Bericht vom Vielfaltstag
Silvia Kortmann und Petra Daheim
„Der Gipfel der Vielfalt!“ – unter diesem Motto waren Vertreter verschiedenster Organisationen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu den „Deutschen Antidiskriminierungstagen 2025“ ¹ am 13. und 14. Mai im Haus der Kulturen der Welt in Berlin – auch „Schwangere Auster“ genannt – eingeladen. Für den IBKA nahmen Silvia Kortmann und Petra Daheim teil, auch wenn im Vorfeld Bedenken diskutiert wurden, ob einer Einladung der viel kritisierten Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung Ferda Ataman gefolgt werden soll.
In den rund 30 Veranstaltungen, die teilweise parallel liefen, wurden Vorträge und Podiumsdiskussionen („Panels“) zu Themen wie Bildung, Polizeiarbeit, Digitalisierung, soziale Medien, sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt und andere angeboten. Es ging unter anderem um Benachteiligungen aus Gründen des Alters, des sozialen Status, des Geschlechts und der ethnischen Herkunft.
Um es vorweg zu nehmen: Diskriminierung aufgrund der Religion wurde explizit nur in einem Panel behandelt, und zwar unter dem identitätspolitischen Begriff „Antimuslimischer Rassismus“. Diskriminierung innerhalb von Migrantengruppen oder intrareligiöse Konflikte kamen auf der Tagesordnung nicht vor.
Am Veranstaltungsort angekommen, hieß es erst einmal „Schlange stehen“. Die Veranstaltung war mit ca. 1000 Teilnehmern gut besucht, und die Sicherheitsmaßnahmen (Taschenkontrollen, Passkontrolle und Überprüfung der Anmeldung) sorgten erst einmal dafür, dass der Beginn der Auftaktveranstaltung sich um eine halbe Stunde verzögerte. Leider war dann bei der Anmeldung Petra Daheims Zutrittskarte, die sie als Konferenzteilnehmerin ausweisen sollte, unauffindbar und musste neu erstellt werden, so dass sie ohne ihr „Pronomen“ zu ergänzen direkt in die Auftaktveranstaltung sprinten musste.
Im Eröffnungspanel „Think Big! Wenn ich König*in von Deutschland wär. Meine Vision 2035“ versuchte Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, einen historischen Überblick über die Entwicklung der emanzipatorischen Bewegungen in der BRD zu geben. Von einer anfänglichen Minderheit nach dem zweiten Weltkrieg, die sich für Demokratie und gegen Diskriminierung aussprachen, seien es heute 77 % der Bevölkerung, die dem Grundgesetz zustimmen und sich für Demokratie und gegen Diskriminierung einsetzen.
Atamans erklärtes Ziel ist es, dass alle Menschen ihre durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbrieften Rechte wahrnehmen können.
Sie erklärte, dass eine Reform des AGG auch im neuen Koalitionsvertrag angedacht sei, um die Rechte von Diskriminierungsopfern zu stärken. Insgesamt sieht sie Demokratie, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit zunehmend in Gefahr und forderte in diesem Zusammenhang unter großem Beifall der Teilnehmer das AfD- Parteienverbot.
Die Moderatoren Aisha Camara und Tarik Tesfu nahmen dies zum Anlass, dem Publikum einzuheizen und mehrfach aufzufordern, für die Vielfalt zu applaudieren, was Petra als etwas peinlich empfand. Leider sollte dies aber nicht der letzte Versuch sein, seitens der Veranstalter die Emotionen zu triggern.
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, Migrations- und Bildungssoziologe, wünschte sich ein kinderfreundliches Land und beklagte, dass heute in allen möglichen Bereichen die Bildungsergebnisse zurückgehen würden. Er sieht Kinder als Minderheit in Deutschland und will deren Rechte explizit im Grundgesetz verankert sehen. Gleichzeitig forderte er, dass die Institutionen (Kindergarten, Schule), in denen Kinder viel Zeit verbringen, demokratischer gestaltet werden und die Kinder selbst mehr beteiligt werden sollen.
