Stellungnahme des IBKA zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine gesetzliche Regelung zur Beschneidung männlicher Kinder

4. Oktober 2012

1 Ausgangslage

Entgegen der bislang herrschenden Meinung hat das Landgericht Köln mit Urteil vom 7. Mai 2012 (Aktenzeichen: 151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128) erstmalig die Auffassung vertreten, Eltern könnten nicht wirksam in eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres einwilligungsunfähigen Kindes einwilligen.

Aufgrund heftiger Proteste verschiedener Religionsgemeinschaften, welche in dem Urteil eine Verletzung der Religionsfreiheit sahen, sowie von (haltlosen) Antisemitismusvorwürfen hat daraufhin der Bundestag „zur Beseitigung der dadurch entstandenen Rechtsunsicherheit“ die Bundesregierung mit Beschluss vom 19. Juli 2012 aufgefordert, „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.“

Dieser Aufforderung folgend hat das Bundesministerium der Justiz am 25. September 2012 ein Eckpunktepapier vorgestellt und ausgewählten betroffenen Verbänden Gelegenheit geboten, binnen fünf Tagen hierzu Stellung zu nehmen.

2 Juristischer Hintergrund

Unstreitig ist,

  1. dass die Beschneidung, auch die nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführte, den Tatbestand der Körperverletzung im Sinne des §223 StGB erfüllt. Vereinzelt bereits an dieser Feststellung geübte Kritik verkennt die Rechtslage, nach der auch jegliche medizinische Heilbehandlung diesen Tatbestand erfüllt, soweit er ohne die Einwilligung des Behandelten erfolgt. Dass hier die religiös begründete Beschneidung nicht besser gestellt sein kann als z.B. eine lebensrettende Blinddarmoperation, liegt auf der Hand,
  2. dass die Beschneidung, die mit Einwilligung des Betroffenen vorgenommen wird, durch diese Einwilligung legitimiert und somit nicht strafbar ist,
  3. dass für ein nicht einwilligungsfähiges Kind die Eltern diese Einwilligung erteilen können, soweit der Eingriff dem Kindeswohl dient, z.B. wenn er medizinisch indiziert ist.

Streitig ist somit lediglich, ob und inwieweit die Eltern eine Einwilligung in eine Beschneidung auch dann erteilen können, wenn diese nicht medizinisch indiziert ist.

Und lediglich in der Bewertung dieser Frage weicht das Urteil von der bisherigen ständigen Rechtsprechung ab. Diesem Umstand tragen auch die Eckpunkte des BMJ Rechnung, indem den Eltern lediglich eben dieses Recht zugesichert werden soll.

Mit dieser Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung trägt das Urteil einem Wandel in der Anschauung der Rechtsstellung des Kindes sowie damit verbunden des Grundes und des Umfangs des Elternrechts Rechnung, der in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat.

Die bisherige Rechtsprechung beruht auf einer bis in die jüngere Vergangenheit herrschenden, extensiven Auslegung des Elternrechts, welches den Eltern eine sehr weitgehende Entscheidungsfreiheit in allen Angelegenheiten des Kindes einräumte, welche ihre Grenzen erst in der nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls fand, und zum Beispiel auch das Recht auf körperliche Züchtigung umfasste, welches erst in der schweren Kindesmisshandlung eine Grenze fand. Nach dieser Interpretation des Elternrechts stand den Eltern unzweifelhaft auch das Recht zu, im Namen des Kindes in eine Beschneidung einzuwilligen.

Diese Interpretation des Elternrechts, und mit ihr die darauf beruhende bisherige Rechtsprechung, ist jedoch inzwischen obsolet und durch eine Interpretation ersetzt, nach der die Eltern die Belange des Kindes, als eigenständigem Träger von Rechten, lediglich treuhänderisch verwalten, und in allen Entscheidungen stets die Interessen des Kindes zu wahren haben. Dieses neue Verständnis des Elternrechts hat seinen Niederschlag in zahlreichen Rechtsänderungen auf allen Ebenen gefunden, so im Familienrecht des BGB, insbesondere in dem in §1631 Abs. 2 formulierten Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, und auch, wie etwa mit der (für die Bundesrepublik Deutschland bindenden) UN-Kinderrechtskonvention, ins Völkerrecht Eingang gefunden.

