt man an eine mehrjährige Zusatzausbildung von BuddhistInnen mit abgeschlossenem 2. Staatsexamen durch Selbststudium und Ferienkurse. Religiöse Grundlage bildet das Bekenntnis der DBU, durch das die verschiedensten Traditionslinien des Buddhismus von den Lehrkräften respektiert und entsprechend vermittelt werden sollen. Die DBU ist ein Zusammenschluss von 50 Gemeinschaften und Landesorganisationen, die den Anspruch vertritt, den Buddhismus in Deutschland, zunehmend einschließlich der Verbände von MigrantInnen, nach Außen zu repräsentieren. (REMID-Newsletter, 22.5.03)

  • (3274) Düsseldorf. In der Diskussion um die von CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers geforderte Ausländer-Quote an NRW-Schulen fordern die Grünen die Öffnung der kirchlichen Schulen für ausländische Kinder. "Vielerorts lehnen konfessionelle Schulträger noch immer die Aufnahme von Migrantenkindern ab", sagte die Grüne-Landtagsabgeordnete Sybille Hausmann. So gebe es etwa in Essen eine Grundschule mit einem Ausländeranteil von 97 Prozent. "An der gegenüberliegenden konfessionellen Schule liegt er unter zehn Prozent. Hier ist der Hebel anzusetzen", sagte Hausmann.

    Der IBKA hat dagegen darauf hingewiesen, dass eine solche "Öffnung" von Konfessionsschulen für anders- oder nichtgläubige Kinder auf eine "Bestands- und Ausweitungsgarantie des staatlichen Konfessionsschulunwesens zu Lasten der Gemeinschaftsschulen" hinauslaufen würde. Ohnehin bleibe ein solcher Appell an Kirche und Privatschulen politisch folgenlos - abgesehen davon, dass nun einzelne Politiker auch islamische Konfessionsschulen forderten. Das sei aus der "herrschenden Logik staatlicher Subvention weltanschaulicher Käseglocken" zwar konsequent, richte sich aber gegen die pluralen Bildungsinteressen der Schüler. (Süddeutsche Zeitung, 24.2.03; IBKA-Rundbrief, Mai 2003)

  • (3275) Berlin. Auf seiner Sitzung im März hat sich nun auch die Kultusminis-terkonferenz offiziell für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache ausgesprochen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) seien die Kultusminister von der Linie abgerückt, dass es für den Unterricht einen einheitlichen Ansprechpartner auf muslimischer Seite geben müsse, wenngleich die Muslime weiterhin angehalten werden, landesweite Religionsgemeinschaften zu bilden, die den Unterricht mittragen. Diskussionen wird es sicherlich weiter über die Inhalte geben. Nach Angaben der SZ präferierten die Kultusminister weiterhin das Fach Islamkunde, wie es in Nordrhein-Westfalen seit Jahren als Modellversuch eingerichtet ist. Diese Islamkunde betont jedoch den religionskundlichen Charakter und ist kein bekennender Religionsunterricht. Gleichwohl zeigen neuere Entwicklungen, dass über den Weg der Modellversuche an einigen Schulen eine Flexibilisierung und Regionalisierung einsetzt: In Rheinland-Pfalz und in Bayern wird es einen islamischen Religionsunterricht geben, der von örtlichen Initiativen getragen ist. Ungelöst ist hingegen weiterhin das Problem der Lehrerausbildung. Der erste Lehrstuhl für die Ausbildung islamischer Lehrer wird erst 2004 an der Universität Münster eingerichtet werden. (Süddeutsche Zeitung, 25.3.03; REMID-Newsletter, 22.5.03)

Frankreich

  • (3276) Paris. Die Idee gab es schon 20 Jahre, doch erst die konservative Regierung Frankreichs setzte das Projekt um: Im April diesen Jahres wurde der Französische Rat des moslemischen Kults (Conseil français du culte muselman, CFCM) gewählt. Der Rat soll zentraler Ansprechpartner für die französische Regierung sein. Dringlichstes Vorhaben ist eine Regelung zur Ausbildung von Imamen. Bislang werden sie noch zumeist aus den jeweiligen Herkunftsländern nach Frankreich entsandt, in Zukunft möchte die Regierung, dass in Frankreich ausgebildete Imame in den Moscheen auf Französisch lehren. Dieses Vorhaben gilt zugleich als wichtiger Baustein für die Etablierung eines "französischen Islam" auf den Grundlagen der Werte und Gesetze der französischen Republik. Weitere offene Fragen, die zwischen dem Islam-Rat und der Regierung geklärt werden sollen, sind der Bau von neuen Moscheen, die Berufung von islamischen Seelsorgern für Krankenhäuser und Gefängnisse, islamische Begräbnisstätten, die Zulässigkeit des rituellen Schächtens und nicht zuletzt die Auseinandersetzungen um das Kopftuch in staatlichen Einrichtungen.