Luisa Neubauer, Klimaaktivistin, beschrieb Ihre Vision 2035 als reinstes klimatisches Horrorszenario und verbreitete Endzeitstimmung. Sie beklagte das Aushungern der Bevölkerung im Gaza-Streifen und verurteilte die „unentschuldbaren Verbrechen“ der israelischen Regierung. Sie hofft auf eine Zukunft, in der ihre Träume nicht wieder zu Albträumen werden, und appellierte gegen Ende ihrer Rede an die Bundesregierung, die Menschen in Gaza vor der israelischen Regierung zu schützen.
Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Publizist, selbst an einer Autoimmunkrankheit leidend, wünscht sich, dass Menschen wie ihm im Jahr 2035 geholfen werden kann und stellt klar, dass die Erforschung seltener Krankheiten in den Augen der Pharmaindustrie keinen monetären Nutzen bringt und die Forschung deshalb öffentlich finanziert werden sollte.
Seine weiteren Visionen für das Jahr 2035 lauten: Das Wort Inklusion sollte zum Fremdwort werden, Paralympics gibt es nicht mehr, sondern nur noch Olympia für alle, Medienkompetenz ist in jedem Schulfach integriert, die USA werden faschistisch, die AfD ist längst verboten.
Schliesslich mahnte er, die Freiheit hochzuhalten; ohne Freiheit gibt es keinen Kampf gegen Diskriminierung.
Maja Göpel, Politökonomin, zitierte die kürzlich verstorbene Holocaust Überlebende, Margot Friedländer, und forderte: „Seid Menschen“.
FairTech, Wie diskriminierungsfrei und gerecht ist Künstliche Intelligenz?
In diesem Vortrag berichtete die KI-Expertin und Autorin Mina Saidze, dass Frauen in IT-Berufen in Deutschland mit ca. 17% stark unterrepräsentiert sind. Bereits diese Unterrepräsentation könnte bei der Erstellung von Algorithmen eine bedenkliche Rolle spielen, da auch die KI am Ende häufig gesellschaftliche Ungleichheiten spiegelt.
Gründe für Verzerrungen, im englischen „Bias“ genannt, können Fehler im maschinellen Lernprozess sein, fehlerhafte Trainingsdaten, oder systematisch voreingenommene alte Basisdaten, die eine veraltete Definition der Population verwenden.
Die Risiken solcher KI müssten daher adressiert werden, da ansonsten zu erwarten sei, dass auch künstliche Intelligenz diskriminieren könne, z.B. wenn ein Bankkredit auf Grundlage einer männlich dominierten Datenlage der KI vorgibt, diesen nicht einer Frau zu gewähren. Strittig, aber bereits weit verbreitet, sei auch der Einsatz von KI bei Personalentscheidungen.
Saidzes Meinung nach sei die KI-Regulierung daher auch keine philosophische Debatte oder ein Zukunftsproblem, sondern notwendig, um gerade auch beim Einsatz in Unternehmen Haftungsrisiken und Reputationsschäden zu vermeiden.
Vegetarisch oder Vegan?
Im Anschluss daran wurde im Foyer eine kleine Stärkung gereicht, und es bewahrheiteten sich die schon bei der Anmeldung abzeichnenden Befürchtungen: Die Auswahl für Speisen konnte nur zwischen vegetarisch und vegan getroffen werden. Die Auswahl bestand zwischen einer geschmacksbefreiten Couscous Rolle, einem mit klebriger Masse gefüllten Salzgebäck, braunen, keksartigen Gebilden und Obst. Petra entschied sich für eine Banane, schnappte sich noch eine Bionade und begab sich auf die Terrasse, wo sich im strahlenden Sonnenschein Gespräche mit ein paar Teilnehmerinnen der Konferenz entwickelten.
Viele Konferenzbesucher waren zumeist beruflich mit dem Thema Antidiskriminierung befasst. Die Ziele des IBKA stießen allerdings auf großes Interesse, und die übereinstimmende Meinung war, dass das Thema der religiösen Diskriminierung nicht auf dem Zettel von Ferda Ataman steht.