Erst vor diesem veränderten Hintergrund war das Kölner Urteil möglich, aber auch richtig. Insofern ist die Rechtsunsicherheit nicht erst durch das Urteil entstanden, sondern durch den Wandel in der Interpretation des Elternrechts, der zwingend zu diesem Urteil führen musste. Durch das Urteil wurde die Rechtsunsicherheit lediglich manifest, aber auch dies nicht erstmalig, da spätestens mit der Veröffentlichung des Artikels „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge.“ von Holm Putzke im Jahr 2008 die Problematik offen lag.

Dass diese dem Urteil zugrundeliegende Interpretation des Elternrechts allgemein anerkannt ist, und offensichtlich auch vom Bundestag und der Bundesregierung geteilt wird, ergibt sich dabei insbesondere auch daraus, dass einerseits eine Gesetzesänderung zur Legalisierung für erforderlich gehalten wird, während andererseits ein spezifisches Verbot der Beschneidung weiblicher Kinder nicht für erforderlich gehalten wird, da sich dieses bereits eindeutig aus der bestehenden Rechtslage ergibt.

In diesem Kontext erweist sich die Resolution des Bundestags ebenso wie der Gesetzesentwurf des BMJ als Versuch, zugunsten der beschneidenden Religionsgemeinschaften diese auch völkerrechtlich gebotene Entwicklung in Bezug auf die Beschneidung außer Kraft zu setzen und zum Status Quo Ante des nahezu schrankenlosen Elternrechts zurückzukehren mit einer Regelung, die im Gesamtkontext des bestehenden Familienrechts einen Fremdkörper darstellt. Ein solcher Rückschritt kann jedoch sowohl vor dem Grundgesetz als auch vor dem Völkerrecht nur dann bestehen, wenn es hierfür einen zwingenden Grund gibt. Dies ist nicht der Fall.

3 Zur Relevanz der Religionsfreiheit

Hauptkritikpunkt der Urteilskritik ist eine behauptete Verletzung der Religionsfreiheit. Es wird eine Abwägung zwischen der Religionsfreiheit und dem Recht auf Körperliche Unversehrtheit gefordert. Allerdings wird hier für gewöhnlich auf die Religionsfreiheit der Eltern bzw. der Religionsgemeinschaften abgezielt. Diese ist jedoch nicht betroffen, und für eine Beschneidung irrelevant, denn selbstverständlich muss die Religionsfreiheit hinter der körperlichen Unversehrtheit Dritter zurücktreten. Die Religionsfreiheit erlaubt keine physischen Eingriffe in den Körper eines anderen.

Wenn hier Religionsgemeinschaften sich auf ein vermeintliches Selbstbestimmungsrecht berufen, so ist festzustellen, dass es ein solches „Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“ nicht gibt, sondern lediglich ein Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Ein Anspruch der Religionsgemeinschaften, von der Geltung strafrechtlicher Vorschriften entbunden zu werden, besteht nicht, und kann auch nicht aus in der Vergangenheit selbst erlittenen Verbrechen begründet werden.

Dies ist auch keineswegs neu, denn auch nach der alten, weitgehenden Interpretation des Elternrechts könnten die Eltern sich hier nicht auf ihre eigene Religionsfreiheit berufen, sondern allein auf die (von ihnen im Rahmen des Elternrechts stellvertretend ausgeübte) Religionsfreiheit des Kindes.

Allerdings erweist sich die Bundestagsresolution und das Eckpunktepapier als Versuch, mit äußerster Hast sich den Forderungen der Religionsgemeinschaften zu unterwerfen, diese von der Beachtung der Gesetze, der Grundrechte und des Völkerrechts freizustellen.

4 Zum Umfang des Elternrechts

Zweifellos steht auch nach der neuen Interpretation des Elternrechts den Eltern weiterhin ein weiter Ermessens- und Entscheidungsspielraum zu, in den der Staat grundsätzlich nur dann eingreifen kann, wenn dies zum Schutz von Interessen des Kindes erforderlich ist. Dies ist jedoch bei Handlungen, welche einen Straftatbestand zum Nachteil des Kindes erfüllen, ganz zweifellos der Fall. Ein Ermessensspielraum kann hier den Eltern nur insoweit zustehen, als widerstreitende Interessen des Kindes abzuwägen sind. Gleichwohl kann (und, angesichts der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, muss) der Staat diesen Ermessensspielraum durch die Vorgabe von Mindestanforderungen an hierbei geltend gemachte Interessen einschränken sowie ggf. aufgrund genereller Güterabwägungen auch verbindliche Vorgaben machen. Hier muss der Staat ggf. festlegen, welche Kindesinteressen neben der medizinischen Indikation als Rechtfertigung für eine Beschneidung in Frage kommen.