    Es entspricht der Tradition des laizistischen Frankreichs - wie der vieler Staaten, in denen eine strikte Trennung von Religion und Staat etabliert ist -, dass die Regierung auf die Religion Einfluss nimmt. So hat der französische Innenminister bereits im Vorhinein ausgehandelt, wer Präsident des zu wählenden Islam-Rats sein soll: der liberale Vorsteher der algerischen Moscheegemeinde von Paris, Dalil Boubakeur. Nur ihn werde die Regierung wie auch das französische Volk als repräsentativen Ansprechpartner der fünf Millionen Muslime Frankreichs akzeptieren. Dafür holte sich die Regierung vorab die Unterstützung aus dem Ausland, aus dem bestehenden französischen islamischen Vereinigungen finanzielle und ideologische Unterstützung erfahren.

    Allerdings hat sich die Repräsentanz der gemäßigten algerischen Muslime im Islam-Rat nicht in der Weise widergespiegelt, die sich die Regierung und der designierte Ratsvorsitzende erhofft hatten. Nur sechs der 41 Sitze gingen an den algerisch dominierten Verband der Pariser Moschee. 16 Mandate errang die von Marokko unterstützte Nationale Föderation der Muslime Frankreichs (FNMF), und 13 Sitze entfielen auf die Union der Islamischen Vereine Frankreichs (UOIF), die als islamistisch gilt, da sie Verbindungen zu den arabischen Muslimbrüdern unterhält.

    Ob die vom französischen Staat erzwungene bzw. maßgeblich mitbestimmte nationale Vertretung der Muslime für andere Länder ein Vorbild ist, ist fraglich. Angesichts des Ergebnisses der Wahlen, die sich in den zeitgleich bestimmten Räten der Regionen ähnlich abbildeten, dürfte die Sorge von einem "islamistischen" oder "fundamentalistischen" Einfluss solcher Gremien gewachsen sein; Zeitungsberichte über die Wahlen in Frankreich heben genau auf diesen Punkt ab. Die Befürchtung, ein solch unerwünschtes Wahlergebnis könnte eintreten, hat frühere Regierungen das Projekt des einheitlichen Islam-Rates immer wieder verzögern lassen.

    Ob als Reaktion auf die nunmehr eher nicht genehme Vertretung der Muslime Frankreichs oder ob aus grundsätzlichen Erwägungen: der französische Innenminister Nicolas Sarkozy hat eine Woche nach der Wahl zum Islam-Rat den bereits so genannten "Schleier-Krieg" angezettelt. Auf einer Versammlung von 10.000 Anhängern der UOIF hat er angekündigt, dass zukünftig per Gesetz festgeschrieben sein soll, dass in amtlichen Identitätspapieren wie Personalausweis oder Führerschein der Inhaber - und vor allem die Inhaberin - mit unbedecktem Kopf zu sehen sein müsse. Ebenso gibt es Überlegungen, per Gesetz vorzuschreiben, dass in öffentlichen Gebäuden - vor allem in Schulen, Universitäten, Gerichtssälen - kein Kopftuch mehr getragen werden dürfe. Hierüber hat es in den vergangenen Jahren zahlreiche Gerichtsurteile gegeben. Meist gingen sie zu Gunsten der Kopftuchträgerinnen aus, da das Gebot der Trennung von Staat und Kirche das Tragen des Kopftuches so lange nicht verhindere, wie es nicht als Ausdruck von Unterdrückung oder religiöser Propaganda anzusehen sei. Während der Innenminister mit solchen Plänen bei den Muslimen auf heftigste Proteste trifft, gräbt er der rechtsextremen Nationalen Front Le Pens das Wasser ab und sichert der Regierung die Unterstützung derer, die immer wieder Angst vor Überfremdung und dem Untergang der französischen Kultur äußern. (REMID-Newsletter, 22.5.03)