Antimuslimischer Rassismus
Unter den Besuchern des Panels zum „Antimuslimischen Rassismus“ gab es etliche Frauen mit Hijab. Auf dem Podium saßen Nicole Romain von der EU Grundrechte-Agentur, Meltem Kulaçatan, Professorin für soziale Arbeit an der Internationalen Hochschule in Nürnberg, Amani Abuzahra, Antirassismus-Begeisterte aus Österreich, und Ozan Zakariya Keskinkılıç, Rassismusforscher und Politikwisschenschaftler.
Nicole Romain berichtete von zahlreichen Umfragen, in denen 68 % der Musliminnen sagten, dass sie diskriminiert worden seien, besonders Frauen mit religiöser Kleidung. Und 55 % würden diskriminiert bei der Jobsuche.
Amani Abuzahra, einziger Podiumsgast mit Kopftuch, versuchte, diese Behauptung an einem Beispiel zu untermauern. Man habe zwei Bewerbungen mit gleichem Text verschickt, die eine mit deutschem Namen und passendem Bild, die andere mit türkischem Namen und dem Bild einer Frau mit Kopftuch. Die deutsche Frau hat viermal so viel Einladungen bekommen. Grund für Abuzahra, sich zu echauffieren: „Sie bekommen den Job nicht wegen des Kopftuchs? – Nein, es ist nicht wegen des Kopftuchs, es ist wegen Rassismus“. Allerdings hätte ihr auffallen können, dass diese Versuchsanordnung eine solche Einschätzung gar nicht hergibt. Nur mit dem Bild einer dunkelhäutigen Frau ohne Kopftuch hätte man feststellen können, ob die Firmen die Bewerberin aus ethnischen Gründen zögerlicher einluden oder lediglich die offensive Zurschaustellung des muslimischen Glaubens ablehnten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier Absicht waltet.
Abuzahra sagte auch, Muslime würden auf vielen Ebenen ausgeschlossen, fühlten sich diskriminiert. Das veranlasste den Rassismusforscher Ozan Zakariya Keskinkılıç zu dem wichtigen Einwurf, die Aussage „diskriminiert gefühlt“ zeige nur die Selbstwahrnehmung, nicht die tatsächliche Begründung. Damit wies er auf einen großen Mangel der Diskriminierungs-Debatten hin: Es wird auf das Gefühl Bezug genommen; prüfbare Kriterien fehlen.
Meltem Kulaçatan behauptete zudem, antimuslimischer Rassismus funktioniere auch ohne Muslime, wenn Menschen aufgrund des Aussehens als Muslime eingeordnet („gelesen“) werden. Das ist sicherlich Rassismus, aber nicht antimuslimisch.
Bildung für alle
Interessant auch die Podiumsdiskussion zum Thema „Bildung für alle?!“. Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin von Arbeiterkind e.V., machte darauf aufmerksam, dass der Bildungsweg vom sozialen Status abhängt. Aladin El-Mafaalani, Professor für Migrations- und Bildungssoziologie, beklagte die fehlende Kinderfreundlichkeit und die schlechte Ausstattung der Schulen und fragte rhetorisch, ob Kinder immer jemanden finden, dem sie wirklich wichtig sind. Die Sicht der Schüler brachte Fabian Schön, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, ein. Social Media sei für Schüler relevant, doch als Infoquelle nicht analysierbar. In der Schule habe er Textanalyse gelernt, aber in 30 Sekunden TikTok analysieren, sei nicht leistbar. Lehrer sollten TikTok können. Es müsse gelingen, dass der Diskurs wieder auf demokratischen und faktischen Grundlagen beruht.