Geltend gemacht werden hier folgende Interessen:

4.1 Die Religion des Kindes

Hier wird geltend gemacht, dass die Beschneidung im Rahmen der Religionsausübung des Kindes geboten sei. Dabei wird aber verkannt, dass die Religionsfreiheit des Kindes diesem das Recht einräumt, über seine Religion letztlich selbst zu entscheiden. Dieses Recht des Kindes muss auch die religiöse Kindererziehung wahren, diese darf das Kind nicht auf eine Weise für eine Religion vereinnahmen, die über den Eintritt der Religionsmündigkeit fortwirkt. Dem religionsmündig gewordenen Kind muss die Freiheit gewahrt bleiben, sich der von den Eltern vorgegebenen Religion nicht anzuschließen. Dieses schließt das Recht ein, nicht als Angehöriger dieser Religion permanent gezeichnet zu sein.

Dem steht weder entgegen, dass die Beschneidung auch aus anderen Gründen durchgeführt wird und daher die Markierung als Religionsangehöriger nicht eindeutig ist, noch, dass die Markierung einem Verlassen der Religion nicht entgegensteht. Keiner dieser Einwände nimmt der allein aus religiösen Gründen vorgenommenen Beschneidung den religiös markierenden Charakter.

Demgegenüber kann das Kind, das sich der Religion schließlich anschließt, den Eingriff problemlos zu einem späteren Zeitpunkt selbst vornehmen lassen. Hier kann auch keine Dringlichkeit geltend gemacht werden, da in dem Aufschub keine Gefahr liegt. Hiergegen geltend gemachte religiöse Argumente können eine Einschränkung des strafrechtlichen Schutzes vor Körperverletzungen nicht begründen.

Dies gilt umso mehr, wenn die eigenen religiösen Normen die von den Religionsgemeinschaften geltend gemachte Notwendigkeit, im Kindesalter zu beschneiden, gar nicht begründen, die Religionsgemeinschaften also Forderungen erheben, die überhaupt nicht begründet sind. Dies ist der Fall, wobei zwischen Islam und Judentum zu unterscheiden ist: Während der Islam keine verbindliche Regelung kennt, wann die Beschneidung vorzunehmen ist, die religiösen Vorschriften also hinreichend flexibel sind, die Einwilligungsfähigkeit abzuwarten, ist im Judentum der Zeitpunkt der Beschneidung zwar vorgeschrieben, jedoch sind Ausnahmen aus wichtigem Grund zugelassen, und ein staatliches Verbot stellt einen solchen Grund dar, insbesondere im Hinblick auf das talmudische Gebot, das staatliche Gesetz zu achten. Darüber hinaus ist in beiden Religionen die Beschneidung zwar Gebot, jedoch keine Zugehörigkeitsvoraussetzung.

Namentlich das Judentum definiert die Zugehörigkeit über die Abstammung, ganz unabhängig von der Beschneidung, die selbst innerhalb des Judentums umstritten ist. Das religiöse Leben beider Religionen hängt nicht von der Beschneidung ab, was sich z.B. darin äußert, das ein großer Teil der (aus der früheren Sowjetunion zugewanderten) jüdischen Männer (aufgrund des in der Sowjetunion gültigen Beschneidungsverbots) unbeschnitten sind, ohne dass dies dem jüdischen Leben Abbruch tut, oder von diesen Männern eine Beschneidung verlangt wird.

Die Religionsfreiheit spricht demnach nicht für, sondern gegen das Recht der Eltern, in eine Beschneidung einzuwilligen.

Dies hat bereits das Landgericht Köln zutreffend festgestellt, und auch das BMJ scheut offensichtlich davor zurück, hier eine Ausnahme zugunsten der Religion zu schaffen, da es die Beschneidungserlaubnis nicht an religiöse Gründe binden will.

4.2 Das Kindeswohl

Geltend gemacht wurde seitens der Religionsgemeinschaften, dass die Beschneidung dem Kindeswohl diene, da unbeschnittene Kinder in ihrer jeweiligen Gemeinschaft ausgegrenzt seien.