Vatikan

  • (3277) Vatikanstadt. Was ist "safer sex"? Wie kann man die Formulierung "Schwangerschaftsunterbrechung" verstehen, und was bedeutet "die Pille danach"? Solchen und ähnlichen Fragen widmet sich ein jetzt vom päpstlichen Familienrat im Vatikan herausgebrachtes Lexikon. Das rund 900 Seiten dicke Werk soll kirchlichen Würdenträgern moralische Argumentationshilfen im neuzeitlichen Wörterdschungel geben. Deshalb befasst sich das Lexikon gezielt mit "zweideutigen und umstrittenen Begriffen über das Familienleben und ethische Fragen". In 78 Stichworten werden nach Meinung der Herausgeber verharmlosende Formulierungen zu Fragen der Abtreibung und der Geschlechterrollen behandelt, es geht um Homo-Ehen, sexuelle Erziehung und das Patriarchat. Unter den Autoren des Lexikons, das zunächst nur in italienisch vorliegt, in Kürze jedoch auch in Deutschland herauskommen soll, sind bekannte Namen wie der Münchner Kardinal Leo Scheffczyk und der päpstliche Haustheologe George Cottier.

    Das Buch sei "kein amtliches Moralbuch", sagt Erzbischof Karl-Josef Romer, der Sekretär des päpstlichen Familienrates. Entsprechend wurde das Lexikon im Vatikan auch nicht offiziell vorgestellt, obgleich der Buchtext von der päpstlichen Glaubenskongregation offiziös abgesegnet worden war. Doch wollen die Herausgeber den Bischöfen, kirchlichen Beratern und Seelsorgern vor Ort "Prinzipien für eine moralische Bewertung" im Themenbereich Familie und Bioethik an die Hand geben. In unserer heutigen Zeit sei so viel "Boshaftigkeit in den Worten", klagt Bischof Romer, "so viel zweideutiges Gerede, mit dem die unmenschlichsten Dinge schön verbrämt werden." Deshalb sei eine Klarstellung der Begriffe vonnöten.

    Beispiel Schwangerschaftsunterbrechung: "Das klingt doch, als würde der Strom mal kurz unterbrochen", meint Romer, dabei gehe es um die Tötung eines Menschen. Beispiel Diskriminierung: "Natürlich darf ich einen Homosexuellen nicht diskriminieren", so Romer, "ich muss ihn ernst nehmen als vollwertigen Menschen". Aber deshalb dürfe man die Homo-Beziehungen der Hetero-Ehe noch lange nicht gleichstellen - "das diskriminiert die Ehe". Im Buch wird die gleichgeschlechtliche Liebe hart angegriffen: Homosexualität sei eine "psychische Notlage" und "kein Rechtssubjekt", heißt es. Es handele sich dabei um ein "psychisches Problem" einer kleinen Minderheit.

    Italienische Homosexuellen-Verbände kritisierten die päpstliche Moralkeule bereits. Aber auch die deutsche Schwangerenberatung kommt in dem Lexikon nicht gut weg, der Verein Donum Vitae, so heißt es darin, sei jedenfalls "in keiner Weise von der Kirche anerkannt". (Süddeutsche Zeitung, 4.4.03)

Slowakei

  • (3278) Bratislava. Das Parlament der Slowakei hat die dortige Regierung beauftragt, einen Sondervertrag mit dem Vatikan über die Gewissensentscheidung seiner Bürger abzuschließen. Dies würde den Einfluss der katholischen Kirche stark erweitern. Auf Basis des geplanten Abkommens könnten zum Beispiel Ärzte die Teilnahme an einer Abtreibung in ihrem Spital ablehnen, ohne mit rechtlichen Folgen rechnen zu müssen. Auch Richter könnten sich weigern, Scheidungsfälle zu verhandeln, wenn das gegen ihr Gewissen ginge. Lehrer könnten eine gegen die Lehre der Kirche gerichtete Sexualaufklärung in den Schulen verhindern.

