Initiative für ein bundesweites Neutralitätsgesetz
Antworten der im Bundestag vertretenen Parteien
Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten als Interessensvertretung der Menschen, die ihr Leben ohne religiösen Bezug gestalten, fragte im Juli die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der AfD - nach Ihrer Meinung zu einem bundesweiten und umfassenden Neutralitätsgesetz. Nach Auffassung des IBKA soll ein solches Gesetz in allen Bereichen, in denen der Staat hoheitliche Aufgaben ausübt sicherstellen, dass die Religionsfreiheit - insbesondere die negative Religionsfreiheit - aller Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird.
In seinem Schreiben kritisiert der IBKA die Privilegien der Religionsgemeinschaften - wie beispielsweise als Körperschaft des öffentlichen Rechts agieren zu dürfen - welche aus dem 19. Jahrhundert stammen; also aus einer Zeit, in der so gut wie die gesamte Bevölkerung Mitglied einer der christlichen Kirchen war.
Derzeit bekennen sich nur noch rund 60% der in Deutschland lebenden Menschen zum Christentum, über ein Drittel gehört keiner Religion mehr an.
Nach Ansicht des IBKA soll diesem Wandel durch ein Neutralitätsgesetz Rechnung getragen werden, denn nur ein solches kann die Gleichbehandlung aller Menschen gewährleisten, unabhängig davon, welcher Religion oder Weltanschauung sie angehören.
Über den August wurde die Frage von dem Bundesgeschäftsführer der CDU, den Beauftragten der CDU/CSU und SPD Fraktionen für Kirchen und Religionsgemeinschaften, dem Politischen Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen sowie den Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Bundestag beantwortet. Die FDP äußerte sich nicht - ein Schelm ist, wer nun denkt, deren Amtsträger und Mitarbeiter hätten die Frage nicht verstanden. Hier folgen nun Auszüge aus den Antworten in der Reihenfolge des Eingangs beim IBKA.
Antworten der CDU und CSU
Die CDU betont "das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit" und begrüßt, "dass das Grundgesetz Staat und Religion zwar trennt und doch, ... , Möglichkeiten der Kooperation eröffnet. ... Die weltanschauliche Neutralität des Staates wird durch dieses Bekenntnis zum religionsverfassungsrechtlichen Kooperationsmodell aber nicht in Frage gestellt." Weiter heißt es im Schreiben des Bundesgeschäftsführers der CDU: "Ein Ende dieses Kooperationsmodells durch das von Ihnen skizzierte Neutralitätsgesetz würde diesen Dialog erschweren und viele wertvolle Errungenschaften unserer Gesellschaft gleich mit."
Der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften ergänzt: "Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bietet dieses bis heute gültige Staatskirchen- bzw. Religionsverfassungsrecht auch zukünftig eine geeignete Grundlage, um der zunehmenden Vielfalt der religiös-weltanschaulichen Bekenntnisse in unserem Land gerecht zu werden." Weiter: "Die von Ihnen unterstellte "strukturelle Privilegierung der Religionsgemeinschaften gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen" kann ich nicht erkennen." Er führt den HVD Berlin-Brandenburg, die Humanistische Vereinigung Deutschlands in Bayern wie auch den BFG Bayern als Gegenbeispiel an, welche ja den Status der Körperschaft der öffentlichen Rechts besitzen. Sein Schreiben endet: "Aus den dargelegten Gründen kann ich mich - auch im Namen der CDU/CSU Bundestagsfraktion- der von Ihnen vorgebrachten Forderung nicht anschließen und sehe keine Notwendigkeit für den Beschluss eines bundesweit umfassenden Neutralitätsgesetzes in der kommenden Legislaturperiode."
Antwort der SPD
Der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD Fraktion äußert sich ähnlich: "In einem immer vielfältiger werdenden Land muss der Staat die unter-schiedlichen Beiträge zu einem guten Zusammenleben je und je wertschätzen und unterstützen. Auch soll die Freiheit zu und von Religion geschützt werden. Das Verhältnis von Staat, Kirchen, Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland ist ein Gutes. Das verfassungsmäßige Miteinander hat sich bewährt. Wir sehen deshalb keinen Bedarf an einer grundsätzlichen Neuverständigung." Es sei "das religionspolitische Anliegen der SPD-Fraktion, das Verhältnis von Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften beizubehalten und wenn nötig weiterzuentwickeln. Perspektivisch sollte z.B. auch muslimischen Glaubensgemeinschaften unter bestimmten Prä-missen der Zugang zum Religionsverfassungsrecht ermöglicht werden. ... Weltanschaulich-humanistische und säkulare Organisationen haben diesen Zugang zum Religionsverfassungsrecht ohnehin. Eine grundsätzliche religionspolitische Neuverständigung sehen wir daher nicht angezeigt."