Ganz auf der Linie der Antidiskriminierungsbeauftragten positionierte sich Sanjin Smajovic, der sich als Lehrer und Mitbegründer von LERAconnect vorstellte, einem „Lehrkräftenetzwerk für Empowerment und Rassismussensibilität“. Er würde oft gefragt, warum es Empowerment braucht. Seine Antwort wäre dann, es fehlt an Erkenntnis, dass Antidiskriminierung nötig ist, Demokratiebildung geht nicht ohne Antidiskriminierung. „Oft sind Lehrer beleidigt, wenn man sie auf Diskriminierung anspricht. Lehrer sollten sich reflektieren.“ Dabei hatte El-Mafaalani längst darauf hingewiesen, dass in unserem auf Kante genähten Schulsystem Kinder schlecht gefördert werden und Antidiskriminierung da nicht funktionieren kann. Unter der von Smajovics Verein propagierten „Rassismussensibilität“ ist vermutlich eine Haltung zu verstehen, die überall Rassismus vermutet. Smajovic selbst ist nach eigener Aussage „seit 20 Jahren Lehrer und benutzt kein Schulbuch, weil sie diskriminierend und unsensibel sind.“
Weitere Statements von Smajovic seien der Interpretation durch den Leser überlassen: „Rassismus macht krank. Es folgt eine Abwärtsspirale wegen Entmutigung. Wer immer wieder Diskriminierung erfährt, fängt an, sich zu wehren.“ ... „Schule ist Überbleibsel von Soldatentum. Schüler sind Regeln ausgesetzt, die sie nie gemacht haben.“
Brandbeschleuniger soziale Medien: Wer profitiert vom digitalen Hass?
Auf dem Podium dieses Panels saßen Markus Beckedahl, Journalist, Dr. Daniela Brönstrup, Vizepräsidentin Bundesnetzagentur, Ricarda Lang, MdB Bündnis 90/Die Grünen, und Gilda Sahebi, Autorin und Journalistin.
Beckedahl erklärte, dass digitaler Hass auf die Ausgrenzung aus dem öffentlichen Diskurs abzielt und auf Angst und den Abwertungen des Anderen aufbaut. Gesellschaftliche Konflikte würden so auf die „andere“ Gruppe verschoben und eine vernünftige Diskussion verunmöglichen.
Gilda Sahebi erklärt hierzu, neue Studien würden zeigen, dass die Menschen nicht so unterschiedlich sind, wie es in den sozialen Medien den Anschein hat. Die Mechanismen der Plattformen seien so angelegt, dass Menschen lange darauf festgehalten werden, um Daten zu sammeln, wobei gleichzeitige die emotionale Klaviatur bedient wird.
Daniela Brönstrupp ist innerhalb der Bundesnetzagentur für die Koordinierung des Digital Service Act zuständig und ist der Auffassung, dass online nicht möglich sein darf, was auch offline nicht möglich bzw. verboten ist. Sie sieht hier den Digital Service Act als noch nicht durchschlagkräftig genug. Provokateure legten oft eine Gratwanderung hin, die mit dem Begriff „Lawful but Awful“ beschrieben werden kann, und in diesem Fall seien Löschungen aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Der Digital Services Act (DSA) soll die Meinungsfreiheit stärken, und die von der Bundesnetzagentur zertifizierten Trusted Flagger sollen genau das tun und nicht, wie gerne behauptet wird, die Meinungsfreiheit unterdrücken.
Ricarda Lang sieht im digitalen Hass einen Spiegel der Gesellschaft und meint, dass dieser insbesondere die Meinungsfreiheit von Frauen und Minderheiten angreift. Man könne den Tech-Giganten nicht mit nationalem Recht begegnen. Sie ist der Meinung, dass ein Elon Musk nur noch Extremismus verbreite und dass seine Provokationen auch noch honoriert würden. Sobald man sich mit wirtschaftlich mächtigen Gruppierungen anlege, könne man von dort mit massiven medialen Gegenkampagnen rechnen.
Schließlich plädierten alle Podiumsteilnehmer für einen Pflichtunterricht in Schulen, in dem Kinder im Umgang mit den sozialen Medien geschult werden sollen, und damit einhergehend eine bessere Lehrerausbildung; wobei Frau Lang zu recht daran erinnerte, dass dies alles eine Frage der Bildungsfinanzierung sei.
Mit dem Abschluss dieser Debatte endete für uns auch der erste Tag der Antidiskriminierungstage, und wir eilten zur nächstgelegenen Currywurstbude.
Wirtschaftsstandort Deutschland. Vielfalt als Wachstumsmotor
Dieses Panel wurde am zweiten Veranstaltungstag angeboten. Impulsgeber waren: Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens Energy AG und Anja Piel, geschäftsführender Bundesvorstand Deutscher Gewerkschaftsbund.