    Das Abkommen zur Gewissensfreiheit ist ein Pakt, den erstmals zwischen dem Vatikan und einem europäischen Staat geschlossen wird. Er hat viel weitreichendere Auswirkungen als alle Konkordate, die in den letzten Jahren mit Staaten wie Kroatien oder Litauen abgeschlossen wurden. Der Papst hat bei seinen Bemühungen um eine Re-Evangelisierung Europas verstärkt auf die Ausweitung seines Einflusses in den ehemals kommunistischen Ländern gesetzt. Zuletzt verlangte Polen im Rahmen seiner Beitrittsgespräche mit der EU eine Ausstiegsklausel bei all jenen EU-Entscheidungen, die Gesetze mit moralischen Implikationen betreffen. Kritiker sehen in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen dem Vatikan und den neuen Demokratien im europäischen Osten die politische Trennung von Kirche und Staat gefährdet. (kath.net, 24.4.03)

    Anm. MIZ: Ist die Slowakei auf dem Weg zurück ins Mittelalter? Es hat zumindest den Anschein. Ein Richter, der eher den moralischen Appellen des Papstes folgt als der Gesetzgebung seines Landes, hat auf seinem Posten nichts verloren.

Nordamerika

U.S.A.

  • (3279) Washington. Ein offizieller Gebets- und Fastentag soll den US-Soldaten im Irak nach Auffassung der Abgeordneten in Washington göttlichen Beistand sichern. Mit 346 gegen 49 Stimmen verabschiedete das Repräsentantenhaus einen Aufruf an Präsident George W. Bush, einen solchen Tag der Einkehr anzusetzen. "Ein Tag des Fastens und des Gebetes ist notwendig, um den Segen und den Schutz der göttlichen Vorsehung für das Volk der Vereinigten Staaten und unsere Streitkräfte während des Konfliktes in Irak und der Bedrohung durch den Terrorismus zu Hause zu sichern", heißt es in dem Text.

    Der Senat hatte zuvor bereits eine ähnliche Resolution beschlossen. Beide Kammern des Kongresses wiesen darauf hin, dass solche Appelle auch in anderen schweren Zeiten ergangen seien. So habe Präsident Abraham Lincoln 1863 während des amerikanischen Bürgerkriegs das Volk aufgefordert, "vor Gott Buße für die Sünden der Nation" zu tun. (Tagesschau, 28.3.03)

  • (3280) San Francisco. Ein US-Berufungsgericht hat den an US-Schulen geleisteten Treueschwur erneut für verfassungswidrig erklärt und damit eine Eingabe der Regierung von Präsident George W. Bush abgelehnt. Der Eid bringe Schüler in "die unhaltbare Lage", sich zwischen der Teilnahme an einem religiösen Akt oder dem Protest dagegen entscheiden zu müssen, begründete das Berufungsgericht von San Francisco im Bundesstaat Kalifornien sein Urteil. In der Schule stünden die Kinder schon wegen ihres Alters und ihrer Beeinflussbarkeit in einer Zwangssituation. Der Streit um den täglich von Millionen Schülern geleisteten Treueschwur könnte nun vor dem Obersten Gericht in Washington weitergehen. Im Juni vergangenen Jahres hatte das Berufungsgericht von San Francisco den 110 Jahre alten Treueschwur für verfassungswidrig erklärt und damit bei der Regierung in Washington einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. US-Präsident George W. Bush nannte die Entscheidung "lächerlich". Die Richter hatten erklärt, die Schwurformel "eine Nation unter Gott" verstoße gegen die in der Verfassung verankerte Trennung zwischen Kirche und Staat. Ein Atheist hatte dagegen geklagt, dass seine Tochter jeden Morgen an der Schwur-Zeremonie teilnehmen musste.

    In neun westlichen US-Bundesstaaten leisten jeden Tag Millionen Schüler zwischen fünf und elf Jahren vor der gehissten Fahne den Eid: "Ich schwöre Treue auf die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika und die Republik, für die sie steht, eine Nation unter Gott, unteilbar mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle." Dabei legen die Kinder die Hand aufs Herz.

    Der Baptistenprediger Francis Bellamy hatte den Schwur auf die Flagge 1892 zum 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus an Schulen verfasst. Die Formulierung "Nation unter Gott" wurde 1954 vom Kongress hinzugefügt. (Karlsruher Nachrichten, 1.3.03)

  • (3281) Pierre. Sechs Indianer vom Volk der Sioux haben eine Entschädigungsklage über 25 Milliarden Dollar gegen die US-Regierung wegen geistiger, körperlicher und sexueller Misshandlung von Schülern in Internaten für Ureinwohner eingereicht. Die sechs Kläger fordern die Entschädigung im Namen aller indianischen Schüler, die im 20. Jahrhunderts landesweit in den Internaten misshandelt worden sein sollen. Die meisten der Schulen wurden von Kirchen oder Religionsgemeinschaften betrieben, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