Bündnis 90 / Die Grünen
Der Politische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen führt aus, das "Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates ist für uns Grüne zentral. Der Staat darf sich
nicht mit einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft identifizieren und niemanden wegen seiner Religion oder Weltanschauung diskriminieren oder bevorteilen. Wir stehen deshalb etwa religiösen Symbolen in staatlichen Gebäuden äußerst kritisch gegenüber. Pauschale Verbote von religiösen und weltanschaulichen Symbolen und Kleidungsstücken wären jedoch eine Einschränkung der grundrechtlich geschützten positiven Religionsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung klar formuliert, dass hierfür begründet nachgewiesen werden muss, dass das Vertrauen in die neutrale Amtsführung beeinträchtigt ist. Dafür bräuchte es neben der weltanschaulichen / religiösen Kleidungsstücke weitere Umstände."
Er betont, Bündnis 90/Die Grünen setzten sich für "die umfassende Berücksichtigung der Belange von konfessionsfreien Personen und auf ihre gleichberechtigte Teilhabe ein. Wir treten deshalb für eine Besetzung der Rundfunk- und Fernsehräte ein, in der sich die heutige gesellschaftliche, religiöse und weltanschauliche Pluralität Deutschlands widerspiegelt. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass die öffentliche Gedenk- und Trauerkultur, die bisher oft an die beiden großen christlichen Kirchen delegiert wird, überprüft wird. Hierzu wollen wir eine öffentliche Debatte darüber anstoßen, wie die Belange anderer religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften und die Belange religions- oder weltanschauungsgemeinschaftsfreier Menschen bislang berücksichtigt werden und wie eine gleichberechtigte Teilhabe besser gelingen kann."
Die Linke
Die Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag stellen sich hinter die Forderung ihres Grundsatzprogramms nach der "notwendigen institutionellen Trennung von Staat und Kirche", damit "dass das staatliche Gemeinwesen frei von der politischen Einflussnahme von Religionen sein soll. Denn nur wenn der Staat sich weltanschaulich neutral verhält, kann die Freiheit der Weltanschauung für alle Bürger gewährleistet werden." Wie auch zuvor der Politische Geschäftsführer von Bündnis 90 / Die Grünen erklären sie die Problematik des Berliner Neutralitätsgesetzes, welches "vom Bundesverfassungsgericht als im Widerspruch zu dem Grundgesetz stehend beurteilt" wurde.
Weiter erklären Sie: "Wir setzen uns ein für einen neutralen Staat. Das bedeutet Gebäude des Staates sollten ohne religiöse Zeichen auskommen. Gleichseitig lehnen wir Gesetze ab, welche die Freiheit der Religion des einzelnen Menschen einschränkt. In unserem Wahlprogramm sprechen wir uns klar dafür aus, sowohl die Freiheit von Religion zu verteidigen, wie auch die Diskriminierung von religiösen Minderheiten zu bekämpfen. Die Linkspartei widmet in ihrem Wahlprogramm den Themen Religion und Kirchen einen eigenen Abschnitt. "Wir verteidigen die Freiheit zur und von der Religion und die Trennung von Staat und Kirche", heißt es dort. Wir verteidigen das Recht auf Religionsfreiheit: Es ist das Recht der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. ... Wir wollen z.B. einen Ethikunterricht, in dem alle Schülerinnen (und Schüler) mit ihren unterschiedlichen weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Hintergründen gemeinsam über ethische Fragen diskutieren können. Im Rahmen des Bildungsauftrages sollen Schulen auch weiterhin Wissen über Religionen vermitteln. Die Militärseelsorge in der jetzigen Form wollen wir abschaffen. DIE LINKE fordert auch, dass die Kirchen in Zukunft ihre Steuern bzw. Beiträge selbstständig einziehen. Wir treten für den seit 1919 bestehenden Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen ein. In einer weltanschaulich und religiös vielfältigen Gesellschaft müssen alle die gleichen Möglichkeiten der Finanzierung haben."
Rainer Ponitka