Joe Kaeser zeigte sich überzeugt, dass ein großes Potential in der Diversität liege und dass Diskriminierung die Unternehmen Produktivität und Erfolg koste. Parolen von rechts hält er für die größte Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Er kritisiert, dass es immer noch schwer sei, Menschen nach Deutschland zu bringen. Die Bürokratie mache es insbesondere Start-Ups schwierig, und es gebe daher auch keine Start-Up-Kultur in Deutschland. Zudem kritisiert er, dass Bildung in Deutschland viel zu sehr vom Gehalt und der Stellung der Eltern abhänge. Auf die Frage hin, was denn seiner Meinung nach getan werden könnte, schlug er vor, wieder ein BAFÖG einzuführen, von dem die Studenten auch wohnen und leben könnten, so wie es zu seiner Ausbildungszeit gewesen sei. Die Wirtschaft müsse mit Offenheit vorangehen, und der soziale Frieden muss erhalten werden. Kaeser ist der Ansicht, dass es in der Gesellschaft das Gefühl gibt, dass der Wohlstand gehütet und gehalten werden muss, dass man aber schon lange nicht mehr auf dem aufsteigenden Ast sei.
Die in Deutschland herrschende Rechtsstaatlichkeit sieht er nach wie vor als großen Standortvorteil. Kaeser spricht sich für eine Quotenregelung bei Führungskräften aus. Er begründet das damit, dass die Unternehmen schließlich fünfzig Jahre Zeit hatten, diese Angelegenheit selbst zu regeln, und dabei klar versagt haben.
Für Anja Piel ist die Mitbestimmung gelebte Vielfalt. Allerdings merkt sie auch, dass der Druck von außen steigt. Die Gewerkschaften setzen sich für standardisierte Ansprechstellen in Unternehmen ein. Sie stellt klar, dass wir alle in eine Situation kommen können, Diskriminierung zu erfahren.
Marcel Fratzscher erläutert, dass die ganze Umverteilungsdebatte verkorkst ist. Es gehe um Win-Win für alle. Zudem habe Deutschland das Problem, als Einwanderungsland für Fachkräfte nicht besonders attraktiv zu sein. Nach einer Umfrage unter Hochqualifzierten rangiert Deutschland auf Platz 50 von 53 Ländern. Fratzscher kritisiert Debatten über die Steuerung von Migration und merkt an, dass wir über drei Millionen Menschen im Land haben, denen wir es schwer machen anstatt die vorhandenen Talente zu mobilisieren. Populismus, Paralyse und Protektionismus seien Gift für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dagegen stehen Technologie (Innovation), Talente und Toleranz für eine gute Zukunft der Volkswirtschaft.
Abgehängt im digitalen Zeitalter. Teilhabemöglichkeiten für alle sichern.
Um es gleich vorwegzuschicken: Die Diskussionen in diesem Panel waren mit Abstand die lebhaftesten innerhalb der beiden Tage. Nicht zuletzt dürfte der Pflegeroboter in Gestalt eines Robbenbabys, der von dem Gereontologen Simon Blaschke vorgestellt wurde, dafür verantwortlich sein.
Doch beginnen wir, wie es sich gehört, am Anfang. Die zunehmende Digitalisierung führt gerade bei älteren Menschen oftmals dazu, dass sie eine Entwertung ihrer eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen im Alltag erleben. Es gibt in Deutschland Millionen älterer Menschen, die die digitalen Hürden nicht überwinden können.
Hier entstand direkt die erste Diskussion, denn das Podium begann darüber zu streiten, ob die Möglichkeiten von PC, Internet und Social Media nicht gerade für ältere Menschen von Vorteil wären. Elke Schilling, Vorsitzende von Silbernetz e.V., zitierte eine Studie, in der angeblich 15% der Bevölkerung digitale „Vermeider“ seien, woraufhin Dr. Regina Görner, Vorsitzende BAGSO, diese Studie als „schlampig“ bezeichnete. Und einmal in Fahrt gekommen, polterte sie weiter, dass man es in Deutschland mit einem politischen Versagen zu tun hat, da man sich auf den demografischen Wandel überhaupt nicht vorbereitet habe. Eine Forderung aus 2017, dass alle Pflegeheime mit WLAN ausgestattet sein müssen, sei bis heute nicht vollständig umgesetzt.