    Die Kläger im US-Staat South Dakota machen geltend, die Regierung habe ihre Fürsorgepflicht verletzt. In Verträgen mit verschiedenen Indianervölkern habe die Regierung zugesichert, Ureinwohnern Wiedergutmachung für Schäden zu zahlen, die Nicht-Indianer ihnen zugefügt hätten, heißt es in der Klageschrift. Weitere Klagen würden gegen die Betreiber der Internate eingereicht. Die Kläger wurden nach eigenen Angaben in den Schulen von Priestern oder Nonnen geschlagen und sexuell misshandelt. Sie fordern die Einstufung ihrer Klage als Sammelklage. (Spiegel-Online, 12.4.03)

  • (3282) Concord. Der caritative Auftrag, für Bedürftige zu spenden, hat einen US-Geistlichen offenbar dazu verleitet, sich selbst zum Hauptbedürftigen zu erklären. Seiner Kirche stahl er 1,6 Millionen Dollar. Der ehemalige Schatzmeister einer Kirche in New Hampshire hat vor einem Gericht in Concord (New Hampshire) gestanden, die Summe über einen Zeitraum von sechs Jahren veruntreut zu haben. Er leistete ganze Arbeit: Auf dem Konto seiner Kirche verblieben schließlich weniger als hundert Dollar. Der Geistliche hatte von 1995 bis 2002 als Schatzmeister in der Kirche gearbeitet. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft hat er in dieser Zeit ursprünglich für die Kirche bestimmte Schecks an sich selbst ausgezahlt, finanzielle Sicherheiten der Kirche verscherbelt und dem Kirchenvorstand Lügengeschichten über seine Transaktionen und die finanzielle Situation der Gemeinde aufgetischt. "Ich kenne keinen vergleichbaren Fall von Diebstahl in einer religiösen Organisation", sagte der Staatsanwalt. Der gierige Geistliche muss mit bis zu 41 Jahren Gefängnis und bis zu 2,1 Millionen Dollar Geldstrafe rechnen. (Spiegel-Online, 15.4.03)

Lateinamerika

Haiti

  • (3283) Port-au-Prince. Knapp 200 Jahre nach der Unabhängigkeit Haitis wird Voodoo dort als Religion offiziell anerkannt. Eine entsprechende Verfügung gab Präsident Jean-Bertrand Aristide bekannt. In einem Gesetz solle der Voodoo den christlichen Konfessionen gleichgestellt werden, hieß es. Rund drei Viertel der acht Millionen Einwohner Haitis gelten als Anhänger des Voodoo-Kultes. Aus Afrika verschleppte Sklaven brachten diese Religion im 18. Jahrhundert mit und vermischten sie in Haiti mit christlichen Elementen. (RZ, 8.4.03)

Asien

Tibet

  • (3284) Sikkim. Vor kurzem überraschte der Dalai Lama seine Zuhörer mit einer sensationell erscheinenden Stellungnahme. "Ich bin der Ansicht, dass das System der Reinkarnation abgeschafft werden sollte, weil es eine Menge Streitigkeiten hervorgerufen hat", erklärte er. Sein fortschrittlicher Vorschlag schien sich allerdings ausschließlich auf das Reinkarnationssystem zu beziehen, mit dem im Rungtek-Kloster von Sikkim der Karmapa identifiziert zu werden pflegt. Gegenwärtig erheben nicht weniger als vier angebliche Reinkarnationen Anspruch auf die Position des Karmapa. Das Reinkarnationssystrem sei ein traditioneller Volksglaube, nicht ein von der Buddhistischen Lehre vorgeschriebenes Ritual, erklärte der Dalai Lama weiter. Wenn die Bevölkerung von Tibet es abschaffen will, könne sie das einfach machen.

    Eine Kleinigkeit "vergaß" der religiöse Führer allerdings in seinen offenen Betrachtungen: nicht nur der Titel des Karmapa - auch der Titel des Dalai Lama wurde durch die Zeiten ausschließlich mittels eines Sets von Ritualen auf der Basis des Reinkarnationsglaubens weitergegeben. Eine generelle Ablehnung der Reinkarnation, so wünschenswert sie im Interesse wissenschaftlichen Denkens ist, würde auch seine persönliche Inthronisation als Dalai Lama für ungültig erklären. (Rationalist International Bulletin/108, 6.5.03)