Dieses Argument geht jedoch völlig ins Leere, da es ja eben diese Gemeinschaften selbst sind, die das unbeschnittene Kind ausgrenzen. Im Grunde fordern hier die Religionsgemeinschaften eine Beschneidungserlaubnis mit der Begründung, dass andernfalls die unbeschnittenen Kinder von ihnen gemobbt würden. Dies kann jedoch kein Grund sein, diesen Gemeinschaften das Beschneiden zu erlauben, sondern muss ganz im Gegenteil Anlass sein, von diesen Gemeinschaften die Achtung vor der Würde anderer, hier der Unbeschnittenen, einzufordern.

Insbesondere müssen hier auch die Interessen jener Eltern berücksichtigt werden, die sich von einem derartigen intoleranten Umfeld genötigt sehen, ihre Kinder beschneiden zu lassen, obwohl sie dies gar nicht wollen, sowie der Kinder jener Eltern, die entgegen dem Gruppenzwang auf eine Beschneidung verzichten. Diesen Gruppen fällt der Staat durch eine solche Beschneidungserlaubnis in den Rücken, nimmt er ihnen doch die Argumentation, dass das Ritual in einer modernen Gesellschaft keinen Platz habe, und speziell im Falle jüdischer Eltern einen auch innerhalb der Religion gültigen Grund, von der Beschneidung abzusehen.

4.3 Hygienische und prophylaktische Gründe

Geltend gemacht wird, dass die Beschneidung Krankheiten vorbeuge. Hierzu haben verschiedene Organisationen, nicht zuletzt der Verband der Kinder- und Jugendärzte, Stellung genommen.

Während unbestritten ist, dass bestimmte Krankheitsrisiken bei beschnittenen Männern geringer sind, kann dies eine Beschneidung im Kindesalter nicht legitimieren. Dies schon allein deswegen nicht, weil alle diese Risiken erst im Erwachsenenalter eine Rolle spielen, und somit die Einwilligungsfähigkeit abgewartet werden kann. Dementsprechend empfiehlt, mit Ausnahme einer umstrittenen, möglicherweise interessegeleiteten Studie der amerikanischen Kinderärztevereinigung, welche ein ökonomisches Interesse am Erhalt der Beschneidungspraxis in Amerika hat, keine einzige Studie die Beschneidung von Kindern.

Aber auch in Bezug auf Erwachsene handelt es sich stets um minimale Vorteile, während die betreffenden Studien die Risiken der Beschneidung regelmäßig vernachlässigen, und selbst die geltend gemachten Vorteile sind teilweise zu relativieren, etwa wenn geltend gemacht wird, dass das Risiko einer HIV-Infektion bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr bei beschnittenen Männern geringer sei, aber außer Acht gelassen, dass beschnittene Männer im Schnitt seltener Kondome benutzen als unbeschnittene (sei es wegen der verminderten Empfindungsfähigkeit, oder auch weil sie sich durch die Beschneidung geschützt wähnen), was unter dem Strich zu einem gar erhöhten Ansteckungsrisiko Beschnittener führen kann.

Gar nicht überzeugen können auch hygienische Argumente, da diese nur bei einer unzureichenden Hygiene zutreffen. Jedoch kann weder die Erwartung, dass der Sohn als Erwachsener keine angemessene Hygiene betreiben werde, eine prophylaktische Beschneidung rechtfertigen, noch kann die leichtere Hygiene im Kindesalter legitimieren, dass die Eltern ihr Kind zur Arbeitserleichterung bei der Kinderpflege beschneiden lassen, oder weil sie für angemessene Hygienemaßnahmen zu prüde sind, wie dies in Amerika vielfach der Fall sein dürfte.
Ebenfalls unerheblich sind Argumente, die auf Länder der Dritten Welt zugeschnitten sind und die dort zuweilen schwierigen hygienischen Verhältnisse thematisieren. Dass in bestimmten Regionen Afrikas eine angemessene Hygiene unter Umständen erschwert sein könnte, kann nicht die Beschneidung eines in Deutschland lebenden Kindes rechtfertigen, dessen hygienische Versorgung nach den in Deutschland üblichen Standards problemlos möglich ist.

Eine den Schutz der körperlichen Unversehrtheit aufwiegende Notwendigkeit, eine vom Erwachsenen möglicherweise gewollte Beschneidung bereits im Kindesalter vorzunehmen, ergibt sich aus all dem nicht.