Einig war man sich lediglich darin, dass die Deutschen immer älter werden, dass der Veränderungsprozess begleitet werden muss und dass alte Menschen sich an diesen Prozessen beteiligen sollen. In Frage kämen hierzu in erster Linie kommunale Projekte, die über Marketing bekannt gemacht werden müssten.
Einen regelrechten Aufruhr verursachte der Babyrobben-Pflegeroboter Paro. Paro kostet stolze 6.000,00 € und soll vorzugsweise in der Pflege von Demenzkranken zum Einsatz kommen. Paro gibt niedliche Geräusche von sich und öffnet und schließt die großen Robbenaugen. Es gab direkt Kritik aus dem Zuschauersaal, dass dies doch auf eine Infantilisierung der Patienten hinauslaufe. Herr Blaschke beeilte sich dann auch noch einmal, darauf hinzuweisen, dass das Gerät nur als Hilfsmittel diene und keinesfalls menschliche Pflege ersetzen könne.
Am Ende der Diskussion ergaben sich folgende Punkte, die nach Meinung aller Teilnehmer des Panels angegangen werden müssen, um die Teilhabe älterer Menschen zu gewährleisten
- Vereinbarung eines neuen Digitalpakts
- Freundliche Benutzerführung digitaler Angebote
- Digitalisierungsstrategie muss Recht auf analoges Leben festschreiben
Paragraphen für Gerechtigkeit – Was für ein Antidiskriminierungsrecht brauchen wir?
Wir setzten große Hoffnungen in dieses Panel und wurden enttäuscht. Podiumsgäste waren Prof. Dr. Nora Markard, Gesellschaft für Freiheitsrechte, Samera Bartsch, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Migration, politische Teilhabe und Antidiskriminierung, Maryam Haschemi Yekani, Rechtsanwältin, und Dr. Anna Hankings-Evans, Rechtsanwältin und Mitglied von Afro-deutsche Jurist:innen e.V.
Evans beispielsweise fragte, welchen Beitrag das AGG zu heutigem Unrecht geleistet hat, und betrachtet Recht als historisches Mittel zur Unterdrückung. Markard beruft sich auf Catharine MacKinnon und deren feministische Rechtstheorie.
Die Rechtsanwältin Yekani vertritt ihre Mandantinnen in einem „sehr weißen, sehr männlichen Gerichtssaal“, wie sie es wahrnimmt. Tonfall und Blick seien nicht vor Gericht greifbar zu machen; die Klage gehe dann verloren. Wie man bei der taz nachlesen kann, hat Yekani für eine abgelehnte Lehrerin mit Kopftuch eine Entschädigung erstritten² – eine Ohrfeige für das Berliner Neutralitätsgesetz.
Dann ging es um die Frage nach der strategische Prozessführung. Markard offenbarte, das sie mit der Klage ein übergeordnetes Ziel verfolgt und ein Präzedenzurteil erreichen möchte. „Man muss Klägerinnen aussuchen, an deren Fällen man das gegebenenfalls skandalisieren kann“.
Evans fragte nach der Rolle der Gerichte. „Sind sie neutral?“ Es gehe um patriarchalische Bedingungen und weiße Vorherrschaft. Deutschland müsse forschen, ob der einzelne Polizist rassistische Vorurteile hat.
Die Diskussion war eindeutig der Versuch, den deutschen Gesetzen und Gerichten Rassismus nachzuweisen. Über möglicherweise vorhandenen Verbesserungsbedarf an dem Gesetz wurde lange nicht gesprochen. Wir haben vorzeitig den Zuschauerraum verlassen.
Kleines Kuriosum am Rande: Bei der Eröffnungsveranstaltung nannte der männliche Moderator seine souverän agierende Co-Moderatorin einmal seine Hip-Hop-Maus. Nun ja, auch ein Antidiskriminierer legt nicht immer jedes Wort auf die Goldwaage.