    Anm. MIZ: Der Dalai Lama erklärte bereits vor geraumer Zeit, dass er selbst nicht noch einmal wiedergeboren werde. Hinter diesem Bekenntnis (wie auch hinter seinem Angriff auf das Reinkarnationssystem zur Ermittlung des Karmapa) steht vor allem politisches Kalkül: Es zielt darauf ab, dass die chinesischen Besatzer seit langem versuchen, Tibet mittels eingesetzter Lamas und Kamapas noch besser kontrollieren zu können. Dies jedoch versucht der Dalai Lama mit allen Mitteln zu verhindern - selbst wenn er hierfür einige zentrale Mythen des Tibetanischen Buddhismus (nach Ansicht von Lästerern eher eine Höhenkrankheit als eine Religion) aufopfern muss.

Irak

  • (3285) Kerbela. Irakische schiitische Geistliche haben die Errichtung eines islamischen Staates im Irak gefordert, wie er im Nachbarland Iran besteht. Die Anhänger der schiitischen Religionsgelehrten haben inoffiziell bereits vereinzelt staatliche Funktionen übernommen. Der von ihnen organisierte reibungslose Ablauf der religiösen Zeremonien in Kerbela, zu der Hunderttausende von Schiiten angereist waren, beweise, dass die Iraker sehr wohl in der Lage seien, ihre Angelegenheiten ohne die Amerikaner zu regeln, zitierte ein Radiosender aus dem Iran Abd al-Asis al-Hakim, den Sprecher des vom Iran unterstützten Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak (SCIRI).

    US-Soldaten waren während der Feierlichkeiten in der Umgebung der südlich von Bagdad gelegenen Stadt nicht zu sehen gewesen. Die schiitischen Geistlichen haben inzwischen auch die Rückgabe eines Teils der Güter organisiert, die von Plünderern seit dem Einmarsch der Amerikaner aus öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Privathäusern und Geschäften gestohlen worden waren. Außerdem haben sie die Verteilung von Nahrungsmitteln an besonders Bedürftige gestartet.

    Offiziell zeigen sich die Amerikaner nicht sonderlich beunruhigt über die erstarkte Rolle der religiösen Schiiten. Doch die jüngsten Vorwürfe gegen den Iran zeugen von einer großen Anspannung. Die Washington Post zitierte hohe Beamte, denen zufolge die US-Regierung den Organisationsstand der Schiiten unterschätzt habe und nicht darauf vorbereitet sei, den Aufstieg einer islamischen, anti-amerikanischen Regierung in Bagdad zu verhindern.

    Am Rande des größten Festes schiitischer Pilger seit 25 Jahren in der zentral-irakischen Stadt Kerbela hatten Demonstranten den Abzug der amerikanischen und britischen Truppen gefordert sowie "Tod Amerika" und "Tod Israel" skandiert. Die SCIRI rief allerdings zur Mäßigung auf. "Wir sind gegen die Besatzung, aber wir möchten keine Kämpfe", sagte Abd al-Asis al-Hakim dem arabischen TV-Sender al-Dschasira. Der bewaffnete Kampf liege nicht im Interesse der Iraker. Er sprach sich für Wahlen aus, als deren Ergebnis er ein islamisches System erwartet, für das die schiitische Mehrheit am Ende votieren werde.

    Hier zeigt sich die Ironie der Geschichte: Vor gut 20 Jahren machten die USA Saddam Hussein stark, um am Golf ein Bollwerk gegen den iranischen Gottesstaat des Ajatollah Khomeini zu schaffen. Dann führten sie zwei Kriege, jagten den Diktator aus dem Amt und besetzten den Irak. Nun, so scheint es, müssen sie den Einfluss von Khomeinis Erben wirklich fürchten. (Spiegel-Online, 24.4.03)

Iran

  • (3286) Teheran. Der wegen Blasphemie angeklagte iranische Säkularist, Prof. Hashem Aghajari, hat die Anordnung des iranischen Obersten Gerichtshofes zurückgewiesen, sich einer psychologischen Untersuchung zu unterziehen, berichtet die Gruppe RA, eine neue Rationalistenorganisation in Iran, die sich im Januar 2003 geformt hatte. Aghajari lehnte die Entscheidung der 27. Kammer des Obersten Gerichtshofes als Beleidigung ab und erklärte, er sei ausschließlich bereit, sich in einem öffentlichen Gerichtsverfahren gegen die gegen ihn erhobene Anklage der Blasphemie zu verteidigen. Er würde niemals seine Einwilligung für eine Untersuchung im Gerichtsmedizinischen Institut geben, sagte er.