4.4 Die sexuelle Selbstbestimmung

Zahlreiche, einander oft widersprechende, Argumente für sowie gegen die Beschneidung beziehen sich auf die sexuelle Empfindungsfähigkeit, und die Auswirkung der Beschneidung auf das Sexualleben. Dabei wird sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung des Sexuallebens behauptet, jedoch besteht Einigkeit in einem, hier allein relevanten Punkt: Das Sexualleben wird durch die Beschneidung verändert, sie findet bei Erwachsenen häufig zu genau diesem Zweck statt, stellt also ein Mittel der Gestaltung des Sexuallebens dar.

Die ohne die ausdrückliche, persönliche Einwilligung des Betroffenen vorgenommene Beschneidung erfüllt somit nicht nur den Tatbestand der Körperverletzung, sie stellt darüber hinaus einen irreversiblen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung dar, und somit in den innersten Kern des Persönlichkeitsrechts. Dies wird auch deutlich durch die, gerade von Beschneidungsbefürwortern geltend gemachte, Vielfalt an Beschneidungsstilen, mit ihren je unterschiedlichen Auswirkungen auf die Sexualität. Eine derartige Gestaltung des gesamten späteren Sexuallebens des Kindes kann nicht im Ermessen der Eltern liegen, sondern bedarf einer höchstpersönlichen Entscheidung.
Keiner der geltend gemachten Gründe für die Beschneidung außer der medizinischen Indikation kann einen derartigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigen.

5 Abschließende Wertung

Die ohne medizinische Indikation vorgenommene Beschneidung verletzt die Rechte des Kindes auf körperliche Unversehrtheit sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes in seinem Kernbereich auf eine Weise, die weder durch entgegenstehende Ansprüche aufgewogen wird noch einer Ermessensentscheidung aufgrund des Elternrechts zugänglich ist.

Ein Gesetz, welches eine solche Beschneidung explizit erlaubt, verletzt zwangsläufig Art.2 Abs. 1 und 2 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht und körperliche Unversehrtheit), eine spezifische Regelung zugunsten religiöser Beschneidungen darüber hinaus Art. 4 Abs. 1 (die Religionsfreiheit des Kindes).

Der hier vorliegende Entwurf verstößt darüber hinaus gegen Art. 3 GG, insofern hier die Beschneidung männlicher Kinder erlaubt würde, jegliche Form der Beschneidung weiblicher Kinder aber verboten bliebe. Diese Ungleichbehandlung kann nicht damit begründet werden, dass die weibliche Beschneidung schwerwiegender sei als die männliche, denn wenn dies auch für die sog. „pharaonische Beschneidung“ unzweifelhaft zutrifft, so stellt diese doch nur eine von vielen Formen weiblicher Beschneidungen dar, darunter mit der Beschneidung der Klitorisvorhaut, oder auch eines bloßen symbolischen Einschnitts ohne Gewebeentfernung, welche der männlichen Beschneidung vergleichbar sind, oder gar deutlich weniger schwer wiegen, aber dennoch gleich der pharaonischen Beschneidung unstreitig und entsprechend internationalem Recht verboten sind. Eine explizite Erlaubnis der Beschneidung der Penisvorhaut bei männlichen Kindern bei gleichzeitigem Verbot der hierzu analogen Beschneidung der Klitorisvorhaut und selbst eines bloßen symbolischen Schnitts ohne Gewebeentfernung bei weiblichen Kindern stellt eine Benachteiligung männlicher Kinder aufgrund ihres Geschlechts dar, wie auch bereits die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ausgeführt hat.

Der Auftrag des Bundestages ist somit nicht erfüllbar, die Bundesregierung ist gehalten, dem Bundestag mitzuteilen, dass unter Berücksichtigung der durch Grundgesetz und Völkerrecht geschützten Rechte des Kindes eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes nicht erlaubt werden kann.

Leider lässt das bisherige Vorgehen, insbesondere die Hast, mit der das Gesetz durchgepeitscht werden soll, sowie auch die weitgehende Übernahme der Forderungen der Religionsgemeinschaften bei gleichzeitiger Nichtbeachtung aller kritischen Stimmen, darunter Kinderschutzorganisationen und Kinderärzte, befürchten, dass der Gesetzgeber und die Bundesregierung gar nicht gewillt sind, alle betroffenen Interessen zu berücksichtigen, sondern einzig daran interessiert sind sicherzustellen, dass die Religionsgemeinschaften nicht durch die sich allmählich entwickelnden Kinderrechte belästigt werden.