    Aghajari war im August vergangenen Jahres verhaftet und in einem Blasphemieverfahren hinter verschlossenen Türen zum Tode verurteilt worden, nachdem er dem Iranischen Shia-Klerus in einem Vortrag das Recht absprach, das Land zu regieren. Das Todesurteil löste einen Schrei der Empörung in Iran sowie in der ganzen Welt aus. Um den anhaltenden Massenprotest zur Ruhe zu bringen, ordnete Irans höchster religiöser Führer Ayatollah Ali Khamenei im November eine juristische Revision des Falles an. Das Revisionsgericht entschied im Februar 2003, das Todesurteil außer Kraft zu setzen. Aber Aghajari wurde nicht freigelassen. Seinen Antrag auf zeitweilige Freilassung gegen Bürgschaften würdigte das Gericht nicht einmal einer Antwort, sagt Aghajaris Ehefrau Zahra Behnoudi. Der Kriegsinvalide, der im Iran-Irak-Krieg ein Bein verlor, entbehrt immer noch ausreichender medizinischer Versorgung. (Rationalist International Bulletin/108, 6.5.03)

Indien

  • (3287) Delhi. Für die Tantriks (Praktizierende der Schwarzen Magie) und Wunderheiler von Delhi sind schlechte Zeiten angesagt: Sie könnten bald gezwungen sein, ihre lukrativen Geschäfte aufzugeben oder im Untergrund zu betreiben. Eine Anordnung des High-Court von Delhi vom 30. April 2003 verpflichtet die Regierung des Stadtstaates Delhi, nach Männern und Frauen Ausschau zu halten, die sich wunderbarer Heilkräfte rühmen, und ihnen das Handwerk zu legen. Grundlage dieser Anordnung ist ein fast 50 Jahre altes Gesetz. In Reaktion auf eine Anzeige, im öffentlichen Interesse erstattet von Salek Chand Jain, blies der High-Court den Staub vom Drugs and Magic Remedies Objectionable Advertisements Act von 1954, nach dem es einen Straftatbestand erfüllt, jemandem Wunderlösungen für seine Probleme und Wunderheilung seiner Krankheiten zu versprechen. Egal ob die Straftat durch Werbeinserate in Zeitungen, auf Hausschildern und Wandschriften oder einfach durch verbale Bekanntmachungen begangen wird, derartige betrügerische Behauptungen können mit einer Geldbuße und einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten (im Wiederholungsfall einem Jahr) bestraft werden. Der High-Court hat die Regierung nun aufgefordert, auf der Grundlage von Adressen und Telefonnummern in Zeitungsinseraten in Aktion zu treten und nach spirituellen Betrügern zu fahnden. In Delhi operieren mindestens 200 selbsternannte Wunderheiler, die ihre Opfer mit Zeitungsinseraten und Wandschriften anlocken.

    Die Indian Rationalist Association (IRA) begrüßte die Anordnung des High-Court. "Maßnahmen gegen Wunderheiler dürfen allerdings nicht auf die indische Hauptstadt beschränkt bleiben", sagte Generalsekretär Sanal Edamaruku, "denn es ist hauptsächlich die arme und ungebildete Bevölkerung der ländlichen Gebiete, die den absurden und verhängnisvollen Behauptungen von Wunderheilern zum Opfer fällt". Hilflose Menschen, die sich auf deren übernatürliche Heilkräfte verlassen, sterben an Krankheiten, die mit wissenschaftlichen Mitteln leicht geheilt werden könnten.

    Lange in der Versenkung verschwunden, wurde das Gesetz von 1954 im August 1997 zur öffentlichen Aufmerksamkeit gebracht, als die Indian Rationalist Association einen groß angelegten öffentlichen Feldzug gegen ein "Mantra-Healing-Center" führte, das offiziell als Abteilung eines staatlichen medizinischen Colleges in Delhi eröffnet worden war und dort Heilung durch Handauflegen und Zauberformel-Murmeln anbot. Der Kampf war siegreich. Die Behörden konnten gezwungen werden, das Mantra-Center zu schließen. (Rationalist International Bulletin/108, 6.5.03)

Afghanistan

  • (3288) Kabul. Im Kabuler Frauengefängnis Welayat werden Afghaninnen meist ohne Urteil und wegen Nichtigkeiten gefangen gehalten und gequält. Sie vegetieren unter unmenschlichen Bedingungen vor sich hin. Das berichteten die TV-Journalistin Bettina Böttinger und Medica-Mondiale-Gründerin Monika Hauser nach einer Afghanistan-Reise.

    Sie zeigten sich "geschockt" von den Verhältnissen in dem - in einem baufälligen Gebäude untergebrachten - Kabuler Frauengefängnis. Sie hatten die Inhaftierten in von Schimmel überzogenen, kalten Zellen angetroffen. Einige Frauen waren so unterernährt, dass sie ihre Neugeborenen nicht stillen konnten. Die Jüngste, die sie dort trafen, war nach ihren Angaben etwa elf Jahre alt, die Älteste ungefähr 70. Dort, in Welayat, so Monika Hauser vor Journalisten in Köln, "werden Frauen wegen Nichtigkeiten festgehalten". Die meisten sitzen wegen des Übertretens althergebrachter Gesetze nach der Scharia in Haft. "Nach europäischen Rechtsnormen ist die große Mehrzahl der Frauen keines Verbrechens schuldig", bestätigte eine von der Frauenorganisation Medica-Mondiale vorgelegte Untersuchung. So reicht es aus, wenn ihr Ehemann sie des Ehebruchs beschuldigt oder wenn ein Mädchen vor der Zwangsheirat mit einem 60-Jährigen Reißaus nimmt. Hierfür kann die Frau dann für Jahre ins Gefängnis kommen, oft ohne Prozess und ohne Aussicht auf juristischen Beistand. Die Ungehorsamen werden von ihren Familien oder Ehemännern regelrecht hierhin abgeschoben. "Im Gefängnis werden sie vergessen und vegetieren ohne Hoffnung vor sich hin", so Monika Hauser. Eine 22-Jährige, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann zum Onkel geflohen war, wurde des Ehebruchs beschuldigt und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Eine 13-Jährige, die ihre Vergewaltigung anzeigen wollte, wurde statt ihres Peinigers ins Kabuler Frauengefängnis gesteckt. Bettina Böttinger berichtete von einer jungen Frau, die sich nach der Vergewaltigung durch ihre Cousins ins Kabuler Frauenministerium flüchtete. Dort wusste man nicht, wohin man sie vor der Rache ihrer Familie in Sicherheit bringen sollte. "Da bleibt dann nur das Frauengefängnis oder das Irrenhaus", erklärte die Journalistin.

    Traditionelles Feudalrecht breche nach wie vor das Menschenrecht dieser Frauen, berichtete Monika Hauser. Ermittlungen liefen schleppend, Beweisaufnahmen - wenn sie denn stattfänden - würden unprofessionell durchgeführt und könnten durch Geldzahlungen von Verwandten zu Ungunsten der Inhaftierten beeinflusst werden. Die seit einem Jahr von Medica-Mondiale in dem Welayat-Gefängnis betreuten 20 Frauen bekamen hierdurch erstmals juristischen Beistand. Gleichzeitig wurde das Frauenministerium auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht. Wobei Monika Hauser den Eindruck hatte, die afghanische Regierung statte das Frauenministerium nicht mit den nötigen Kompetenzen aus. Deshalb müsse der "Druck von außen bleiben, wenn nicht sogar stärker werden". (Frankfurter Rundschau, 4.4.03)

Afrika

Marokko

  • (3289) Casablanca. Bei mehreren Terror-Anschlägen sind im marokkanischen Casablanca mindestens 40 Menschen getötet worden. Aus den USA war zu hören, dass solche Anschläge nur von al-Qaida verübt werden könnten. Abstimmung, die effiziente Logistik und die Ziele der Selbstmordbomber wiesen auf Osama Bin Ladens Männer hin, sagten Geheimdienstler US-Nachrichtenagenturen.

    Marokko ist seit Jahren ein fester Verbündeter der USA. Die Regierung bedauerte jedoch, dass der Irak-Konflikt nicht friedlich gelöst wurde. In der marokkanischen Bevölkerung gab es heftigen Widerstand gegen den US-geführten Golfkrieg. An einer Demonstration in Rabat hatten vor Kriegsbeginn 200.000 Menschen teilgenommen. König Mohammed VI. hatte gewarnt, der Krieg könne den islamischen Fundamentalismus im Land schüren. Im April waren wegen der Sorge vor muslimischen Fundamentalisten Kommunalwahlen verschoben worden. (Spiegel-Online, 17.5.03)